Günter-Grass-Ausstellung in Altötting:Ach Butt, wohin bist du entkommen?

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Die Literatur von Günter Grass ist ohne die bildnerische nicht denkbar - und andersherum. Die Stadtgalerie Altötting zeigt Bilder und Plastiken des Schriftstellers. Kaum zu glauben, dass jemand, der so weinerlich ist, zugleich ein so großer Tänzer ist.

Hermann Unterstöger

Vor ein paar Jahren hat Günter Grass die Geschichte in die Welt gesetzt, er sei 1945 zusammen mit einem verklemmten, aber sonst ganz netten Kerl im Kriegsgefangenenlager Bad Aibling interniert gewesen. Der "äußerst katholische" Bursche habe dann und wann lateinische Zitate von sich gegeben und sei im Übrigen entschlossen gewesen, in der Kirche Karriere zu machen. Laut Grass war das der Flakhelfer Joseph Ratzinger, der jetzige Papst Benedikt XVI..

Jedes Jahr aufs Neue gibt es letzte Fragen, ja oder nein. Günter Grass: Am Abend, Algraphie 1996. (Foto: Stadtgalerie Altötting)

Dessen Bruder Georg sagt zwar, dass die Story Geflunker sei, aber wie auch immer: Nun, da in der Altöttinger Stadtgalerie Grafiken und Skulpturen von Grass ausgestellt sind, sähe es der Künstler nur zu gern, wenn "ein mir fast gleichaltriger, weltbekannter Geistlicher . . . auch einmal den Weg zu meiner Kunst" fände.

Daraus wird nichts werden, und selbst wenn der Papst käme, wäre kein Zwiegespräch mit Grass möglich, weil dieser gesundheitlich angeschlagen ist und darum auf einen Besuch in Altötting - das ihm als katholisch-barockem Menschen sehr zusagen dürfte - verzichten muss. Ersatzweise hat er Grüße geschickt und es dem Kurator der Ausstellung, Günther Troll, schriftlich gegeben, "daß ich mich freue, wenn hier ,jetzt erst recht' ein wenig ,Grass' gezeigt wird".

Da die Ausstellung von langer Hand geplant war, ist das natürlich eine Beurteilung ex post: Wenn man sich auch hier über Grass' jüngste Einmischungen Gedanken macht, so lag es den Ausstellungsmachern doch fern, die Bilder und Plastiken in diesen doch sehr ephemeren Zusammenhang zu stellen und sich auf diese Weise ihrerseits einzumischen. Die bildende Kunst des großen Erzählers kann auch so bestehen.

Dass Günter Grass Steinmetz gelernt hat, sich an der Akademie zum Bildhauer hat ausbilden lassen und seiner Lebtage gezeichnet hat, ist bekannt, droht jedoch im Schatten dessen, was dieser Mann an Literarischem hervorgebracht hat und ständig neu hervorbringt, unterzugehen oder jedenfalls verborgen zu bleiben.

Dabei ist Grassens literarische Produktion ohne die bildnerische nicht zu denken - und umgekehrt. Beides läuft nebeneinander her und ist derart eng verzahnt, dass, wer da ein Vorher/Nachher oder sonst eine Rangordnung konstituieren wollte, scheitern würde. Nichtsdestoweniger ist die Wissenschaft gewillt, dieser Verzahnung auf die Spur zu kommen.

Die am Günter-Grass-Haus Lübeck arbeitende Kunsthistorikerin Viktoria Krason geht in ihrer Dissertation gerade der Frage nach, wie sich Grass' Beschäftigung mit bildender Kunst in seiner Poetologie widerspiegelt, welche Funktion Bildern in seiner disziplinen- und gattungsübergreifenden Arbeitsweise zukommt und welche Rolle sie für die Konzepte seiner hybriden Kunstwerke spielen.

Materialien dazu findet man nun in der am - aufgemerkt! - Papst-Benedikt-Platz liegenden Altöttinger Stadtgalerie. Die Werkauswahl ist überschaubar, vermittelt aber den Eindruck, dass dem Besucher nichts Substanzielles verborgen bleibt.

Es ist ja nicht so, dass Grass mit jedem Bild neue Wege beschritte. Er ist vielmehr auch auf dem weiten Feld des Bildnerischen ein Mann der epischen Fülle, und da muss man, um etwa die kulinarisch-künstlerische Auseinandersetzung mit dem Butt genießen und womöglich auch verstehen zu können, nicht alle Blätter dieser unendlichen Symbiose gesehen haben.

Schön auf jeden Fall, wie er sich selbst in den Butt hineingezeichnet hat, und nicht minder schön, was ihm einfiel, "als vom Butt nur die Gräte geblieben war", nämlich ein Stillleben sowohl mit Gräten als auch mit nach Grass'scher Art eingeschriebener Poesie: "Ach Butt, wohin bist du entkommen?"

Wie bei Grass nicht anders zu erwarten, geht auch das Aktuelle alsbald ins Bild ein. Für die neuesten Querelen liegt noch nichts vor, zumindest nicht in Altötting, doch das, was ihm nach "Beim Häuten der Zwiebel" an harten Reaktionen widerfuhr, hat er gleich auch mit dem Zeichenstift aktenkundig gemacht.

Die Serie heißt "Dummer August", eines der Blätter trägt den Titel "Am Pranger". Es zeigt in groben Strichen ein paar halbierte Zwiebeln und ein kleines Küchenmesser, und in den Zwischenräumen räsoniert der Dichter sich aus: "Es geschah, nachdem mir die Zwiebel / Haut nach Haut / hilfreich geworden war. / Seht! Nun steht er gehäutet da, / rufen jetzt viele, / die nicht die Zwiebel / zur Hand nehmen wollen, / weil sie befürchten, etwas, nein, schlimmer, / nichts zu finden, / das sie kenntlich werden ließe."

Kaum zu glauben, dass einer, der so weinerlich sein kann, auf der anderen Seite ein ganz großer Tänzer ist. Daran besteht indes kein Zweifel: Bilder und Plastiken bezeugen es glaubhafter als alle, die gesehen haben, wie Günter Grass bei der Nobelpreisfeier mit seiner Frau die Nacht durchtanzte.

© SZ vom 23.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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