Freilichttheater:Eine Riesenbühne

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Sie will keine Kunst machen, sondern einfach richtig gutes Theater: Birgit Simmler leitet seit dieser Saison die Luisenburg-Festspiele in Wunsiedel. Eine echte Herausforderung - und eine Chance für sie. An diesem Freitag hat ihre erste Inszenierung "Andreas Hofer" Premiere

Von Christiane Lutz

Eigentlich ganz übersichtlich." Das hat Birgit Simmler gesagt, als sie vor eineinhalb Jahren zum ersten Mal auf die Freilichtbühne der Luisenburg trat. "Schön kompakt." Was sie da als kompakt und übersichtlich beschrieb, ist eine gewaltige Naturbühne von 38 Metern Breite, 23 Metern Höhe, umringt von Birken und Fichten, und mit einem Zuschauerraum, in dem 1900 Menschen Platz haben. Total übersichtlich. Simmler überlegte damals, sich als neue künstlerische Leiterin der Luisenburg-Festspiele zu bewerben, kannte das Theater aber nicht. Im Kopf hatte sie bei ihrer Ankunft noch die Freilichtbühne Hallenberg in Nordrhein-Westfalen, an der sie viele Jahre gearbeitet hatte. "Und die ist dreimal so breit", sagt sie. Na dann.

Birgit Simmler, 47, bewarb sich also als Leiterin dieser übersichtlichen Bühne und bekam den Job. Nun stehen sie und ihre erste Inszenierung kurz vor der Premiere: "Andreas Hofer - die Freiheit des Adlers". Ein Stück über jenen Tiroler Volkshelden, der Anfang des 19. Jahrhunderts gegen die bayerische und französische Besetzung seiner Heimat kämpfte. Der Tiroler Autor Felix Mitterer schrieb eigens für Birgit Simmler eine Bühnenfassung seines Textes, der 2002 verfilmt wurde. Er wird auch zur Premiere am Freitag kommen.

"Ich freue mich wie ein Kullerkeks", sagt Simmler. Sie sitzt in ihrem Chefbüro auf einem Requisitenstuhl. Die Couch, die normalerweise da hin gehört, hat sie der "My Fair Lady"-Produktion geliehen. Das wird es nämlich auch geben, eine neue "My Fair Lady". Wenn Simmler so sitzt und über ihre Pläne, Herrn Mitterer und die Übersichtlichkeit der Luisenburg spricht, klingt das alles herrlich einfach. Aber natürlich ist es das nicht. Die Luisenburg-Festspiele sind ein großer Theaterbetrieb, derzeit arbeiten dort 116 Menschen, die gemeinsam einen Sommer lang nahezu jeden Abend 1900 Zuschauer glücklich machen sollen. Die Festspiele werden zum Großteil von Wunsiedel gefördert, das bedeutet: Die verschuldete Stadt schießt jährlich etwa 180 000 Euro zu, der Freistaat gibt ein bisschen was, ein paar Sponsoren hat die Luisenburg auch. Den Rest, etwa 80 Prozent der Kosten, muss Simmler über Ticketeinnahmen einspielen. Der Gesamtumsatz der Bühne betrug in den vergangenen Jahren zwischen vier und fünf Millionen Euro. Das ist vor allem jede Menge Verantwortung.

Dazu kommt, dass Simmlers Vorgänger, Michael Lerchenberg, die Stadt nicht gerade im Guten verließ. Lerchenberg, der die Festspiele 14 Jahre lang leitete, steht unter Verdacht, den Kassen Sozialversicherungsbeiträge für Festspiel-Mitarbeiter vorenthalten zu haben. Die Staatsanwaltschaft Hof erhob im Mai Anklage gegen ihn und Wunsiedels Bürgermeister Karl-Willi Beck (CSU). Nicht gerade ein rosiges Klima für einen Neuanfang.

Birgit Simmler aber findet auch dieses Problem übersichtlich. Sie halte sich aus der Sache raus. Wie man mit Stadträten umgeht, weiß sie ohnehin schon. Vor Wunsiedel hat sie in Biedenkopf gelebt, einem "Luftkurort im Norden Mittelhessens". Dort arbeitete Simmler im Kulturreferat und rief 2013 die Schlossfestspiele ins Leben. Sie kennt die Nöte und Denkweise kleiner Orte also sehr gut. Den Spielplan vom Stadtrat absegnen zu lassen, das empfindet sie als Teil ihres Auftrags und als ersten Test. "Es minimiert die Risiken, mich zu verrennen", sagt sie.

Simmler arbeitete am Broadway, an einem Stadttheater, in einem Musicalhaus und ein Jahr auf einem Kreuzfahrtschiff. Sie weiß also sehr genau, wie man welches Publikum erreichen kann. In Biedenkopf waren ihre Spezialität dann regionale Themen, die sie in neue Musicals und Theaterstücke umwandelte. Kleine, ländliche Regionen müssten das zeigen, was sie besonders macht, sagt Simmler. "Auf Kreuzfahrt habe ich gelernt: Die Eigenarten eines Landes spürt man in den kleinen Häfen besser als in den großen. Berlin, New York und Buenos Aires sind sich ähnlicher als Berlin und Wunsiedel." Birgit Simmler mag das Echte, das Unmittelbare. Auch deshalb zog sie mit Mann und Kind nach Wunsiedel. Für 2019 plant sie ein Musical, das zum Fichtelgebirge passt. Was das sein wird, verrät sie noch nicht. Nicht, so lang die aktuelle Saison noch läuft.

Am Abend folgt die erste Hauptprobe von "Andreas Hofer" mit allem Drum und Dran. Simmler gibt den ersten Zuschauern, den Freunden der Festspiele, eine Einführung in das Stück. Es ist ein sonniger Abend, trotzdem haben alle Jacken und Decken dabei. Freilichttheatervorkehrungen - man weiß nie, wie kalt es noch wird. Simmler wählt einfache Worte, ist nahbar und unkompliziert. "Den Lerchenberg, den haben wir schon vergessen", flüstert ein älterer Herr beim Einlass.

Simmler sagt von sich, es gehe ihr nicht darum, "Kunst" zu machen. "Es gibt Stücke und Themen, die man transportieren will, und dann die handwerkliche Fähigkeit dazu. Das klappt dann besser oder schlechter. Mein Anspruch ist, eine möglichst gute Inszenierung hinzukriegen." Die Themen, die sie auf der Bühne interessieren, sind Vielfalt, Demokratie, Machtverhältnisse, das Recht auf Anderssein. Simmler begreift sich weniger als klassische Regisseurin denn als Theatermacherin. Das heißt, sie ist gern von der Idee für ein Stück oder ein Musical bis zur Premiere dabei, als Produzentin, sozusagen.

In diesem Jahr steht neben "Andreas Hofer" noch das Familien-Musical "Das Dschungelbuch" (Regie: Simon Eichenberger) auf dem Programm, das Simmler mitgeschrieben hat. Das Stück läuft bereits seit Anfang Juni und ist schon jetzt das am besten verkaufte Familienstück der Festspielgeschichte. Dann wird es noch eine weitere Uraufführung geben, die Krimi-Komödie "Sherlock Holmes - Der Tod des Bayernkönigs" (Regie: Anatol Preissler, Premiere am 13. Juli), und einen Klassiker, das Musical "My Fair Lady" (Regie: Tim Zimmermann, Premiere am 29. Juni). Die Rolle der Eliza Doolittle wird Zodwa Selele spielen. Sie ist ausgebildete Musical-Darstellerin, spielt derzeit in Stuttgart in "The Bodyguard" und ist in der Nähe von Wunsiedel aufgewachsen. Elizas Dialekt wird also passenderweise fränkisch sein.

Andreas Hofer (gespielt von Jürgen Fischer, fast so lang bei den Festspielen dabei wie die Bühne hoch ist) zieht von diesem Freitag in den Freiheitskampf. Er spricht Tiroler Dialekt, trägt Tracht, genau so wie Napoleons Armee und die Wiener Aristokraten. Auf einer Freilichtbühne gingen historische Kostüme in Ordnung, findet Simmler, die Regisseurin. Gegen den Realismus des Ortes, der Bäume, des Windrauschens kann man sowieso nicht an inszenieren. Der Mensch wird daneben immer klein aussehen. Und damit letztlich auch wieder übersichtlich.

© SZ vom 22.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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