Geplanter Amoklauf in Agatharied:Racheakt auf Station eins

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Ein heroinsüchtiger Maler plante angeblich einen Amoklauf im Krankenhaus Agatharied im Landkreis Miesbach, wo seine Mutter gestorben war. Jetzt steht er vor Gericht.

Andreas Salch

Wie ein Racheengel sieht Georg J., 58, nun wirklich nicht aus. Doch der heroinabhängige hagere Maler mit den hervorstehenden Wangenknochen aus Tegernsee soll den Plan gehabt haben, ein Blutbad anzurichten. Nicht weniger als 38 Menschen soll er versucht haben zu ermorden. So zumindest steht es in der Anklage der Staatsanwaltschaft am Landgericht München II, wo sich Georg J. seit Dienstag verantworten muss.

Bei sich trug er eine Doppelflinte -und fast 40 Schuss Munition: Georg J. steht vor Gericht. (Foto: N/A)

In der Nacht des 10. März hatte er sich mit einer doppelläufigen Flinte bewaffnet und 15 Schrotpatronen und weitere großkalibrige 23Vollmantelgeschosse, wie sie zur Jagd auf Wildschweine benutzt werden, in seinen Taschen verstaut. Danach ließ er sich von einem Taxi zum Krankenhaus Agatharied im Kreis Miesbach chauffieren, wo seine 90-jährige Mutter zwei Wochen zuvor gestorben war.

Sie habe sterben müssen, weil sich Ärzte und Pfleger nicht genügend um sie gekümmert hätten, hatte J. nach seiner Festnahme der Polizei gesagt. "Dem Angeklagten kam es darauf an, Vergeltung für den Tod seiner Mutter an dem vermeintlich schuldigen Krankenhauspersonal zu üben" und "möglichst viele Personen zu töten", wirft Staatsanwalt Matthias Läpple dem Maler deshalb vor.

Georg J. machte zum Auftakt der Verhandlung vor der Schwurgerichtskammer jedoch keine Angaben zu den Vorwürfen. Sein Verteidiger, Rechtsanwalt Werner Kränzlein, wies den Vorwurf des 38-fachen versuchten Mordes zurück und begründete dies damit, dass sein Mandant gar nicht dazu gekommen sei, sein angebliches Vorhaben in die Tat umzusetzen. Dies deckt sich durchaus mit den Schilderungen einer Krankenhausangestellten, die Dienst hatte, als Georg J. in der Nacht des 10. März fünf Minuten vor Mitternacht am Eingang der Klinik auftauchte.

Als sie den Angeklagten wahrgenommen habe, habe sie sich gedacht: "Der sieht krank aus." So schilderte sie es bei ihrer Vernehmung. Er sei "überhaupt nicht aggressiv" gewesen. Der Maler habe auf sie den Eindruck gemacht, als habe er "mit allem abgeschlossen". Auf die Frage, wo er denn um diese Uhrzeit hin wolle, habe er zunächst entgegnet: "Zur Station eins." Die Station, auf der seine Mutter gestorben war.

Als der diensthabende Arzt der Notaufnahme hinzugekommen sei, so die Zeugin, habe dieser den Angeklagten angefahren: "Sie haben ja ein Gewehr." Georg J. hatte die großkalibrige Flinte unter einem Schlafsack versteckt, aus dem sie etwas herausgerutscht war. Später hatte der Arzt bei der Polizei ausgesagt, ihm sei zudem der Geruch der Waffe aufgefallen. Den kenne er genau, sein Opa sei Jäger gewesen. Zwischen Georg J. und dem diensthabenden Arzt war es daraufhin zu einem heftigen Gerangel gekommen. Gemeinsam mit Kollegen und Pflegekräften, die hinzugeeilt waren, gelang es diesem, dem Maler die Waffe abzunehmen und ihn so lange festzuhalten, bis die Polizei eintraf.

Damals war Georg J., obwohl seit vielen Jahren heroinabhängig, nicht auf Entzug. Laut Anklage hatte er an jenem 10.März, wie jeden Tag, 9,5 Milligramm des Drogenersatzstoffs Methadon bekommen. Er habe längst aus dem Methadon-Programm aussteigen wollen, beteuerte der Maler vor Gericht, als es um seine Personalien ging. Doch sei für den Ausstieg in den vergangenen 14 Jahren keine Gelegenheit gewesen. Seine herzkranke Mutter habe sich nur von ihm zu Hause pflegen lassen wollen. Besonders intensiv scheint sich J. aber nicht um die alte Frau gekümmert zu haben.

Anfang des Jahres soll sie, nur mit einem Nachthemd bekleidet, im Freien umhergeirrt sein. In seinen Vernehmungen durch die Polizei machte Georg J. später widersprüchliche Angaben dazu, weshalb er mit einer Jagdflinte und fast 40Schuss Munition nachts in das Krankenhaus gekommen war. Einmal gab er zu Protokoll, er habe die Waffe "nur aus Angst mitgenommen". Ein andermal hatte er ausgesagt, er denke "wie ein Indianer". Er glaube, dass der Geist seiner Mutter noch lebe. In der Nacht des 10. März habe er nachschauen wollen, ob deren Geist "noch auf der Station eins" sei.

© SZ vom 08.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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