Eichstätt:Nerven wie Drahtseile

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Leicht wackelig: Der angehende Polizist Christian Meier arbeitet sich im Erlebniszentrum Schernfeld auf dem Drahtseil Schritt für Schritt voran. (Foto: wiha/oh)

Im Klettergarten sollen junge Polizisten lernen, Stress und Belastung auszuhalten

Von Wiebke Harms, Eichstätt

Das Zittern ihrer Beine bringt das Drahtseil ins Schwingen, auf dem die junge Frau steht. Regen prasselt in den Tümpel unter Carina Leibbrandt. Sie kann das schlammige Wasser nicht sehen, denn ihre Augen sind verbunden. "Wenn Sie jetzt fallen, werden Sie nass", ruft ein Ausbilder der angehenden Polizistin zu. Leibbrandt kippt nach links, droht das Gleichgewicht zu verlieren. Gerade so kann sie sich an den beiden auf Höhe ihrer Hüften gespannten Seilen festhalten. "Ihr Kollege hat es sogar geschafft, sich um 360 Grad zu drehen", ruft der Trainer und grinst. Er will die Auszubildende provozieren. Sie und ihre Kameraden von der Polizeischule balancieren und klettern an diesem Vormittag im Walderlebniszentrum in Schernfeld bei Eichstätt, um sich stressen zu lassen.

Leibbrandt besinnt sich darauf, was sie gelernt hat. Sie atmet tief durch und dreht sich Zentimeter für Zentimeter um die eigene Achse. "Ich hatte fest damit gerechnet, dass ich ins Wasser falle", sagt die 23-Jährige nach der Übung. "Aber dann habe ich mich zusammengerissen und gekämpft."

Mehr als 1000 Auszubildende der bayerischen Bereitschaftspolizei hangeln sich jedes Jahr beim Stresstraining über diesen Tümpel. Jeder angehende Polizist in Bayern testet zwei Tage lang, wie viel Stress er aushält und was das Adrenalin mit ihm macht. Seit 2005 kooperieren die Forstverwaltung und bayerische Bereitschaftspolizei. Nun haben sie ihre Zusammenarbeit um weitere zehn Jahre verlängert. Die Übungen der Polizei sind gute Werbung für die Einrichtung, schon weil einige der angehenden Beamten später mit ihren Familien wiederkommen. Denn wenn nicht gerade die Polizei hier trainiert, erkunden Schulklassen und Familien die Pfade rund ums Walderlebniszentrum. Für Carina Leibbrandt und ihre Kollegen ist das Stresstraining jedoch kein Spaziergang. Sie simulieren in den zwei Trainingstagen auch eine Walddurchsuchung nach einem Mord, schwingen wie Tarzan über Tümpel und erklimmen eine 13 Meter hohe Strickleiter.

"Stresssituationen sind sehr schwer zu simulieren", sagt Albin Muff. Pädagogen wie er entwickeln Übungen, die künftige Beamte auf reale Stresssituationen vorbereiten. "Auf Streife weiß man nie, was einen erwartet", sagt auch Michael Graf, stellvertretender Abteilungsführer der zweiten Bereitschaftspolizeiabteilung Eichstätt.

Zwar üben Polizisten in ihrer Ausbildung in Rollenspielen, wie sie sich bei Verkehrskontrollen, Unfällen oder Schlägereien verhalten sollen. Dabei kommt jedoch nie der Stress auf, den Beamte im Einsatz spüren. Die Rollenspiele trainieren vor allem Verhaltensmuster: Wie begegnet man einem wütenden Autofahrer, wie kann ein Beamter sich schützen, wenn ein Betrunkener ihm droht? Doch zu wissen, wie sie sich verhalten sollen, reicht nicht: Die jungen Polizisten müssen trainieren, unter Stress, innerhalb weniger Sekunden, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Dafür gehen sie in den Wald. "Im Wald erreicht jeder seien Grenze", sagt Muff. Manche früher, andere erst spät.

Christian Meier ist einer, bei dem es länger dauert. Trotz verbundener Augen balanciert der 20-Jährige mit festen Schritten über das Seil. "Herr Meier, Sie sehen so entspannt aus. Wir können das auch etwas schwieriger machen", ruft der Ausbilder. Als Meyer sich über dem Tümpel um die eigene Achse drehen soll, kippt er auf die Seite, hängt waagerecht in der Luft. "So ein Schmarrn", sagt der junge Polizist, während er sich in die Seile stemmt. Auch bei einer anderen Übung bleibt er ruhig - obwohl er auf einer wackligen Leiter in etwa acht Metern Höhe steht. Kollegen sichern ihn mit Klettergurten. Meier muss ihnen vertrauen. Von unten ruft der Ausbilder Anweisungen hoch: "Schauen Sie nicht nach unten!" Meier starrt konzentriert in die Baumwipfel und springt. Er lächelt, als er in der Luft baumelt.

"Bei der Übung messen wir manchmal den Puls. Bei einigen geht der hoch auf 220 Schläge in der Minute", sagt Pädagoge Albin Muff. Einigen macht die Höhe zu schaffen, besonders für die Sportlichen sei jedoch der Gruppendruck das Schlimmste, erzählt Muff. Sie fürchten, sich vor den Kollegen zu blamieren. Beim Stresstraining im Wald sollen die jungen Polizisten auch lernen zu erkennen, wann der Stress einen ihrer Kollegen aus der Bahn zu werfen droht. Denn im Dienst müssen die Beamten sich aufeinander verlassen können. Dazu gehört auch, wütende Kollegen zu bremsen und panische zu beruhigen.

Carina Leibbrandt hat den ersten Stresstest in der Praxis schon überstanden. In ihrem ersten Praktikum erwischte sie mit einem Kollegen zwei Männer dabei, wie sie Altkleider aus einem Container stahlen. Als die Diebe flüchteten, folgten ihnen die Polizisten. Leibbrandt rannte nach links, ihr Kollege nach rechts. Die junge Frau stellte die zwei Männer allein. "Da habe ich schon gezittert." Wie auf dem Seil habe sie sich dann gezwungen, tief durchzuatmen. "Dann kam zum Glück auch schon mein Kollege."

© SZ vom 29.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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