Ingenieur attackiert Nachbarn:"Jetzt hol' ich mein Äxtle"

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Klaus B. war ein unbescholtener Bürger - bis zu jenem Tag im Juli 2010. Warum ging der Ingenieur mit einer Axt auf seinen Nachbarn los? Diese Frage muss nun das Landgericht Augsburg klären.

Hans Holzhaider

Dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, wusste schon der römische Komödiendichter Titus Maccius Plautus. Jeder Amts- oder Landrichter kann ein Lied davon singen, dass das Wölfische umso häufiger zum Durchbruch kommt, je näher sich die Menschen sind.

Am Augsburger Gericht wurde wegen des Axthiebs verhandelt. (Foto: ddp)

Kaum eine zwischenmenschliche Beziehung ist so konfliktträchtig wie die zwischen Nachbarn. Streitigkeiten wegen überhängender Zweige oder zu lauter Hausmusik wurden schon mit der Kettensäge ausgetragen; in Norddeutschland hat vor kurzem ein Schrebergärtner drei seiner Gartennachbarn mit einem Holzknüppel erschlagen, weil er es nicht ertragen konnte, dass sie beim Rasenmähen die Parzellengrenze missachteten.

Ganz so grässlich liegt der Fall, mit dem sich jetzt die Jugendkammer des Augsburger Landgerichts beschäftigen muss, gottlob nicht. Aber immerhin: Das Opfer, ein 43-jähriger Bahn-Angestellter, kann von Glück sagen, dass ihm der Axthieb seines Nachbarn nicht in die Stirn fuhr, sondern nur das linke Ohr halb abtrennte; sein 17-jähriger Sohn kam mit einer Platzwunde am Kopf und Schnittverletzungen an der Schulter davon. Der Täter, ein bis dahin völlig unbescholtener Diplomingenieur, hatte sich geärgert, dass parkende Autos in der schmalen Stichstraße, an deren Ende er wohnte, die Durchfahrt erschwerten.

Klaus B., 57, ist alles andere als der Prototyp eines Gewalttäters. Ein soi-gnierter Herr im grauen Anzug mit sorgfältigst gebundener Krawatte, überdies körperlich gehandicapt durch eine Wirbelsäulenverkrümmung und einen zweifachen Bandscheibenvorfall. Welcher Teufel ihn an jenem verhängnisvollen Tag im Juli 2010 geritten hat, das kann er sich heute selbst nicht mehr erklären.

Einiges spricht dafür, dass an diesem Tag eine große Wut, die sich über 16 Jahre hinweg langsam in ihm aufgebaut hatte, zum Ausbruch kam. 1995 war Klaus B. mit seiner Frau und zwei Kindern in Merching (Landkreis Aichach-Friedberg) eingezogen, und schon kurz danach hatte er an die Gemeinde geschrieben, dass die Parksituation in der engen Sackgasse untragbar sei - da müsse ein Parkverbot erlassen werden, forderte er.

Das lehnte die Behörde damals ab, weil das Parken an Engstellen ohnehin verboten sei. Aber, berichtet der Angeklagte, in der Straße habe eine Dame gewohnt, die ihr Fahrzeug penetrant so abstellte, dass keiner mehr vorbeikam, obwohl sie doch eine Garage hatte. Auch die Müllabfuhr kam oft nicht durch, sodass wochenlang die Mülltonnen nicht geleert werden konnten. Man kann sich leicht vorstellen, dass die Nachbarn auf die "Dame" nicht gut zu sprechen waren.

Im Februar 2010 zog die rücksichtlose Falschparkerin endlich aus, und die Familie P. mit drei Söhnen zog ein. Sie konnten nicht wissen, welches konfliktträchtige Erbe sie antraten. Außerdem entsprach die Familie P. möglicherweise nicht ganz dem Idealbild des Akademikers Klaus B. von einem Nachbarn.

An jenem Tag im Juli feierten die P.s Mutters Geburtstag, einige Gäste waren da und hatten ihre Fahrzeuge so geparkt, dass es Klaus B.s Missfallen erregte. Man hörte "Partygeräusche", sagt der Angeklagte, sogar "besoffenes Gegröle", und er habe sich gedacht, am besten fotografiere er das Ganze mal mit seinem Handy. Das tat er, woraufhin er von einem Pärchen zur Rede gestellt wurde, er habe sich dann zunächst einmal zurückgezogen. Von seinem Grundstück aus - etwa 40 Meter entfernt - habe er die Szene aber weiter beobachtet. Er habe dann "diese Gestalten" gesehen, "offensichtlich betrunken", dann sei hin und her "artikuliert und gestikuliert" worden.

Was denn da so "artikuliert" worden sei, will der Vorsitzende Richter wissen, und nach einigem Zögern räumt Klaus B. ein, da könne von seiner Seite schon das Wort "Asoziale" gefallen sein. "So habe ich das auch empfunden", sagt er. Daraufhin hätten sich die "Gestalten" aber dann in Bewegung gesetzt, "so eine Art Vergeltungstrupp", so sah er das. Der Kleinere - das war der 17-jährige Sohn - habe ihn mit "Bauchstößen" geschubst, und da, sagt Klaus B., sei ihm der Satz über die Lippen gekommen: "Jetzt hol' ich mein Äxtle."

Gesagt, getan; er stieg in den Keller und kehrte mit einem kleinen Handbeil zurück, das er normalerweise zum Spänemachen benutzt. "Das Dümmste, was ich je getan habe", sagt Klaus B., "ich habe doch noch nie jemandem etwas zu Leide getan."

Dann ging alles sehr schnell, aber darüber, was genau geschah, gehen die Darstellungen auseinander. Klaus B. schildert das Ganze als eine Notwehrlage; er habe einen Faustschlag auf den Arm erhalten, sei gegen die Garagenecke geschubst worden, habe dann "reflexartig" den Arm mit der Axt nach oben gerissen und nur noch wahrgenommen, wie der Vater P., der an zwei Krücken ging, bedrohlich auf ihn eingedrungen sei. Dass er mit der Axt zugeschlagen habe, daran könne er sich nicht erinnern.

Die beiden Opfer, Vater und Sohn P., können wenig zur Aufklärung beitragen. Der Vater erinnert sich an nahezu überhaupt nichts; der Sohn hat jedenfalls gesehen, wie Klaus B. mit der Axt weit ausgeholt hat, er habe sich dann weggeduckt, deshalb habe ihn die Axt nicht richtig erwischt. Klaus B. sagt, er wisse nur noch, dass er dann weggelaufen sei, zurück ins Haus. Erst dort habe ihm seine Frau gesagt, dass er jemanden mit der Axt getroffen habe. Er sagte: "Ich habe mein Leben verwirkt."

Das Landgericht Augsburg hat drei Prozesstage angesetzt, am Freitag soll das Urteil verkündet werden.

© SZ vom 22.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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