Durchstarten in der Provinz:Der Weg nach Berlin führt über Hammelburg

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Manuela Rottmann ist zu ihren Wurzeln zurückgekehrt, um als Bundestagskandidatin für die Grünen Stimmen zu holen.

Von Lisa Schnell, Stangenroth

Manuela Rottmann lebte lange in Metropolen wie Berlin und Frankfurt. Jetzt also die Rhönfesthalle in Stangenroth, Unterfranken: Holzvertäfelung, Wirtshausstühle, Frankenwein in Schoppengläsern, an der Wand ein Poster für die nächste "Ballermann Radio Party". Die Bühne ist eingerahmt von braunen Baumwollvorhängen, dazwischen ein naiv gepinseltes Gemälde vom Rhönwald. Rottmann sitzt unter dem dritten Baum von rechts, gut sitzendes Sakko, konzentrierter Blick, den Notizblock vor sich. Ein wenig so wie eine Tagesschau-Moderatorin, die sich plötzlich im Studio von Heimat-TV wiederfindet. Nicht arrogant, sie kommt ja von hier, aber ein wenig fremd in dieser Kulisse.

Über 20 Jahre hat Rottmann in Bayern keine Politik mehr gemacht. Jetzt will die 45-Jährige für die bayerischen Grünen in den Bundestag. Zum ersten Mal seit 2013 hätten die Grünen in Unterfranken wieder eine Stimme in Berlin. Auch wenn es die einer Frau wäre, die bis vor kurzem bei den hessischen Grünen war. Von 2006 bis 2012 war Rottmann Stadträtin für Gesundheit und Umwelt in Frankfurt und wurde sogar als OB-Kandidatin gehandelt. Für fünf Jahre verabschiedete sie sich aus der Politik. Und fängt jetzt ausgerechnet in Bayern wieder damit an. Unverständnis in Frankfurt, Jubel in Unterfranken. Rottmann setzte sich im Bezirk gegen vier Kandidaten durch. Auf dem Parteitag gewann sie den aussichtsreichen Platz sieben auf der Liste. Und das gegen Margarete Bause, die von Landesvorsitzender bis Fraktionschefin bei den Grünen in Bayern schon fast alles war. Was ist das für eine Frau, die in Bayern wie aus dem Nichts kam und nach ganz oben durchmarschiert?

450 Unterfranken blicken hoch zur Bühne, zu den gemalten Bäumen und ihren sieben Direktkandidaten für den Bundestag. Es gab schon ein paar Schoppen Wein und ein paar Lacher. Als sich der FDP-Kandidat in die Aussage hineinverhaspelte, ein Rentenkonzept müsse doch nicht durchgerechnet sein, oder seine Kollegin von der ÖDP ihres mit einem Latte macchiato erklärte. Dazwischen spult die Kandidatin der AfD ihre Sätze so monoton herunter, dass selbst ihr Jubel-Pulk den Einsatz zum Klatschen verpasst. Rottmann aber wirkt mindestens so souverän wie die Berufspolitiker von SPD und CSU. Sie kennt die Fachbegriffe, ohne sich in ihnen zu verheddern. Selten verliert sie sich in Details, schafft es, die großen Linien zu zeichnen.

Bei den meisten Witzen von Kabarettistin Lizzy Aumeier aber, die als humoristische Auflockerung dabei ist, kräuselt sie die Stirn. Gruppenfoto zum Schluss - Dorothee Bär (CSU) wirft sich in Pose, Rottmann lächelt verhalten in der zweiten Reihe. Sachlich, konzentriert, manchmal zu ernst und nicht kämpferisch genug, so das Ergebnis einer Kurzumfrage im Publikum. Wem sie da gerade zuklatschten, wissen die wenigsten. Die Unterfränkin aber nehmen sie ihr ab, dafür rollt sie das R noch gut genug.

Rottmann, in Würzburg geboren, zog mit 14 Jahren nach Hammelburg, ein kleines Städtchen mit spitzem Kirchturm. Sie kennt die Rhönfesthalle noch von den Beat-Club-Abenden, wo die Moschers hingingen, um viel Asbach-Cola zu trinken. Sie ging in die Disko Eiscafe, wo Cure lief. Übergroßer Parka, alte Klamotten, so lief sie in den Achtzigern durch Hammelburg. Eine Zeit, wo schon das Loch in der Jeans für erschrockene Blicke sorgte. Rottmann war das nicht Rebellion genug. Dort, wo immer alle CSU wählten, hing sie mit den paar Grünen rum, die es in der Gegend gab. Sie stritt sich mit den Republikanern und zeigte den Hammelburgern wie man richtig Müll trennte. Ihr Parteibuch holte sie sich 1991 als Unterstützung für die Grünen, die es bei der Wahl fast nicht in den Bundestag geschafft hätten. Seitdem wechselt Rottmann zwischen den Welten, zwischen der Berufspolitikerin und der Juristin, der Welt des Arbeiterkindes und der Studierten. Ihr Erfolg scheint sich genau daraus zu erklären, dass sie an vielen Orten zu Hause ist. Mit 33 Jahren als jüngste Stadträtin in Frankfurt wurde sie zum Politikprofi. Sie lernte, sich vor Journalisten zu rechtfertigen, vor wütenden Bürgern. Auch wenn sie keine Rampensau ist, muss viel passieren, dass Rottmann einen Schweißausbruch auf der Bühne bekommt. Abgehoben aber wirkt sie nicht. Weil sie immer wieder aus der Politik ausstieg, weil sie nach ihrer Zeit als Bundesvorsitzende der Grünen Jugend 1995 ihr Studium beendete und nach dem Stadtrat 2012 als Juristin für die Deutsche Bahn arbeitete. Und weil sie den Blick der Hammelburgerin nicht verlor. Rottmanns Mutter bediente an der Autoraststätte, ihr Vater war Polizist. Rottmann liebte ihr Studium und die Offenheit der Großstadt. Nie aber verließ sie ein gewisses Unbehagen, ein Gefühl im Inneren, dass sie in die Welt ihrer Kommilitonen, die alle irgendwie Cello spielten, nicht ganz rein passte.

Man nimmt ihr ab, dass sie sich nach Jahrzehnten in der Großstadt auch im Stadtcafe am Hammelburger Marktplatz wohl fühlt. Die Wände sind apricot mit Muscheldekoration, die Kissen türkis, den Cappuccino gibt es hier noch mit Sahne. Großstadtdebatten der Grünen, bei denen man meinen könnte, der Christopher Street Day sei das wichtigste für die Menschen, sind nicht ihres, sagt Rottmann.

Sie will - wie sie betont - grüne Politik für das Land machen. "Was brauchen wir wirklich?", die Frage werde vor lauter Förderbescheiden der CSU für dies und das gar nicht mehr gestellt. Etwa ein nachhaltiges Städtebaukonzept, mehr Geschosswohnungen statt Einfamilienhäuser, einen erweiterten Nahverkehr. Das habe die CSU verschlafen. Eines aber könne sie: den Wählern das Gefühl geben, sie seien genauso toll wie Bayern. Da könnten die Grünen in Bayern sich etwas von abschauen, sagt Rottmann.

Redet sie über bayerische Politik kommt meistens der Vergleich mit Hessen. Sie hat immer noch den Blick von außen. Ihre grünen Freunde aus Hammelburg aber gaben ihr einen Tipp, wie sie wieder ganz eine von ihnen wird. Drei Bedingungen müsse sie erfüllen: katholisch sein, Auto fahren und Schafkopf spielen. Religion passt, ein Auto hat sie mittlerweile auch, und beim Schafkopfen arbeitet sie sich gerade zum Status der "Brunzspielerin" hoch. Rottmann fühlt sich bereit für die Hammelburger Politik. Jetzt müssen die Grünen nächsten Sonntag nur noch mindestens acht Prozent schaffen.

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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