Einmalig in Bayern:Sattelfest im Unterricht

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Am Maristen-Gymnasium in Furth steht zwischen Mathe und Englisch auch Reiten auf dem Stundenplan. Zu Besuch an einer Schule, an der generell vieles etwas anders läuft

Von Anna Günther, Furth

Konzentriert hält das Mädchen die Zügel, treibt ihr Pferd an und hebt sich im Leichttrab aus dem Sattel. Das Tier gehorcht. Die Wangen der Reiterin sind rosig, sie wirkt zufrieden. Zwei Stunden zuvor flossen in der Schule noch Tränchen. In der Reithalle ist alles vergessen. Die Redensart vom Glück der Erde auf dem Rücken der Pferde scheinen die Mädchen an diesem Nachmittag nachzuempfinden. Sechs Schülerinnen reiten auf dem früheren Landgestüt Landshut Kreise um Reitlehrerin Rita Riederer und ihre Kolleginnen. Die Siebte sitzt verkehrt herum im Sattel, reckt die Arme in die Luft. Das Pferd geht langsam an der langen Longe. Die Anfängerin soll ein Gefühl fürs Tier und seine Bewegungen bekommen.

Seit wenigen Wochen gibt es am Maristen-Gymnasium in Furth zwei Reit-Klassen. 32 Fünftklässlerinnen haben sich für diesen Projektunterricht angemeldet. Buben? "Kein einziger", sagt Schulleiter Christoph Müller, 45, und schmunzelt. So sei das eben. Die Beziehung von Mädchen zu Pferden ist speziell. Er kennt das, auch seine Tochter reitet. Vielleicht würden sich im nächsten Jahr auch Buben anmelden.

Reiten in der Schule ist selten in Bayern. Müller sagt, seine sei die einzige. Im Ministerium ist nicht bekannt, ob es noch andere Schulen gibt, die ähnliche Konzepte anbieten. Im Rahmen des Projektes "Sport nach 1", bei dem Vereine mit Schulen Schnupperangebote schaffen, sei auch Reiten möglich, heißt es. Am kirchlichen Maristen-Gymnasium aber ist der Projektunterricht im gebundenen Ganztag Pflicht. Diese Kinder bleiben bis 16 Uhr in der Schule und lernen neuen Stoff in Mathe oder Englisch stets im Wechsel mit entspannteren Phasen. Auch nach dem Reiten ist noch Studierzeit.

Die Maristen, eine von Marzellin Champagnats gegründete Brüdergemeinschaft, übergaben das Gymnasium 2006 an die Schulstiftung des Bistums Regensburg. Müller ist seit 2014 Direktor der Schule mit 720 Kindern und 59 Lehrern. Er schuf Strukturen, die in der hierarchischen Schullandschaft selten sind: Er teilt das Büro mit seiner Stellvertreterin Friederike Albiez und bezieht elf Lehrer als erweiterte Schulleitung mit in die Organisation des Gymnasiums ein. Diese kümmern sich zum Beispiel um den Ganztag, die Digitalisierung, internationale Kooperationen oder Wettbewerbe, die Systembetreuung und den pädagogischen Bereich. "Überall sonst wird in Prozessen gestaltet, also machen wir das jetzt auch", sagt Müller. Wie das in der Industrie funktioniert, erlebte er nach seinem Studium ein Jahr lang bei einem Automobilkonzern.

Hat er es nicht so mit Macht? "Die Verantwortung liegt am Schluss bei mir. Wir sind eine ganz normale Schule. Ziel ist die Kinder zu einem guten Abitur zu führen", sagt Müller. In Prozessen zu denken sei wirkungsvoller, auch wenn er Prinzipien wie Gewinnoptimierung oder extremes Leistungsdenken nicht übertragen wolle. Seine Lehrer sollen ausprobieren. Ganztags-Koordinator Kurt Riedl möchte demnächst Epochalunterricht testen: Das Römische Reich etwa könnten Geschichte, Religion, Mathematik oder Natur und Technik gemeinsam vermitteln.

Seit drei Jahren gibt es die Projektklassen am Maristen-Gymnasium. Mittlerweile können die Schüler unter anderem Fußballspielen, Klettern, Theater ausprobieren, ein Blasinstrument lernen, im Tonstudio werkeln oder eben Reiten. Die Klassen bauen aufeinander auf, Sportvereine und die Musikschule sind miteinbezogen, aber das Gymnasium kann die Kinder nur bis zu einem gewissen Niveau ausbilden. Wenn sie weitergehen wollen, müssen sie sich privat engagieren, sagt Müller.

Die Idee zur Reit-Klasse entstand im Skilager. Wenn Franziska Hofmann nicht Englisch und Erdkunde unterrichtet, reitet sie privat Dressur-Turniere - und macht gerade ihren Trainerschein für den Reitunterricht. Müller und Hofmann scherzten erst und erarbeiteten dann ein Konzept: Jede der beiden Reit-Klassen wird geteilt. Mittwochs sind die Ganztagsschüler dran, dienstags alle, die bis 13 Uhr Unterricht haben. Eine Hälfte der Gruppe fährt nach Landshut zum Reitunterricht, die andere auf einen Hof nahe Furth. Dort möchte ihnen Pferdewirtin Liane Ellmann alles rund ums Tier beibringen. Die Schüler sollen lernen, wie sie Pferde richtig putzen, wie diese auf was reagieren, was sie fressen, was Hufschmied und Tierarzt machen.

Elitär findet Müller Reiten an einer Privatschule nicht. Die Schule schaffte Reitkappen, Stiefel und Rücken-Protektoren an, die verliehen werden. 30 Euro kostet der Schulbesuch pro Kind, die Reit-Klasse noch einmal 20 Euro im Monat. Das sei deutlich günstiger als private Reitstunden, sagt er, und für Härtefälle gebe es natürlich Lösungen. Alle Kinder sollen in den Projekt-Klassen profitieren können, eigene Talente erkennen und selbstbewusster werden. "Wie und ob sich das auf die Noten auswirkt, ist schwer zu erfassen", sagt Müller. Aber darauf komme es auch nicht so sehr an. "Es ist gut, wenn die Schüler ihre Lehrer in einer anderen Umgebung erleben, das stärkt die Bindung, auch zur Schule, und trägt vielleicht über die schwierige Phase in der Mittelstufe hinweg." Er meint die Pubertät.

Davon wirken die Fünftklässler an diesem Nachmittag unendlich weit entfernt: Am Pferdehof angekommen, stürmen die Mädchen der anderen Gruppe aus den Autos, kichern und tuscheln aufgeregt. Sie sind zum ersten Mal dort, bisher kam Ellmann in die Schule und erklärte ihnen Theorie. Je drei Mädchen kümmern sich um ein Pony, einen Fuchs und ein Fjordpferd. Vorsichtig wird getätschelt, die samtige Nase erfühlt. Die Erfahrenen putzen drauflos - mit einer Armlänge Abstand. Sicher ist sicher. Die Borsten berühren kaum das Fell. Der Fuchs hebt den Kopf, eine Schülerin zuckt zurück. Tier und Tierfreund müssen sich noch aneinander gewöhnen. "Abstaaaaand!!!", ruft Ellmann alle paar Minuten. Die Mädchen müssen lernen, nicht zu nah hinter den Pferden vorbeizugehen, damit diese sich nicht erschrecken. Dazwischen wuselt ein brauner Labrador-Welpe. Ponyhof-Idyll. Anna, Leoni und Feli haben sich das Fjordpferd namens Mikado ausgesucht. "Weil es schön aussieht", sagt Anna, 10. Ans Maristen-Gymnasium wäre sie auch gekommen, wenn es keine Reit-Klasse geben würde, sagt das Mädchen aus Moosburg. "Dann hätte ich in der Projektzeit halt etwas anderes gemacht." Anna nimmt den Striegel und dreht sich wieder zum Pferd. Keine Zeit, Mikados schlammiger Bauch muss noch geputzt werden.

© SZ vom 02.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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