Haderthauer zum Freiwilligendienst:"Es wird nicht alles zusammenbrechen"

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Bayerns Sozialministerin Haderthauer sieht in der Umstellung vom Zivieldienst auf den neuen Freiwilligendienst keine Probleme. Ihr Credo lautet: "Ältere vor!"

Mike Szymanski

Mit dem Ende der Wehrpflicht wird es auch keine Zivildienstleistenden mehr geben. Stattdessen sollen sich in einem Bundesfreiwilligendienst 35.000 Bürger engagieren. Die Süddeutsche Zeitung sprach mit Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer, 48, über die neue Freiwilligkeit.

"Vielleicht wird hier und dort eine helfende Hand fehlen. Es wird aber nicht alles zusammenbrechen", sagt Sozialministerin Haderthauer zum künftigen Wegfall des Zivildienstes. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Süddeutsche Zeitung: Zum Sommer fällt wegen der Reform der Bundeswehr auch der Zivildienst weg. Sind die Sozialverbände auf diesen gravierenden Einschnitt vorbereitet?

Christine Haderthauer: So gravierend wird der Einschnitt gar nicht sein. Von 14 000 Zivildienstplätzen in Bayern sind derzeit noch etwa 8300 belegt. In stationären Einrichtungen haben wir in Bayern derzeit 729 Zivis, das sind weniger als ein Prozent der Beschäftigten. Vielleicht wird hier und dort vorübergehend die helfende Hand fehlen. Es wird aber nicht alles zusammenbrechen. Ich gehe davon aus, dass die Träger die Umstellung gut vorbereitet haben.

SZ: Glauben Sie, dass ein Heer von Freiwilligen in Deutschland mal eben die Aufgaben von aktuell etwa 65000 Zivildienstleistenden übernehmen kann?

Haderthauer: Wir brauchen die Kultur der Freiwilligkeit nicht neu zu erfinden. Schon jetzt gibt es beim bürgerschaftlichen Engagement mehr Menschen, die sich freiwillig engagieren wollen, als Plätze.

SZ: Der neue Freiwilligendienst steht auch Senioren offen. Die Sozialverbände waren es immer gewohnt mit jungen Männern zusammenzuarbeiten. Wie verändert der neue Dienst die Träger?

Haderthauer: Natürlich wird sich mancher Träger umstellen müssen. Wer bisher Zivis nur zum Rettungsdienstfahren eingesetzt oder sich darauf verlassen hat, dass er junge, kräftige Männer bekommt, die zupacken können, sollte künftig auch andere Einsatzmöglichkeiten bieten. Das bringt auch den Menschen mehr, die die Hilfe brauchen. Sie wünschen sich, dass mit ihnen Zeit verbracht, vielleicht auch mal ein Gesellschaftsspiel gespielt wird. Dafür sind alle Menschen, die sich die Zeit nehmen wollen, prädestiniert.

SZ: Essen ausfahren wird vielen als Aufgabe also nicht reichen?

Haderthauer: Das werden wir sehen. Ich bin davon überzeugt, dass es auch viele gibt, die Tätigkeiten wie Essen ausfahren für Hilfsbedürftige als erfüllend empfinden. Letztlich stehen diejenigen Menschen im Mittelpunkt, die Hilfe brauchen. Die Einsatzstellen werden ihre Erfahrungen machen, in welchen Bereichen sie den neuen Freiwilligendienst am sinnvollsten nutzen.

SZ: Wird der Freiwilligendienst in Zukunft vor allem zur Freizeitbeschäftigung für Rentner und sparen sich die Jugendlichen dann den Dienst an der Gesellschaft?

Haderthauer: So hart würde ich das nicht ausdrücken. Jeder tut etwas Sinnvolles für sich, wenn er dem Gemeinwesen einen Dienst erweist. Die einen machen es ehrenamtlich, für andere ist ein Freiwilligendienst die Alternative. Der Dienst für das Gemeinwohl ist doch nicht etwas, das man ausschließlich für Jugendliche vorsehen sollte.

SZ: Droht eine Verschiebung: Die Älteren springen ein, und die Jungen konzentrieren sich auf die Karriere?

Haderthauer: Es ist doch gut, wenn sich in Zukunft auch Ältere in Freiwilligendiensten betätigen können. Es gibt so viele tatkräftige, vitale ältere Menschen, die sich einbringen wollen. Es sind daher auch die Älteren, die sich prozentual im Ehrenamt stärker engagieren. Unsere Jugendlichen stehen im globalen Wettbewerb vor existenziellen Herausforderungen. Eine Ausbildung absolvieren, eine Stelle finden und die Familie ernähren - das sind Dinge, die ältere Menschen bereits gemeistert haben. Insofern ist es überhaupt kein Ungleichgewicht, wenn unsere Jugendlichen sich in Zukunft darauf konzentrieren können, ihren Lebensweg zu verfolgen. Sie werden ohnehin zusätzlich die Last unserer immer älter werdenden Gesellschaft tragen und meistern müssen. Und wie gesagt: Es gibt auch heute schon jedes Jahr mehr Freiwillige als Einsatzstellen.

SZ: Bisher helfen viele Menschen ehrenamtlich, der neue Dienst ist vergütet. Warum sollte denn jemand jetzt noch helfen, ohne Geld dafür zu verlangen?

Haderthauer: Im Ehrenamt ist es dem Einzelnen überlassen, wie er seine Tätigkeit gestaltet. Der Freiwilligendienst sieht einen planbaren Einsatz mit mindestens 20 Wochenstunden vor. Das verlangt mehr Verlässlichkeit.

SZ: Wie wollen Sie verhindern, dass nicht reguläre Jobs in der Pflege durch die neuen Freiwilligen verloren gehen?

Haderthauer: Freiwilligendienstleistende sind ungelernte Kräfte. Sie nehmen keinem Pfleger den Job weg, nur weil sie mit Älteren und Behinderten Zeit verbringen, zuhören und mal Karten spielen.

SZ: Werden Sie dem alten Zivildienst nachtrauern?

Haderthauer: Eigentlich nicht. Der Zivildienst war kein Selbstzweck. Er war ein Annex zur Wehrpflicht. Ich finde es richtig, den Jugendlichen wie allen anderen Generationen freizustellen, ob sie einen Dienst an der Gemeinschaft leisten.

© SZ vom 28.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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