G8-Gipfel in Bayern:"Die Sünde spielte keine Rolle"

Lesezeit: 4 Min.

Schloss Elmau in Krün im Landkreis Garmisch-Partenkirchen ist nur über eine privater Mautstraße zugänglich. (Foto: dpa)

In Zimmer 54 wurde er geboren, im Restaurant zersägte er die Tische: Für Dietmar Müller-Elmau war die Idylle von Schloss Elmau die spießbürgerliche Hölle. Jetzt erfüllt sich für ihn ein Traum - in dem auch Angela Merkel vorkommt.

Von Heiner Effern

Der Gastgeber von Barack Obama, Wladimir Putin und Angela Merkel empfängt im Tee-Salon. Im Hintergrund leise Musik, unterbrochen vom Knacken des Feuers aus dem offenen Kamin. Draußen haben Schneeflocken über Nacht die Wiesen weiß überzuckert, darüber stehen teils hinter Wolken verborgen die kantigen Felsen des Wettersteingebirges. Dieses Paradies, sagt Dietmar Müller-Elmau, sei für ihn lange nur die "Hölle" gewesen. Es sei eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet hier ein Traum in Erfüllung gehe, an dem Ort, "an dem ich so gelitten habe". Mit "Traum" meint er den G-8-Gipfel 2015 in seinem Hotel. "So etwas bekommt man nur einmal im Leben, das ist ein Geschenk des Himmels."

Kurz vor Weihnachten kam der Anruf, dass sich die Bundesregierung entschieden hat, auf Schloss Elmau die sieben wichtigsten Staatsführer der Welt in Deutschland zu empfangen. Müller-Elmau weiß, was dafür gesucht wurde: markante Architektur in eindrucksvoller Umgebung. Wie beim letzten deutschen Gipfel in Heiligendamm. "Die Bilder sollen in Erinnerung bleiben. Man will sich als Gastgeber auch von seiner besten Seite zeigen." Dafür könnte dann auch das Innere des Hotels sorgen, das in der Kategorie fünf Sterne Plus geführt wird. Vier Spa-Bereiche, Bars, Konzertsaal, Bibliothek, Kulinarik, 260 Angestellte arbeiten für 300 Gäste. Viel nobler geht es nicht in Deutschland. Das belegt auch die jüngste Auszeichnung: Müller-Elmau wurde von Gault-Millau zum Hotelier des Jahres 2014 ernannt. Für den jungen Dietmar war ein solches Leben einst: schlicht unvorstellbar.

"Die Sünde spielte keine Rolle an diesem heiligen Ort"

1954 wurde er im Zimmer 54 geboren. Nicht im Krankenhaus, sondern auf der Elmau. Dem Reich der Familie Müller, ein Seitental zwischen Garmisch-Partenkirchen und Mittenwald. Noch heute führt dorthin nur eine private Mautstraße. Der Theologe und Philosoph Johannes Müller eröffnete 1916 das Hotel. Als Hort des Bildungsbürgertums, als "Freiraum des persönlichen und gemeinschaftlichen Lebens". Der philosophische Diskurs prägte das Haus, das gehobene Bürgertum unterhielt sich bei Kammermusik, Gesprächen und den berühmten Tanzabenden. Dort bahnte sich mehr an, als viele Gäste im Alltag zugelassen hätten. "Die Sünde spielte keine Rolle an diesem heiligen Ort", sagt der heutige Schlossherr. Bigott war das, heute geschieht früher Unvorstellbares: An den Nebentisch setzt sich eine Familie mit Kindern.

In den Räumen des Schlosses werden im Sommer 2015 beim G8-Gipfel die wichtigsten Staatsführer der Welt tagen. (Foto: dpa)

Dass das heute möglich ist und Müller-Elmau zwischen Kissen mit Elefanten-Motiven in der Bar sitzt, geht auf das Jahr 1998 zurück. Da tat er auf Bitten seiner Eltern etwas, was er nie machen wollte: Er rettete mit seinem Geld das marode Familienhotel. Und als erstes zersägte er die langen Tische im Restaurant, an denen üblicherweise zehn Gäste aßen, die Sitzordnung täglich wechselnd. Es war eine Kriegserklärung an Onkel und Tante, die das Regiment führten. Es war auch eine Kriegserklärung an die Gäste, unter ihnen der spätere Bundespräsident Johannes Rau. Er zerstöre das "letzte Idyll deutscher Innerlichkeit", warf dieser dem neuen Hotelier vor. Und traf den Punkt. Denn die deutsche Innerlichkeit erlebte Müller-Elmau als Gleichmacherei: Alle aßen zusammen, alle glaubten das Gleiche und hörten dieselbe Musik. "Und jeder hatte die Wahrheit gepachtet."

Stammgast Loriot, der nach dem Umbruch irgendwann zurückkehrte in die Elmau, malte ein Bild, das den Bruch in den Augen Müller-Elmaus nicht besser hätte darstellen können. Zu sehen ist der Elefant, der auch auf den Kissen abgebildet ist. Dabei steht: "Hier bist Du ein geliebter Gast, auch wenn Du keinen Rüssel hast." Früher, sagt der Schlossherr, hatten hier alle einen Rüssel. "Du lebst im Paradies. Aber Sie haben keine Ahnung, im Paradies zu leben, das ist die Hölle."

Er hielt es nicht lange aus, haute ab und wollte nicht mehr zurück. In München begann er BWL und Philosophie zu studieren, nach dem Grundstudium wechselte er in die USA, studierte Hotel-Management und Informatik. In München gründete er eine Internetfirma, die Hotelsoftware entwickelte. Als er seine Anteile verkauft und viele, viele Millionen dafür bekommen hatte, ließ er sich zur Rückkehr überreden. Er sanierte, er renovierte - und als das Hotel im Jahr 2005 fertig war, da brannte es ab. Ausgerechnet im Zimmer des Onkels hatte sich eine Heizdecke entzündet.

Nur der Turm des Hotels sieht noch aus wie vor dem Brand

Als alle 450 Gäste und das Personal gerettet waren, begann Müller-Elmau in Gedanken, das Schloss wieder aufzubauen. Sein Schloss. Die Verwandtschaft gab auf und ließ sich auszahlen. "Außer dem Turm sieht nichts mehr so aus wie vorher, und der ist entkernt." 2007 eröffnete er neu, mit 123 statt 195 Zimmern. Doch schon wieder stehen Kräne in dem Talkessel, Müller-Elmau baut ein "Hotel im Hotel" mit 49 Zimmern, acht Suiten sind komplett baugleich. Ob er die acht Regierungschefs so nah zusammenbringen kann, weiß er noch nicht. Ein schöner Gedanke wäre es.

Der Bürgermeister von Reykjavík hat ein paar Tische weiter Platz genommen. Er war vorher Komiker, ein Außenseiter, der das Establishment in seiner Heimat aufgemischt hat. "Er wird heute Abend einen Vortrag halten", sagt der Hotelier. Prominente Gäste, die hier gratis wohnen und dafür aus ihren Büchern lesen oder Kammermusik machen, gehören zum Programm. So viel Bildung und Bürgertum darf auch jetzt noch sein. Auch der Hausherr selbst politisiert gern, vom Zimmerpreis kommt er in vier Sätzen zum Konflikt zwischen orthodoxen Juden und Muslimen. Und nebenbei lässt er immer mal einfließen, wie er den Gästen Westerwelle, Steinbrück oder Oettinger seine Sicht der Dinge nahebringt.

Auch Angela Merkel kennt Schloss Elmau, kurz bevor sie Kanzlerin wurde hielt sie einen Vortrag über das Verhältnis der EU zur Türkei. Als sie das Haus verließ, sagte sie zu Müller-Elmau, dass ihre Rede wohl nicht so gut angekommen sei, der Platz aber sehr schön sei. An die folgenden Worte erinnert sich der Hotelchef genau: "Da müssen wir mal etwas machen", zitiert er die Kanzlerin. Nun löst sie ihr Wort ein.

© SZ vom 25.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: