Flüchtlinge aus Syrien:Arme müssen draußen bleiben

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Faryal Rihabi-Kapser lebt seit 14 Jahren in Deutschland. Sie würde gerne ihre Familie zu sich holen. (Foto: Dietrich Mittler)

Legt der Freistaat bei der Zusammenführung syrischer Familien fragwürdige Kriterien an? Protokollmitschriften lassen den Verdacht aufkommen. Demnach will das bayerische Innenministerium die Einreise von mittellosen Kriegsflüchtlingen offenbar gezielt verhindern.

Von Dietrich Mittler

Faryal Rihabi-Kapser ist eine Frau, die Probleme aktiv angeht. Im Augenblick jedoch steht sie wie vor einer Wand. Mehrmals schon hat die 44-Jährige vergebens versucht, ihre Mutter, ihre Schwester und deren zwei Töchter aus dem vom Bürgerkrieg erschütterten Syrien ins sichere Deutschland zu holen. Auch jetzt quält sie die Ungewissheit, ob es nun klappt. Die Mutter lebt in der umkämpften Stadt Idleb im Nordwesten Syriens, ihr Haus steht mitten in der Frontlinie zwischen den Aufständischen und der Armee des Machthabers Baschar al-Assad. Erst vor wenigen Tagen schlug eine Rakete der Rebellen nur wenige hundert Meter vom Haus der Mutter entfernt in eine Wiese ein.

Nun hofft Faryal Rihabi-Kapser, die mit ihrem deutschen Ehemann Konrad im oberbayerischen Gräfelfing lebt, auf die womöglich letzte Chance, ihre Angehörigen doch noch aus der Kampfzone herauszuholen: Deutschland hat sich verpflichtet, weitere 5000 besonders schutzbedürftige syrische Flüchtlinge im Kontingent für die Dauer des Konflikts aufzunehmen. 760 von ihnen soll Bayern gemäß den Vorgaben eines bundesweiten Verteilungsschlüssels (Königsteiner Schlüssel) aufnehmen. Faryal Rihabi-Kapser hat also erneut einen Antrag gestellt - versehen mit allen Zusicherungen, die sie in ihrer Verpflichtungserklärung geben kann: Sie wird für ihre Angehörigen den Flug bezahlen, sich um deren Unterkunft kümmern und auch die Kosten für den Lebensunterhalt übernehmen.

"Aber was wird aus unseren Landsleuten, die nicht das Geld haben, diese Vorleistungen zu erfüllen? Auch sie möchten doch ihre Angehörigen in Sicherheit wissen", sagt Tarek Abdin-Bey, der in München lebende Vorsitzende des Deutsch-Syrischen Vereins. Er hat einen schlimmen Verdacht: Die Zusicherung Deutschlands, 5000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen, gelte nur für Wohlhabende, oder allenfalls für bedürftige Syrer christlichen Glaubens.

Pessimistische Prognose

Zumindest was Bayern angeht, trifft Abdin-Beys pessimistische Prognose derzeit ins Schwarze. Bei einem Treffen zweier Wohlfahrtsverbände mit Mitarbeitern regionaler Ausländerbehörden wurde deutlich, dass das bayerische Innenministerium die Einreise von mittellosen Kriegsflüchtlingen offenbar gezielt verhindern will. Der S üddeutschen Zeitung liegen Auszüge zweier Protokollmitschriften vor, die nach diesen Gesprächen erstellt wurden.

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Den Vertretern der Wohlfahrtsverbände wurde demnach in unterschiedlichen Landesteilen nahezu gleichlautend mitgeteilt, "dass die Ausländerbehörden eine Anweisung des bayerischen Innenministeriums erhalten haben". In der sei festgelegt, dass bis zum 28. Februar nur die Anträge von finanziell gut gestellten Syrern in Bayern an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weitergeleitet werden sollen. "Alle anderen Aufnahmevorschläge ohne Verpflichtungserklärung werden bei der Ausländerbehörde einen Eingangsstempel erhalten, jedoch nicht ans BAMF weitergeleitet", heißt es weiter in der Notiz.

Hürden für die Flüchtlinge

Brigitte Meyer, die Vizepräsidentin des Bayerischen Roten Kreuzes, zeigte sich erschüttert, als sie von dieser Anweisung erfuhr: "Syrer, die bereits in Bayern leben, dürfen ihre Verwandten nachholen. Doch der Freistaat setzt hier offenbar bewusst Hürden", sagte sie. In einer schriftlichen Stellungnahme betonte indessen am Dienstag das Innenministerium, es halte sich hier nur "strikt an die Vorgaben aus der Aufnahmeanordnung des Bundes". In diesem Sinne sei auch die Anweisung an die Ausländerbehörden zu verstehen, zunächst nur diejenigen Anträge an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weiterzugeben, bei denen hier lebende Syrer zur Unterhaltssicherung ihrer Angehörigen beitragen wollen.

Dieser Darstellung widerspricht das Bundesamt jedoch entschieden. Eine Verpflichtungserklärung, die hier lebende Syrer für ihre Verwandten bei der Ausländerbehörde abgeben, sei eben nicht Voraussetzung. Vielmehr gehöre zu den vom Bund vorgeschlagenen Kriterien "beispielsweise auch eine besondere humanitäre Schutzbedürftigkeit oder ein anderer Anknüpfungspunkt an das jeweilige Bundesland", teilte eine Sprecherin des BAMF mit.

In anderen Bundesländern ist es einfacher

"Wir haben deutliche Hinweise, dass es in anderen Ländern wie Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen oder Schleswig-Holstein viel besser läuft", sagt die Grünen-Sozialpolitikerin Christine Kamm. Am Dienstagabend reichten die Grünen im Landtagsplenum einen Dringlichkeitsantrag ein, der darauf abzielt, den von Bayern gewählten Weg zu korrigieren. Für die Kritiker - auch außerhalb des Landtags - steht außer Frage, dass der Freistaat der Anordnung des Bundesinnenministeriums vom 23. Dezember 2013 klar zuwiderhandelt. Von einer strengen sozialen Auswahl der Flüchtlinge sei in der Bundesanordnung an keiner Stelle die Rede, im Gegenteil: "Die nach dieser Anordnung aufgenommenen Flüchtlinge erhalten Leistungen" gemäß der Sozialgesetzgebung - sprich Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts, heißt es da. Allenfalls könnten auch in Deutschland lebende Syrer dazu herangezogen werden, bei Unterbringung und Lebensunterhaltssicherung "einen Beitrag zu leisten".

Aber dies sei "kein zwingendes Aufnahmekriterium", ließ anfangs auch das bayerische Innenministerium die Ausländerbehörden im Freistaat wissen. In einer ersten Pressemitteilung, Mitte Januar, begrüßte es Bayerns Innenminister Joachim Herrmann ausdrücklich, "weiteren Bürgerkriegsflüchtlingen Schutz gewähren zu können". Er deutete sogar an, an dieser humanitären Aktion mitgewirkt zu haben. "Entsprechend meinen Vorschlägen werden mit der neuen Aufnahmeanordnung vorrangig Personen mit verwandtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland berücksichtigt", sagte er. Nur wenig später wurde der Ton härter: "Erforderliche Unterlagen: Nachweis über gesicherten Lebensunterhalt", so lautet ein Vermerk auf der Internetseite des "Verwaltungsservice Bayern". Aus Sicht des Innenministeriums ist das nur zu begründet: Bereits jetzt übersteige die Zahl jener, die zum Lebensunterhalt ihrer Angehörigen beitragen wollen (rund 1700), das bayerische Aufnahmekontingent um mehr als das Doppelte.

Rihabi-Kapser, die nun erneut einen Versuch unternimmt, ihre Verwandten aus Syrien herauszuholen, lebt seit 14 Jahren in der Bundesrepublik. Längst hat sie einen deutschen Pass. Es kränkt sie, dass ihre Briefe an Politiker oder Behörden stets unbeantwortet blieben. "Landsleute von mir, die sich per Touristenvisum Zutritt nach Deutschland verschafft haben, stellen hier einen Asylantrag und sind sicher. Aber diesen Weg schließe ich für meine Angehörigen definitiv aus", sagt sie. Allmählich verlasse sie die Hoffnung, dass sie ihre Mutter, die Schwester und die beiden Nichten auf regulärem Weg endlich in Bayern begrüßen könne. "Haben die kein Recht darauf, gerettet zu werden?", sagt sie.

© SZ vom 26.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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