Auf den Felsen liegen orangefarbene Ganzkörperanzüge, Schlaze genannt, zum Trocknen in der Mittagssonne. Eine Plastikfolie wölbt sich über Kletterutensilien, Seile, Schlafsäcke, Nahrung, daneben steht ein Campingzelt. Zwischen den nackten Felsen, in fast 2000 Metern Höhe, haben die Helfer eine kleine Stadt aufgebaut, mit einem Notstromaggregat und einem Container mit Notfallausrüstung. "Da oben ist richtig was los", beschreibt Stefan Schneider, stellvertretender Chef der Bergwacht Bayern, die Situation auf dem Untersberg. "Es läuft hier im Hintergrund eine unglaubliche Rettungsaktion, ein einmaliger Einsatz."
Das Rettungsmanöver für den 52 Jahre alten Forscher Johann W. aus Baden-Württemberg, der seit Sonntagfrüh mit einem Schädel-Hirn-Trauma in der 1000 Meter tiefen Riesending-Schachthöhle liegt, ist eine logistische Herausforderung. 250 ehrenamtliche Helfer sind im Einsatz, nicht nur von der Bergwacht, sondern auch von der Freiwilligen Feuerwehr, dem Bayerischen Roten Kreuz, der alpinen Einsatzgruppe der Polizei sowie Höhlenrettung aus Österreich, Italien und der Schweiz. Etliche internationale Teams stehen noch in Bereitschaft. "Wir sind wie eine Familie, wir kennen uns. Weil wir bei dieser Rettung immer viele Stunden Vorlauf haben, rufen wir dann die passenden Leute an", sagt Schneider. Die Riesending-Höhle ist zwar die tiefste und längste in Deutschland - in Italien oder Frankreich gibt es aber ganze Höhlenlandschaften dieser Art. Daher gebe es dort auch deutlich mehr Höhlenretter, die solche Terrains gewohnt sind.

Riesending-Höhle:Verletzter Forscher ist transportfähig
Gute Nachrichten vom Untersberg: Forscher Johann W. ist transportfähig. Zwei Ärzte und fünf Höhlenretter kümmern sich inzwischen in 1000 Metern Tiefe um ihn. Bis ausreichend Medizin bei dem Verletzten ankommt, kann es aber noch dauern.
28 Retter und zwei Ärzte befinden sich momentan im Berg. Sie wollen W. möglichst zügig aus der Riesending-Höhle herausschaffen - doch sie rechnen damit, dass es noch Tage dauern wird. In der Wache der Feuerwehr haben die Retter ihre Einsatzzentrale eingerichtet, schlafen und ausruhen können sie in einer Kaserne der Gebirgsjäger in Berchtesgaden. Hier steht containerweise Nachschubmaterial: Säcke mit Ausrüstung, Seile, und mehrere sogenannte Petzel-Nest-Tragen. "Gemütlich wie ein Nest", sagt Daniele D'Aurio von der Bergwacht. Mit mehreren Gurten fixiert und in eine Plastikplane gehüllt soll der inzwischen transportfähige Johann W. in einer der Tragen nach oben gebracht werden, mit Seilen und Flaschenzügen - eine eher klaustrophobische Vorstellung bei dunklen, engen Schächten. "Er weiß, was auf ihn zukommt, er muss uns vertrauen", sagt D'Aurio, der am Sonntag in die Höhle gestiegen ist, um Biwaks zu befüllen und Gänge zu verbessern.
"Für uns steht die Rettung im Vordergrund"
An die Kosten will hier momentan niemand denken. In sozialen Netzwerken sind die Diskussionen hingegen voll in Fahrt, im Gespräch sind sechsstellige Summen bis hin zu Millionen. "Für uns steht die Rettung im Vordergrund", sagt Schneider von der Bergwacht. "Wir fragen nicht, ob jemand versichert ist oder nicht - wir sind zur Rettung nach dem bayerischen Rettungsdienstgesetz verpflichtet." Der Verband der deutschen Höhlen- und Karstforscher, bei dem Johann W. Mitglied ist, hält einen sogenannten Solidaritätsfonds - doch für solche Kosten dürfte dieser kaum genügen. "Bei Unfällen, auch solchen beim Skifahren oder Klettern, springt normalerweise die Krankenversicherung ein", sagt Schneider.
Das Gelände um den Einstieg der Höhle ist extrem karstig. Man erreicht es nur über einen Klettersteig oder einen langen Kletterweg von der Salzburger Seite. Auch für die Hubschrauber ist das schwierig: Anfangs mussten einige ihre Fracht - Personal, Material, Medizin und Transportmittel - abseilen. Nun hat die Forstverwaltung einen Landeplatz gerodet. Doch der ist ziemlich weit weg vom Einstieg entfernt, damit keine Steine in den Schacht gewirbelt werden.

Für die Retter zählt momentan vor allem, dass es nicht regnet. Auch wenn es heiß ist und die Felsen die Wärme zurückstrahlen, was die Arbeiten auf dem Plateau erschwert. In der Höhle jedoch hat es nur ein bis drei Grad - bei Nässe könnten die Retter schnell auskühlen.