Staatsbesuche werden in der Regel mit einer solchen Routine abgewickelt, dass sich kaum jemand vorstellen kann, welche Probleme sich manchmal bei der Organisation solcher Großereignisse auftürmen. Vor 50 Jahren stand das Bonner Protokoll vor der Schwierigkeit, ein angemessenes Nachtlager für den fast zwei Meter großen Charles de Gaulle zu finden.
Der französische Staatspräsident weilte bei seinem viel beachteten Deutschlandbesuch drei Nächte in Bonn, eine Nacht in Hamburg und eine in München. Am schnellsten reagierte die bayerische Staatsregierung, die sich ohne größere Umschweife auf die monarchische Tradition des Landes besann und dem Franzosen in der Münchner Residenz ein sonst von Touristen begafftes Prunkbett von drei Meter Länge zur Verfügung stellte.
Der vom 4. bis zum 9. September 1962 dauernde Besuch des französischen Staatspräsidenten ist als ein herausragendes Ereignis der Zeitgeschichte und des europäischen Einigungsprozesses in die Annalen eingegangen. De Gaulle reiste an der Seite des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer durch die Republik und warb in seinen Reden, die er publikumsträchtig auf Deutsch hielt, für die Überwindung der "Erbfeindschaft" zwischen Deutschland und Frankreich und für die Schaffung eines Europas vom Atlantik bis zum Ural.
Mag sich bei den Reden vieles um Deutschland und Europa gedreht haben, so ist doch augenfällig, welch große Aufmerksamkeit de Gaulle dem Land Bayern schenkte. Aber er hatte gute Gründe für sein Verhalten. Nicht nur die tausendjährigen und recht vielfältigen Beziehungen Frankreichs zu Bayern, sondern auch de Gaulles einstige Kriegsgefangenschaft in Ingolstadt und im Frankenwald bildeten den Grundstock für eine emotionale politische Begegnung, wie sie das Bayern der Nachkriegszeit nur selten erlebt hat.
Zehntausende Menschen säumten an jenem Samstag die Straßen vom Flughafen Riem bis zur Innenstadt. Es herrschte eine aufgeregte, erwartungsvolle Stimmung, die Presse hatte ihrer Leser im Vorfeld umfangreich über die wesentlichen Aspekte der bayerisch-französischen Beziehungen unterrichtet. Unter dem Jubel der Menge fuhren de Gaulle und der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard (CSU) im offenen Wagen durch die Stadt, wo den Gast ein dicht gedrängtes Programm erwartete. Der Höhepunkt des knapp 24-stündigen Besuchs aber war die Rede de Gaulles vor 100 000 Zuhörern auf dem Odeonsplatz.
Ganz bewusst hatte er den Platz vor der Feldherrnhalle ausgewählt, jenem Ruhmestempel der alten bayerischen Armee, um für die deutsch-französische Freundschaft zu werben. "Es lebe München, es lebe Bayern, es lebe Deutschland, es lebe die bayerisch-französische Freundschaft", rief de Gaulle seinen begeisterten Zuhörern entgegen. "Die Menge", so berichtete der Reporter des France Dimanche, "schwillt immer weiter an, über den Platz hinaus in die lange, breite auf sie zu führende Straße. Ein Wald von Schildern und Transparenten zittert im Wind. Man liest: Herr Präsident, die Jugend aus der Stadt Ihrer Gefangenschaft entbietet Ihnen freundschaftliche Grüße. Es lebe Europa." Die Grüße hatten Jugendliche aus Ingolstadt entrichtet, wo de Gaulle die Jahre 1916/17 als Kriegsgefangener verbracht hatte.
Von Anfang an war die Reise de Gaulles auf Massenwirkung und entsprechende Inszenierung ausgerichtet. "Er wollte die symbolische Wirkung, die große Demonstration der deutsch-französischen Aussöhnung der Politik und der Völker", sagt der Münchner Historiker Ferdinand Kramer, der diesen Staatsbesuch in München zusammen mit seiner Kollegin Isabella Kratzer in einem wegweisenden Aufsatz analysiert hat. Nicht von ungefähr hatte de Gaulle am Odeonsplatz ein besonderes Verhältnis zwischen Frankreich und Bayern reklamiert, was auch die städtische Umgebung untermauerte, in der es französische Straßennamen zuhauf gibt (Orleansstraße, Destouchesstraße, Lothringer Straße . . .), ganz zu schweigen von den französischen Einsprengeln in der Münchner Sprache (Allee, Bagasch, pressieren, blamieren, merci . . .). Die historischen Verbindungslinien sind heute noch evident, denn zwischen Frankreich und Bayern gab es tausend Jahre lang ein kulturelles Geben und Nehmen, wie man es in der europäischen Geschichte nur selten findet - allen Kriegen, napoleonischen Schikanen und Feindseligkeiten zum Trotz.
Es gab noch einen weiteren Grund für die neue Annäherung zwischen Bayern und Frankreich. Die Staatsregierung wollte mit dem Empfang des hohen Gastes bayerische Staatlichkeit demonstrieren, die man in München durch die Bonner Politik seit 1949 gefährdet sah. Am Flughafen sagte Ehard demonstrativ, de Gaulle sei auf bayerischem Boden gelandet. Laut Kramer spielten gerade die Außenbeziehungen im Konzept der bayerischen Föderalismuspolitik, wie sie in den 1950er und 60er Jahren forciert wurde, eine bedeutende Rolle. Das Streben nach Eigenstaatlichkeit war im Nachkriegsbayern auf heute kaum noch vorstellbare Weise evident und führte 1949 sogar zur Ablehnung des Grundgesetzes, dessen föderalistische Bestimmungen nach Meinung der Bayern ungenügend waren. Wie schon beim Besuch de Gaulles reizte die Staatsregierung im Mai 1965 bei der Ankunft Königin Elisabeths II. abermals alle Möglichkeiten aus, um ihr Staatsbewusstsein zu zelebrieren und die Bundesregierung zu provozieren.
Nachdem de Gaulle am Mahnmal des unbekannten Soldaten vor dem Armeemuseum einen Kranz niedergelegt hatte, wandte er sich an Versehrte des 1. und 2. Weltkriegs. Die Bilder, wie sie sich die Hände reichten, gingen um die Welt. Einer sprach: "Wenn das vor 50 Jahren geschehen wäre, wären uns zwei Weltkriege erspart geblieben."