Gäubodenfest in Straubing:A Trumm vom Paradies

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Nur 7,90 Euro für die Maß Bier, echt bayerisch und obendrein gemütlicher als in München: Das Straubinger Gäubodenfest feiert sein 200-jähriges Bestehen. Das Fest, das als kleine Landwirtschaftsmesse begann, ist heute rausch- und sinnstiftend für eine ganze Region. Eine bayerische Erfolgsgeschichte.

Wolfgang Wittl

So ein runder Geburtstag birgt manche Versuchung in sich, besser, man sichert sich an höherer Stelle ab: Die Stadt habe lediglich Geschäfte zugelassen, die "insbesondere in sittlicher, religiöser und sicherheitspolizeilicher Hinsicht einwandfrei sind", schrieb also Rechtsrat Josef Maily an den Stadtpfarrer Georg Hinterwinkler. Selbst das Schaugeschäft mit dem verruchten Namen "Die Berühmtheiten der Pariser Schönheitsabende" sei entgegen Hochwürdens Befürchtungen "völlig harmlos". Um jegliche Verstöße gegen Anstand und Moral auszuschließen, werde eine Kommission aber selbstverständlich eine weitere Überprüfung vornehmen.

Das Gäubodenfest ist für die Straubinger der "absolute Höhepunkt" des Jahres und feiert in diesem Jahr sein 200-jähriges Bestehen. (Foto: dpa)

So war das 1912, beim hundertjährigen Bestehen des Straubinger Gäubodenvolksfestes. Wer wissen will, was einen weitere hundert Jahre später erwartet, muss nur in den Prospekt des Veranstalters blicken: "Superlative im Jubiläumsjahr" werden da angepriesen, "noch schneller, noch höher, noch prickelnder, unterhaltsamer oder auch gruseliger als jemals zuvor". Wer sich heute um den sittlichen, religiösen und sicherheitspolizeilichen Zustand von Fahrgeschäften namens "Big Bamboo" und "Cyberspace" kümmert, wird hingegen nicht näher ausgeführt. Vermutlich der TÜV, gewiss nicht mehr der Stadtpfarrer.

Wer Straubing je zum Gäubodenfest besucht hat, erlebt eine Stadt im Ausnahmezustand: Baustellen liegen brach, Firmen verordnen Betriebsurlaub, Geschäfte im Zentrum schließen mit Verweis auf ihre Stände am Festplatz. Die städtische Belegschaft, ein paar hundert Leute, erhält einen freien Nachmittag mit Essens- und Getränkegutscheinen - aber nur derjenige, der den Festplatz besucht. Wer sich mit Einheimischen unterhält, was das Volksfest für die Stadt bedeutet, bekommt in der Regel zwei Antworten: "Absoluter Höhepunkt" - oder schlichtweg "alles". Und damit meinen sie nicht den wirtschaftlichen Wert. Auf mindestens 100 Millionen Euro schätzen Beobachter den Umsatz mit der Dult, die diesen Freitag in ihre Jubiläumsausgabe startet und die vor 200 Jahren als kleines Landwirtschaftsfest begann.

700 Gulden spendierte König Max I. Joseph anno 1812 "allergnädigst für das Kreisfest des Unterdonaukreises", der etwa dem heutigen Niederbayern entsprach. Das Fest war ein Ableger der Münchner Feierlichkeiten von 1810 anlässlich der Vermählung von Kronprinz Ludwig mit Therese von Sachsen. Der "Landwirthschaftliche Verein" setzte sich rasch dafür ein, dass solche Messen auch in anderen Landesteilen Bayerns abgehalten werden sollten. Heute ist Straubing neben München der einzige Standort, der sich behauptet hat. Dabei war die Vergabe äußerst umstritten. Passau, die Hauptstadt des Unterdonaukreises, wie auch das größere Landshut empfanden den Zuschlag für Straubing als Affront und setzten durch, dass das Landwirtschaftsfest im Wechsel auch bei ihnen stattfinden sollte. Später kamen sogar noch Deggendorf und Zwiesel hinzu, gewisserMassen als Beitrag zur ländlichen Strukturförderung. Erst seit 1898 erstmals die Stadt als Veranstalter auftrat, hat das Fest seine ständige Heimat in Straubing.

An die eintägige Tierschau von einst erinnert heute freilich genau so wenig wie an den "Zweck, die Landwirthschaft als einen der edelsten Zweige der menschlichen Thätigkeit, immer mehr zu befördern, und zur möglichen Vollkommenheit zu bringen". 1837 war es Bierbrauern, Wirten und Köchen erstmals gestattet, auf dem Festplatz am Hagen Gäste zu bewirten. Aus den kleinen Buden sind inzwischen sieben Festzelte mit 26 000 Sitzplätzen geworden. Für die elf Veranstaltungstage erwartet Organisationsleiter Max Riedl 1,3 Millionen Besucher. Die Kapazitäten sind nahezu ausgereizt. Denn analog zur Wiesn wird es auch in Straubing zum Jubiläum einen historischen Bereich geben, der die letzten Raumreserven angreift: mit Geschäften, die mindestens 40 Jahre alt sind, mit Holzriesenrad und Nostalgie-Geisterbahn und mit dem Tobbogan, einer 52 Meter langen Holzrutsche. Dass "Zelt 7" ausgerechnet vom Münchner Multi-Gastronomen Alfons Schuhbeck bewirtschaftet werden soll, hat manchen verwundert.

Zwar blickt man im Gäuboden durchaus mit Neugier zur größeren Schwester, der Wiesn, lässt sich von neuen Ideen inspirieren. Andererseits werden Münchner Einflüsse kritisch hinterfragt: etwa der Hang zum Gigantismus, der einem Volksfest seinen Charme ebenso rauben kann wie Preistreiberei oder Reservierungswut - nichts von alldem hält man in Straubing für erstrebenswert. "Unsere Gäste erwarten hohen Komfort bei bezahlbaren Preisen", sagt Organisationsleiter Riedl. Er weiß aber auch: "Wir bewegen uns an der Grenze." 40 Prozent der Plätze müssen reservierungsfrei bleiben, mit 7,90 Euro kostet die Mass 50 Cent mehr als zuletzt.

Das Bemühen um die Mischung aus Tradition und Moderne, die Oberbürgermeister Markus Pannermayr für "herausragend" hält, ist zum 200. Geburtstag besonders auffällig. Einen bemerkenswerten Akzent im Rahmenprogramm setzt die vom Stadtarchiv und Gäubodenmuseum konzipierte Sonderausstellung, die bis 27. Oktober läuft. Selbstkritisch wird darin beleuchtet, wie unwidersprochen der Nationalsozialismus das Volksfest vereinnahmen konnte ("Du, Straubinger Volksfest, gibst uns aufs neue Kraft und Mut, als deutsches Volk nach deutschem Glück zu ringen und unsere geliebte deutsche Erde deutsch zu erhalten. Blut und Boden, deutsch allewege!") - und wie bereitwillig der erst von den Nazis konstruierte Name Gäubodenvolksfest nach dem Krieg beibehalten wurde. "Man hat die braunen Parolen einfach übernommen", sagt Kurator Stefan Maier. Trotzdem durfte das Fest 1946 mit Erlaubnis der US-Militärverwaltung wieder stattfinden, wenn auch ohne Bierausschank. Ob die Straubinger den "Character of a Carnival or American Coney Island on a small scale" auch mit den stattdessen verköstigten 6000 Liter Fruchtsaft erzielten, darf bezweifelt werden. Diesmal gehen die Veranstalter von mehr als 700 000 verkauften Mass Bier aus.

Der niederbayerische Schriftsteller Max Peinkofer (1891-1963) hatte eine sehr biblisch geprägte Vorstellung von der Gründung des Gäubodenfestes. Ein Engel, betrübt über den Sündenfall, bittet Gott, das Paradies für die Menschen gelegentlich doch wieder aufzusperren. Die Wahl fällt auf Straubing, "a Stadt mit guate, brave Leut, voll Frohsinn und Gemüatlichkeit", wie es in der mehr als 500 Seiten starken Festschrift heißt. Ein dazu gehöriger Spruch Peinkofers hat es zum offiziellen Werbeslogan geschafft: "Was 's Volksfest z'Straubing is? A Trumm vom Paradies!"

© SZ vom 09.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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