Hochwasserschutz am Tegernsee:Jeder Tropfen zählt

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Die Erinnerung an das Hochwasser im Juni ist den Bewohnern am Tegernsee noch präsent. Viele bezweifeln, dass ein neues Wehr gebraucht wird. (Foto: Andreas Gebert/dpa)

Um die Anwohner am Tegernsee vor Hochwasser zu schützen, will das Wasserwirtschaftsamt Rosenheim ein neues Wehr bauen. Es soll den Seespiegel bei Überschwemmungsgefahr um bis zu 30 Zentimeter absenken. Doch die Bürger befürchten schlimme Folgen der Baumaßnahme.

Von Heiner Effern

Andreas Scherzer kennt die vernichtende Kraft des Wassers, auch am Tegernsee gibt es Hausbesitzer, die nach der Flut vom vergangenen Juni noch immer mit Schäden zu kämpfen haben. Er weiß also, dass es eine existenzielle Frage für viele Menschen ist, ob der Tegernsee eine neue, bedeutendere Rolle im Hochwasserschutz übernehmen kann. Aber ihn und seine Mitstreiter von der Bürgerinitiative "Gegenwehr" treibt auch diese Angst um, dass künftig irgendwo in einer Behörde jemand sitzt, der die Macht hat, Schicksal zu spielen. Der entscheiden kann, "ob die oben absaufen oder die unten".

Ob also bei einem Hochwasser die Uferanlieger am Tegernsee das Wasser in den Wohnungen haben oder die Menschen an der Mangfall, die am Ausfluss des Sees entspringt und in Rosenheim in den Inn mündet. "Ein solches Instrument muss man nicht schaffen", sagt Scherzer.

Das Instrument, das er meint, ist ein neues Wehr, dass das Wasserwirtschaftsamt Rosenheim am Tegernsee bauen will. Es soll laut Auskunft der Behörde dazu dienen, den Seespiegel vor einem Hochwasser um bis zu 30 Zentimeter zu senken. Das sei technisch jetzt nicht möglich und werde im Falle einer neuen Flut den Anliegern ebenso zugute kommen wie den Menschen an der Mangfall, weil es einem Hochwasser hier wie dort eine dramatische Spitze nehmen könnte. Eine "Win-win-Situation" nennt Behördenchef Paul Geisenhofer seine Pläne. Der See werde aber unter keinen Umständen zu einem künstlichen Rückhaltebecken wie etwa der Sylvensteinspeicher umgebaut. Und der Wasserspiegel werde auch künftig nicht höher steigen als das jetzt bei Hochwasser auch der Fall sei. "Da lassen wir die Finger davon. Der Tegernsee bleibt ein natürlicher See, ein ökologisches Kleinod", sagt Geisenhofer. Aber er räumt auch ein, dass es "eine Gruppierung gibt, die uns das nicht glaubt".

Die dramatischen Bilder von der Juni-Flut, bei der die Mangfall ein Rosenheimer Stadtviertel komplett unter Wasser setzte, aber auch der Tegernsee weit über die Ufer trat, sind erst ein halbes Jahr alt. Und der Hochwasserschutz steckt fest. Für die Menschen an der Mangfall in Kolbermoor oder Rosenheim sei diese Nachricht schade, aber nicht dramatisch, sagt Wasserwirtschaftsamts-Chef Geisenhofer. Viel wichtiger sei für sie, dass die Deiche saniert oder erhöht würden und das riesige Rückhaltebecken in Feldolling realisiert werde. Er hoffe, dass dafür Ende 2014 der Planfeststellungsbescheid ergehe und dann die etwa vierjährige Bauphase beginnen könne. "Feldolling ist in der Bedeutung für die Mangfall Champions-League, das neue Wehr am Tegernsee Kreisliga." In Zeiten sich verschärfender Hochwasser könne aber jeder Tropfen zählen.

"Wir wollen ja auch gerne ein neues Wehr", sagt Gegenspieler Scherzer von der Bürgerinitiative. "Aber keines, das den See einen Meter oder mehr aufstauen kann." Warum müsse ein so monströser Bau das alte Schuhmacherwehr ersetzen, fragt er. Was passiere denn, wenn es bei einem Hochwasser am See einen Öltank zerreißt oder gleich mehrere, wie es im Juni zum Beispiel in Passau der Fall war? "Wir haben keinen Zugriff, was die mit diesem Wehr machen." Um mögliche Folgen von Eingriffen in den See zu untersuchen, gab die Bürgerinitiative ein limnologisches Gutachten in Auftrag. Beide Parteien interpretieren es zu ihrem Vorteil. Zu viele Eingriffe in den Wasserspiegel würden Schilf, Vögeln und Fischen schaden, sagt Scherzer. Die für die Natur so schädlichen Hochwasser würden durch das neue Wehr verringert, sagt das Wasserwirtschaftsamt.

Die Pläne für einen Neubau an Stelle des jetzigen Schuhmacherwehrs gibt es schon einige Jahre. Die fünf Gemeinden im Tegernseer Tal lehnten eine erste Variante, die sogar zwei Wehre vorgesehen hatte, schon erfolgreich ab. Die Talbürgermeister, für die als Hauptbetroffener in Sachen Wehr der Gmunder Bürgermeister Georg von Preysing (CSU) spricht, sehen grundsätzlich das neue Wehr positiv. "Wenn es eine Lösung gibt, die uns oben im Tegernseer Tal und den Leuten unten an der Mangfall nützt, sind wir dafür." Nach einer Bürgerversammlung im vergangenen Sommer, in der das Wasserwirtschaftsamt die Sorgen der Menschen nicht zerstreuen konnte, warte er nun auf eine Reaktion.

Für seine Gemeinde Gmund müsse aber gelten: "Für die Menschen, die am Seeausfluss wohnen, darf es keine Verschlechterung geben." Diese müssten ohnehin mit bis zu fast eineinhalb Metern Betonmauern leben, die laut Wasserwirtschaftsamt bei einem neuen Wehr als Begrenzung der Mangfall nötig würden. Denn diese wird sich dann aus technischen Gründen höher aufstauen. Die Kommunen haben deshalb zwei Experten beauftragt, die die Pläne des Wasserwirtschaftsamts laufend prüfen. Wenn den neue kommen. "Momentan herrscht Stillstand", sagt Bürgermeister Preysing.

© SZ vom 20.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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