Flüchtlinge in Bayern:"Lieber Landtag, bei uns ist Krieg"

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Ein zerstörtes Haus in der Ostukraine: Familie Yasko fürchtet um ihre Sicherheit, falls sie in die Kriegsgebiete zurückkehren müsste. (Foto: AFP)
  • Die Familie Yasko aus der Ostukraine hat im schwäbischen Landkreis Aichach-Friedberg bei einer befreundete Familie Zuflucht gefunden.
  • Nun müssen die Ysakos zurück in ihre Heimat. Denn für einen Daueraufenthalt wäre ein Arbeitsvisum oder ein Asylantrag Voraussetzung - und für die entstehenden Kosten müsste die Familie K. aufkommen.
  • An diesem Mittwoch wird sich der Petitionsausschuss des Bayerischen Landtags damit befassen, wie es mit der Familie Yasko weitergeht.

Von Sarah Kanning, Petersdorf

"Lieber Landtag, bei uns ist Krieg." Es sind schlichte Worte, geschrieben in Schönschrift, in denen der neunjährige Andrii Yasko von seiner Flucht aus der Ostukraine berichtet. Von den Misshandlungen des Vaters - "Wir haben papa gefunden und Auge kaputt" - und seiner Hoffnung auf Sicherheit: "In Deutschland gibt es berge. In Deutschland gut."

Vor sechs Monaten haben Vasyl und Nadja Yasko mit ihren Kindern Andrii und Lisa auf dem Bauernhof der Familie K. im schwäbischen Landkreis Aichach-Friedberg Zuflucht gefunden. Die befreundete Familie hat sie aufgenommen und bürgt für sie. Eine Heimat auf Zeit für die Yaskos, die eigentlich anders heißen, aber um die Sicherheit ihrer Verwandten in der Ukraine fürchten. An diesem Mittwoch wird sich der Petitionsausschuss des bayerischen Landtags damit befassen, wie es mit der Familie Yasko weitergeht. Denn die Besuchervisa der Familie können nicht noch einmal verlängert werden, obwohl Familie K. bereit wäre, für Unterkunft, Verpflegung und Krankenversicherung aufzukommen. Das Landratsamt hatte die Familie schon aufgefordert, Deutschland zu verlassen.

Verschleppt und schwer misshandelt

Es ist der 8. Juli 2014, der das Leben der Yaskos in ihrem 2000-Einwohner Dorf zwischen Lugansk und der russischen Grenze aus den Fugen reißt. Die Kämpfe im Osten der Ukraine toben schon länger, es geht um die Abspaltung von Lugansk und Donezk. Die Yaskos, überzeugte Europäer und Ukrainer, versuchen ihre tägliche Routine aufrecht zu halten. Sie gehen zur Arbeit, die Kinder zur Schule. Wenn geschossen wird, verstecken sie sich im Keller. Bis Vasyl Yasko am 8. Juli verschleppt und schwer misshandelt wird.

Eine befreundete Familie aus Bayern hat für die vier Personen ein Zimmer mit Dusche, Waschbecken und Toilette hergerichtet. (Foto: Johannes Simon)

Fotos zeigen Einschnitte in den Handgelenken von Drahtfesseln, die Augenhöhle mit dem angebrochenen Jochbein bleibt monatelang schwarz verfärbt. "Schrei nicht, sonst bist du gleich tot", hätten die vermummten Männer zu ihm gesagt, berichtet Vasyl Yasko. Wenn er sich daran erinnert, zittern seine Hände. Sie werfen ihn in einen Keller, der Boden klebt von Blut, Yasko hört, wie Männer gefoltert werden. Außerhalb des Kellers kämpfen Yaskos Freunde für seine Freilassung. Nach einigen Stunden lassen die Peiniger ihn gehen.

Eine Verbindung seit mehr als 70 Jahren

Heute glaubt Yasko, dass sein Engagement für eine Öffnung der Ukraine hin zu Europa ihn zur Zielschreibe der pro-russischen Kräfte machte. Deshalb fürchtet er auch, nirgendwo in der Ukraine sicher zu sein. Die Familie taucht bei Freunden unter, zieht alle paar Tage um. Irgendwann wählt Vasyl Yasko eine Nummer, die im Handy seiner Frau gespeichert ist: die Nummer der Familie K. in Bayern. Die zögert nicht und lädt sie nach Deutschland ein.

Damit die deutsche Botschaft die Visa ausstellt, unterzeichnet Antonie K. eine Verpflichtungserklärung, dass sie für alle Kosten der Familie Yasko aufkommen. Ganz legal, ganz offiziell. "Wir waren selbst überrascht, wie einfach das war", sagt Antonie K. "So hatten wir Vasyl auch früher schon eingeladen, da wussten wir, wie es geht." Sie räumen den Keller aus, kaufen Möbel bei Ebay. Am 9. September erreichen die Yaskos Augsburg. "Da standen meine vier", erinnert sich Antonie K. In diesem Moment weiß sie: Nie wieder wird sie "ihre vier" einer Gefahr aussetzen.

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Schon seit mehr als mehr als 70 Jahren sind die Familien K. und Yasko miteinander verbunden. "Eine lange währende Verpflichtung", nennt es Antonie K.: Vasyl Yaskos Oma kam 1942 als Zwangsarbeiterin auf den Hof von Antonie K.s Urgroßeltern. Offenbar behielt sie in Erinnerung, dass man ihr dort nichts Böses tat - nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schickte sie einen Brief. 1993 reiste ein Teil der Familie Yasko zum Besuch nach Bayern.

Wo die rechtlichen Grenzen sind

In der kleinen Gemeinde im Landkreis Aichach-Friedberg haben sich die Yaskos inzwischen integriert. Die 16 Jahre alte Tochter geht aufs Gymnasium, der Sohn in die Grundschule. Beide Schulen hätten gerne, dass sie bleiben. Vasyl Yasko, ein Radioingenieur, hat ein Jobangebot von einem Elektriker im Ort. Auch auf dem Hof der K.s könnte er mitarbeiten. Wie Martin Neumeyer, Integrationsbeauftragter der Bayerischen Landesregierung und Berichterstatter im Petitionsausschuss sagt, müsste die Familie dazu aber wohl ausreisen und dann das Arbeitsvisum über eine deutsche Botschaft anfordern. Familie Yasko fürchtet, diese Rückkehr nicht zu überleben.

Gerne würden sie einen Asylantrag stellen. Doch dann müssten sie nach gängiger Rechtsprechung in eine Erstaufnahmeeinrichtung umziehen. Familie K. würde als Bürge für Unterbringung und Versorgung in Regress genommen. Die Kosten von mehreren hundert Euro im Monat sind für die Bauernfamilie nicht zu stemmen. Einen Asylantrag zu stellen, und auf dem Hof der K.s zu bleiben, ist rechtlich kaum möglich. Auszureisen, illegal einzureisen und dann einen Asylantrag zu stellen, kommt für Familie Yasko nicht in Frage: "Ich mache alles legal", sagt Vasyl Yasko. Zudem hat ein Antrag wenig Aussicht auf Erfolg - im Januar und Februar wurde laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nur jeder elfte Antrag positiv entschieden.

© SZ vom 25.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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