Ein Baron als Doppelgänger des Märchenkönigs:König Ludwig aus dem Kosmetiksalon

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Er sieht ein bisschen aus wie König Ludwig in Lederhosen: Baron Fleissner von Zastrow. Für seine Frau hat er seine Karriere als professioneller Opernsänger und Schauspieler aufgegeben - dieses Wochenende wird er 75 Jahre alt.

Alexandra Leuthner

Wo soll man anfangen, diesen Mann zu beschreiben? Vielleicht bei seiner Stimme? Ganz sicher, bei seiner Stimme. Sie ist das erste, wovon er spricht, wenn man die Schwelle des Hauses überschritten hat. "Ich möchte ihnen auch etwas vorsingen", sagt Baron Fleissner von Zastrow, indem er einen höflich in den Salon komplimentiert, und setzt hinzu: "Weil manche Menschen sagen, mit 75 kann man nicht mehr singen."

Baron Fleissner von Zastrow in seinem Wohnzimmer. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Vielleicht aber sollte man auch mit seiner Frau anfangen, weil ohne seine Heidi kann der Baron nicht. Für sie hat er seine Karriere als professioneller Opernsänger aufgegeben, vor 37 Jahren einen Kosmetiksalon in Baldham eröffnet und ein bürgerliches Leben begonnen, hat mit ihr eine Tochter, und mittlerweile sogar zwei Enkel. Nein. Ohne sie will er nicht. Was in seinem Leben wichtig war, hatte immer mit ihr zu tun - der Film, die Oper, das Zuhause. Auch beim Interview anlässlich seines 75. Geburtstags muss sie dabei sein. Und wenn er mal - weil er die bayerische Lederhose und das prächtige Geschirr gegen Jeans, ein blütenweißes Hemd und Hosenträger tauscht oder eine CD in die im Gang versteckte Stereoanlage legt - den Raum verlässt, dann erzählt sie eben für ihn weiter.

Carlo nennt sie ihn liebevoll, die Baronin. Eigentlich heißt er Karl, Baron Fleissner von Zastrow. Aber der Vater von Heidi Zastrow - eigentlich Adelheid Baronin Fleissner von Zastrow - war Italiener, stammte aus Mailand. Von ihm hat sie das Temperament geerbt, und die Liebe zur italienischen Sprache, die ja die Sprache der Oper ist. Also ruft sie: "Carlo, mach' doch noch die Haustür zu", als schon die ersten Instrumental-Takte von Carl Loewes Ballade "Die Uhr" erklingen im Empire-Salon im Erdgeschoss des 60er-Jahre-Häuschens, die Stimmen über ein Mikrofon ein wenig Hall bekommen und der schöne Baron mit den glänzend schwarzen Haaren sich in einer Ecke des Raums postiert.

Die Möbel stammen alle aus dem Fleissnerschen Familienbesitz. Der Großvater brachte 1941 alles, was er konnte, heraus aus Böhmen, zu Verwandten nach Passau. Als Karl von Fleissner und seine junge Frau sich 1975 in ihrem Elternhaus in Baldham niederließen, brachten sie alle Sessel, Spiegel, Figuren und Leuchter dorthin. Ein Künstler gestaltete den Stuck an der Zimmerdecke, die Baronin beschaffte irgendwoher eine rote Seidentapete, die einem Schloss stehen würde. "Mein Mann soll sich hier wohlfühlen", sagt sie schlicht.

Gleich neben dem goldenen Afrikaner, der einen Kerzenleuchter stützt, stellt er sich jetzt in Positur und atmet tief in seinen von täglichem Training geformten Oberkörper, um seiner Stimme die Atemstütze zu geben, die sie braucht. Seine Frau, im Dirndl, versinkt in den Polstern eines der Empire-Sessel. Und dann singt er. "Ich trage, wo ich gehe, stets eine Uhr bei mir . . ."

Den Hall, so viel ist klar, hätte es nicht gebraucht, und auch nicht die Entschuldigung des Barons: "Ist ja sonst gar keine Akustik hier." Seine Stimme füllt den Raum, der akkurat gestutzte Musketier-Bart vibriert ein wenig bei den ganz tiefen Tönen. Und weil es ein gar solches Vergnügen ist - "Singen ist gesund, das beruhigt die Nerven" - legt er noch eins nach. Er gibt den Fiesco aus Verdis Oper Simon Boccanegra.

"Con anima", kommentiert seine Frau, die selbst ausgebildete Opernsängerin ist, "mit Seele" müsse man singen, "sonst ist das nichts". Also steht da unvermittelt der Edelmann Fiesco am Totenbett seiner Tochter und hadert mit Gott - in der Mittagspause, den Kosmetiksalon hat er zugesperrt, der vierjährige Enkel kommt gleich zu Besuch. Vorher will er noch schnell in den Keller, in seine "Muckibude", fürs tägliche Training: nicht nur die Stimme fit halten, sondern auch den Körper.

Seine Stimme, betont er, habe er immer gut behandelt, vor einem Auftritt einen halben Tag nicht gesprochen, keinen Wein getrunken am Vorabend. "Heute machen sie ihre Stimmen viel zu schnell kaputt." Dass man ihm aber 75 Jahre so gar nicht ansieht, das liege auch an ihr, sagt er, und schaut zur Baronin hinüber, "wir haben nie Stress miteinander gehabt". "Und an der mediterranen Küche", sagt sie. Bei Fleissners kocht übrigens er.

Man hätte diese Geschichte auch mit dem Film anfangen können. Dort haben sich Carlo und Heidi kennen gelernt, genauer gesagt, in Geiselgasteig beim "Doppelselbstmord" von Ludwig Anzengruber. Das war 1961. Filme, erzählt er, habe er gemacht, um Geld zu verdienen. Schließlich musste er seine Opernausbildung finanzieren, für die er nach München gekommen war. Ein Jesuitenpater in Neuburg an der Donau, wo er aufgewachsen war, hatte seiner Mutter dazu geraten.

Das mit der Filmerei - er spielte in den 60er Jahren mit Schauspielgrößen wie Ruth Leuwerik, Maria Schell, Rudolf Prack - sei Zufall gewesen. Ein Filmproduzent habe ihn auf der Straße angesprochen. Für seine adlige Familie, die im böhmischen Karlsbad 1946 ein kleines Schlösschen zurücklassen musste, seien die Schauspieler ja nichts als "fahrendes Volk" gewesen, erzählt er, und der Tonfall, den er dabei imitiert, macht deutlich, was damit gemeint war.

Andererseits sei für ihn "ein bürgerlicher Beruf nie in Betracht gekommen." Da gab er lieber den König. 26 große Opernpartien hat er gesungen, seit seinem ersten Engagement an der Bayerischen Staatsoper 1961, darunter viele Wagner-Rollen, für die sein Bass-Bariton genau die richtigen beiden Oktaven umfasst. Und immer wieder den König Philipp aus Verdis Oper Don Carlos. Ja, und dann hat jemand entdeckt, dass Baron Fleissner die perfekte Besetzung ist für jenen König, den die ganze Welt heute noch mit Bayern in Verbindung bringt - so sehr, dass er sich "eine Zeit lang nicht in die Nähe eines bayerischen Schlosses getraut" hat, ob mit oder ohne Verkleidung.

Beim Betreten eines Landungsstegs in Starnberg bei einem Filmdreh, in dem er den Ludwig spielte, seien mehrere Menschen schreiend zusammen gelaufen, "der König, der König" hätten sie gerufen, erzählt er und macht unnachahmlich eine Japanerin nach, die ihn vor dem Max II-Monument für eine Sendung im japanischen Fernsehen interviewt hatte. Nicht ihn, versteht sich, den König.

© SZ vom 19.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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