Entführung Ursula Herrmann:Der Mangel an Beweisen

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Die Aufklärung des Falls Ursula Herrmann gestaltet sich schwierig. Die Ermittler stützen ihren Verdacht auf ein Tonband, doch dessen Herkunft bleibt unklar.

Hans Holzhaider

Im Entführungsfall Ursula Herrmann, in dem die Staatsanwaltschaft Augsburg Ende Mai mit der spektakulären Nachricht von der Verhaftung eines Tatverdächtigen an die Öffentlichkeit gegangen ist, stehen die Ermittler weiterhin vor großen Schwierigkeiten, einen eindeutigen Tatnachweis gegen den 58-jährigen Werner M. zu führen.

Detef Puchelt, Erster Kriminalhauptkommissar des Bayerischen Landeskriminalamtes, zeigt das Foto eines zwischenzeitlich als Beweisstück aufgetauchten Tonbandgerätes im Mordfall Ursula Herrmann. (Foto: Foto: ddp)

Die Staatsanwaltschaft hält ihn für den Mann, der am 15.September 1981 in Eching am Ammersee die zehnjährige Ursula Herrmann entführt und in einer im Wald vergrabenen Kiste eingesperrt hat. Das Mädchen starb in seinem unterirdischen Gefängnis an Sauerstoffmangel.

Werner M. galt nach einem anonymen Hinweis schon kurz nach der Tat als der Verdächtige Nummer eins, konnte aber aus Mangel an Beweisen nicht angeklagt werden. Ende Oktober 2007 wurde bei einer neuerlichen Hausdurchsuchung bei Werner M., der mittlerweile in Schleswig-Holstein lebte, ein altes Tonbandgerät gefunden, das nun zu einem wichtigen Glied in der Indizienkette gegen den Tatverdächtigen geworden ist.

Techniker des Landeskriminalamts bezeichnen es als "wahrscheinlich", dass dieses Gerät für die Anrufe des Erpressers bei den Eltern Ursula Herrmanns benutzt wurde. Die Herkunft dieses Geräts vom Typ Grundig TK 248 aber ist unklar.

Werner M. hat schon bei seiner ersten Vernehmung nach der Hausdurchsuchung im Oktober 2007 angegeben, er habe das Gerät nur zwei Wochen zuvor auf einem Flohmarkt gekauft. Der Polizei ist es bisher nicht gelungen, diese Angaben zu widerlegen.

Ein Schnäppchen

Werner M. machte im Oktober 2007 zusammen mit seiner Ehefrau eine Campingreise im Weserbergland. Die Stationen dieser Reise sind durch Quittungen der Campingplätze belegt. Vom 13. bis 15. Oktober hielt sich das Ehepaar M. in Bad Karlshafen an der Weser auf. Am 14., einem Samstag, sei er mit dem Motorroller von dort etwa zehn Kilometer flussabwärts gefahren, gab M. an. Dort - an den Ortsnamen konnte er sich nicht erinnern - habe ein Flohmarkt stattgefunden.

Er habe an einem Stand Schnapsgläser entdeckt, die seiner Frau gefallen könnten. Er sei daraufhin zum Campingplatz zurück- und mit seiner Frau wieder zum Flohmarkt gefahren. Die Frau habe die Schnapsgläser erstanden, er selbst habe an einem anderen Stand ein altes Spulentonbandgerät entdeckt. Man habe das Gerät ausprobiert - ein Händler am Nachbarstand stellte eine Stromquelle zur Verfügung, er habe es dann für 20 Euro statt der ursprünglich geforderten 50 Euro gekauft, mitsamt einem Karton alter Tonbänder.

M.'s Verteidiger, der Augsburger Rechtsanwalt Walter Rubach, recherchierte, dass es sich bei dem Ort um das Städtchen Beverungen gehandelt haben muss. Dort fand in der Tat am 14. Oktober 2007 ein Flohmarkt statt, veranstaltet von dem Unternehmer Gerhard Niemitz aus Stadtoldendorf. Der kann anhand seiner Unterlagen noch nachvollziehen, dass an jenem Samstag 35 Händler auf dem Flohmarkt in Beverungen verkauften. Namen und Adressen erfasst er nicht - die Händler kommen, zahlen ihre Standgebühr und müssen keine weiteren Angaben machen.

Zufall oder wahrscheinlich?

"Kurz nach dem Termin wäre es natürlich leichter gewesen, die Händler ausfindig zu machen", sagt Niemitz. Aber erst vor etwa vier Wochen, also mehr als ein halbes Jahr nach der ersten Vernehmung von Werner M., habe sich das Bayerische Landeskriminalamt bei ihm gemeldet, sagt Niemitz, und vor wenigen Tagen habe ein Beamter der örtlichen Polizei ein paar Fragen gestellt. Die Chancen, nach so langer Zeit noch den Verkäufer des Tonbandgeräts zu finden - falls es ihn denn geben sollte -, sind denkbar gering.

Reinhard Nemetz, der Leiter der Augsburger Staatsanwaltschaft, hält das Tonbandgerät dennoch für ein wichtiges Beweismittel. "Es wäre doch ein sehr seltsamer Zufall, wenn M. auf einem Flohmarkt ein Tonband erworben hätte, das individuelle Merkmale hat, die es mit dem Fall Herrmann in Verbindung bringen", sagt Nemetz. Dem steht allerdings entgegen, dass die Aussagekraft des Gutachtens, das eine solche Verbindung als "wahrscheinlich" darstellt, nicht besonders hoch ist.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, aus welchen Gründen Werner M. schnell zum Hauptverdächtigen wurde.

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:Mordfall Ursula Herrmann

1981 wurde die zehnjährige Ursula Herrmann auf dem Heimweg vom Turnunterricht in Eching am Ammersee entführt. 19 Tage später fand die Polizei ihre Leiche in einer im Waldboden eingelassenen Holzkiste.

"Wahrscheinlich" ist auf der von der Polizei verwendeten sechsstufigen Skala von "nicht entscheidbar" bis "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" der drittunterste Wert. Die akustischen Erkennungszeichen, die von den Sachverständigen ermittelt wurden, sind unter anderem durch eine leichte Schrägstellung des Tonkopfes in dem Gerät verursacht. Niemand kann sagen, ob das nicht auch auf Hunderte andere Geräte zutrifft.

Der Hund in der Kühltruhe

Seine besondere Bedeutung, sagt Oberstaatsanwalt Nemetz, erhalte das Tonbandgerät auch nur als Mosaikstein in einem Geflecht vieler anderer Indizien. Werner M. wohnte damals nur 250 Meter vom Haus der Herrmanns entfernt.

Als passionierter Bootsbauer hatte er alle handwerklichen Fähigkeiten zum Bau der Kiste, in der das Mädchen starb. Er war hoch verschuldet; ein Bekannter hat von ihm den Satz gehört, man müsse mal irgendwie "zwei Millionen auf einmal abräumen" - genau die Summe, die der Erpresser als Lösegeld forderte.

Ein inzwischen verstorbener Zeuge gab an, er habe in M.s Auftrag ein tiefes Loch im Wald gegraben. Am nächsten Tag nahm der Mann alles zurück. Bei der Polizei war man sich nicht einig, ob man die Aussage ernst nehmen könne. Und schließlich passte Werner M. allzu gut in das Bild, das sich die Polizeipsychologen von der Persönlichkeit des Entführers machten: Ein sehr kaltblütiger, skrupelloser und gefühlsarmer Mensch müsse das sein.

Mit modernster Technik auf Beweissuche

Im Leben von Werner M. gibt es einige Episoden, die in dieses Schema passen. Die unerfreulichste davon ist die Geschichte mit dem Hund: M. soll einmal einen jungen Hund, über den er sich aus irgendeinem nichtigen Grund geärgert hatte, kurzerhand in eine Tiefkühltruhe gesteckt haben, wo das Tier elend erfror.

"Der Verdacht gegen M. ist nie widerlegt worden", sagt Nemetz. Für eine Verurteilung freilich reicht das nicht aus. Alle Hoffnungen der Ermittler richteten sich deshalb auf die mit modernsten technischen Mitteln gesicherten DNS-Spuren an den bei der Entführung verwendeten Gegenständen. Neun nicht zugeordnete Spuren gibt es, zwei davon stammen von Frauen. Aber keine davon ergab eine Übereinstimmung mit den genetischen Fingerabdrücken von Werner M. oder seiner Ehefrau.

Und auch die Hoffnung der Ermittler, durch einen großen Lauschangriff zu neuen Beweisen zu kommen, zerschlug sich. Im Anschluss an die Hausdurchsuchung im Oktober 2007 wurden in sämtlichen Wohnräumen und sogar im Auto von Werner M. Abhörgeräte installiert. Aber nichts, was der 58-Jährige während der nächsten beiden Tagen mit seiner Frau redete, taugt als Beweis im Entführungsfall Ursula Herrmann.

© SZ vom 17.06.2008/dgr/gdo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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