Gammelfleisch:Skandal mit europäischer Dimension

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Der neue Gammelfleischskandal könnte zu einem der gößten Fleischskandale in Deutschland werden. 180 Tonnen Schlachtabfälle wurden zu Dönerspießen verarbeitet.

Mike Szymanski, Kassian Stroh und Katja Auer

Die Geschäfte eines Wertinger Fleischbetriebs mit Schlachtabfällen weiten sich womöglich zu einem der größten Fleischskandale in Deutschland aus. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Memmingen hat der 56-jährige Betriebsleiter eingeräumt, seit Juni 2006 bis zu 180 Tonnen Ekelfleisch, das nicht zum Verzehr geeignet ist, in den Lebensmittelhandel gebracht zu haben. Offenbar hat der Fall auch eine europäische Dimension.

Bis zu 180 Tonnen Ekelfleisch könnten ausgeliefert worden sein. (Foto: Foto: dpa)

Die stellvertretende Leiterin der Staatsanwaltschaft Memmingen, Renate Thanner, sagte am Freitag, der Hauptverdächtige habe weitere sieben bis acht Lieferungen von jeweils 20 Tonnen von umetikettiertem Fleisch gestanden. Bisher war lediglich die Rede von 20 Tonnen, die im Juli an Döner-Händler in Berlin verhökert worden seien.

Elf weitere Tonnen stellte die Polizei Anfang der Woche auf dem Betriebsgelände in Wertingen sicher, nachdem ein Lkw-Fahrer beobachtet hatte, wie der Verdächtige Etiketten von der Ware entfernt hatte. Der Fahrer alarmierte die Behörden.

Zumindest in diesem Fall seien die Schlachtabfälle, so genanntes K3-Material, an eine belgische Firma adressiert gewesen, tatsächlich aber nach Bayern geliefert worden, berichtete Bundesverbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU).

Der Grund: In Deutschland müsse der Empfänger von K3-Material dessen ordnungsgemäße Verwendung bestätigen. Diese Rückschein-Pflicht existiere in Belgien nicht. Laut dem Dillinger Landratsamt fanden sich in den Papieren der Wertinger Firma keine Hinweise auf Schlachtabfälle.

Der bayerische Verbraucherschutzminister Werner Schnappauf (CSU) sagte, der schwäbische Betrieb sei "nur ein Glied in einer Kette". Das Ekelfleisch sei über mehrere Stationen und mehrere Länder als lebensmitteltauglich umdeklarierte Ware nach Berlin gelangt.

Von dort seien die daraus hergestellten Dönerspieße in acht Bundesländer verschickt worden. Die Berliner Behörden wissen nach eigenen Angaben nur von Lieferungen im Umfang von 49 Tonnen. Sämtliches Fleisch sei von einer Firma in Schleswig-Holstein gekommen, sagte Staatsanwältin Thanner.

Die neuen Erkenntnisse beruhten auf Vernehmungen des Beschuldigten am Donnerstag. Er ist wegen anderer illegaler Fleischgeschäfte vorbestraft. Eine Zulassung, K3-Material zu verarbeiten, hatte die Wertinger Firma nicht. Der Betrieb in Schleswig-Holstein fungierte offenbar als Zwischenhändler.

Neun von elf in Wertingen entnommenen Proben hätten ergeben, dass die Ware "nicht zum Verzehr durch Menschen geeignet" sei, sagte Schnappauf. Nun müsse man den Ermittlungsbehörden "Zeit und Raum" geben, die Vorfälle aufzuklären. Auch Seehofer sagte, nun sei die Justiz "am Zug".

Gleichwohl erhöhte sich nach den neuen Erkenntnissen der Druck auf Schnappauf. Die Opposition forderte erneut seinen Rücktritt. "Schnappauf ist politisches Gammelfleisch, das auch aus dem Verkehr gezogen werden muss", sagte der bayerische SPD-Vize Florian Pronold.

Er warf dem Minister vor, die Verbraucher in falscher Sicherheit gewiegt zu haben. Der jüngste Fall zeige, dass das Kontrollsystem nicht greife.

Der SPD-Abgeordnete Herbert Müller warf Ministerpräsident Edmund Stoiber eine Mitschuld vor: "Stoiber hat zwei Jahre zugeschaut, wie sich die laschen Kontrollen in keiner Weise verbessert haben."

Den Fall Wertingen nannte Grünen-Fraktionschef Sepp Dürr einen "Offenbarungseid für Schnappaufs Kontrollsystem". Besonders skandalös sei, dass die Ministerien von Bund und Land eine "tagelange Abwiegelungspropaganda" betrieben hätten.

Die FDP kritisierte, dass die eigens gegründete Sondereinheit nicht zum Einsatz gekommen sei.

Nach wie vor ist unklar, warum die illegalen Geschäfte nicht früher durch Kontrolleure des Landratsamts Dillingen aufgedeckt wurden. Schnappauf hatte sie am Donnerstag ins Ministerium bestellt, nachdem bekannt geworden war, dass ein Nachbar und Ex-Mitarbeiter die Behörden seit Jahresbeginn wiederholt auf Transporte zu ungewöhnlichen Tageszeiten aufmerksam gemacht hatte. Umgehende Kontrollen, räumte Landrat Leo Schrell (FW) ein, habe es aber nicht gegeben.

"Die Hinweise waren allgemeiner Art über Verkehr an Wochenenden auf dem Betriebsgelände und ließen keine Verdachtsmomente erkennen." Dennoch habe man die Firma häufiger als andere kontrolliert - seit 2005 insgesamt 13 Mal. "Wir haben getan, was in unseren Möglichkeit steht", sagte Schrell. "Wir sind ausgetrickst worden."

© SZ vom 1.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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