Dissertation zu Exorzismus:Tod und Teufel

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Anneliese Michel wurde 1976 im unterfränkischen Klingenberg beerdigt, nachdem sie während einer Exorzismus-Behandlung durch zwei Priester verhungert war. (Foto: dpa/dpaweb)

Anneliese Michel starb vor fast 40 Jahren an den Folgen einer Teufelsaustreibung. Tatsächlich war sie an Epilepsie erkrankt. Nun ist ihre Geschichte erstmals wissenschaftlich aufgearbeitet worden.

Von Katja Auer

Als Anneliese Michel mit 23 Jahren starb, wog sie gerade noch 31 Kilo. Die Studentin war an Epilepsie erkrankt, aber ihre tief religiösen Eltern glaubten, dass ihre Tochter von Dämonen besessen sei. Anstatt sie zum Arzt zu bringen, ließen sie zwei Priester eine Teufelsaustreibung vornehmen. Die junge Frau starb an den Folgen ihrer Unterernährung. Die Eltern und die beiden Geistlichen wurden später wegen fahrlässiger Tötung zu Bewährungsstrafen verurteilt.

Fast vierzig Jahre ist das her, aber der Fall der Anneliese Michel aus dem unterfränkischen Klingenberg ist längst nicht vergessen. Er war Vorlage für Filme wie "Der Exorzismus von Emily Rose" oder "Requiem". Nun ist er zum ersten Mal auch wissenschaftlich aufgearbeitet worden. Die Würzburger Historikerin Petra Ney-Hellmuth hat eine Dissertation vorgelegt und dafür bislang unveröffentlichte Akten ausgewertet. Nicht nur Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft, sondern auch das Bistum Würzburg stellten der Wissenschaftlerin Schriftstücke zur Verfügung, die eigentlich gesperrt waren.

Religiöse und konservative Familie

Der Leidensweg der Anneliese Michel beginnt schon früh. Als Abiturientin hat sie erste Krampfanfälle, sie tobt und zerreißt Rosenkränze, sie will Fratzen gesehen haben. Als die Ärzte Epilepsie diagnostizieren, will das weder sie noch ihr Umfeld akzeptieren. Die Familie Michel ist sehr religiös und dabei konservativ, regelmäßig pilgern die Eltern mit den drei Mädchen nach San Damiano, einem von der Kirche nicht anerkannten Wallfahrtsort in Italien, wo angeblich die Gottesmutter erschienen sein soll. Sie ziehen Pfarrer Ernst Alt zu Rate, der ebenfalls bald davon überzeugt ist, dass Anneliese besessen sei. Weitere Geistliche werden konsultiert, ein als Exorzismus-Spezialist bekannter Jesuitenpater fertigt ein Gutachten an. "A. ist besessen und zwar ist der Hauptteufel ein Judas", steht darin. Ein Priester müsse beauftragt werden, der den Fall übernehme. Der Würzburger Bischof Josef Stangl ordnet daraufhin den Exorzismus an.

Pfarrer Alt und der Salvatorianerpater Arnold Renz beten daraufhin über mehrere Monate regelmäßig Exorzismen und nehmen die Sitzungen auf Tonband auf. Anneliese Michel ist in ihrem Elternhaus völlig isoliert, nur wenige Eingeweihte wissen um die Vorgänge. Ihr geht es immer schlechter, sie schreit und tobt, sie verletzt sich selbst, isst nicht mehr. Weder die Eltern noch die Priester holen einen Arzt. Am 1. Juli 1976 stirbt Anneliese Michel.

Erst danach wird der Fall bekannt und bundesweit in den Medien thematisiert. Ney-Hellmuth hat auch die Berichterstattung ausgewertet, ebenso wie Briefe an den Bischof und das Landgericht Aschaffenburg. "Wer eh schon kritisch war, für den war das Wasser auf den Mühlen", sagt Ney-Hellmuth. So finden sich viele kirchenkritische Stellungnahmen, aber auch solche von Traditionalisten, die den Exorzisten Unterstützung zusichern. Ney-Hellmuth fand heraus, dass der Fall der Anneliese Michel in reaktionären Kirchenkreisen immer noch instrumentalisiert wird, um gegen die Neuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils zu protestieren und den Teufelsglauben aufrecht zu erhalten.

Deutliche Kritik

Bis 1965, gut zehn Jahre vor Michels Tod, hatte das Konzil getagt und weitgehende Reformen in der katholischen Kirche beschlossen. Die Dämonen, die mit unflätigen Ausdrücken angeblich aus Anneliese Michel sprachen, hatten immer wieder gefordert, die Neuerungen rückgängig zu machen. Zwei Jahre nach dem Tod der jungen Frau tauchten die Tonbänder auf Schulhöfen und bei Wallfahrten auf. Pater Renz hatte sie gegen die Anordnung des Würzburger Bischofs veröffentlicht. Auch die traditionalistische Piusbruderschaft um den später exkommunizierten Erzbischof Marcel Lefebvre, die sich gegen die Liturgiereform wandte, soll beim Verteilen mitgeholfen haben. Die Bänder sollten als Teufelsbeweis gelten. Im Internet sind sie auf einschlägigen Seiten noch zu finden.

Die Exorzismus-Befürworter kritisierten Bischof Stangl, weil er sich nach dem Tod Anneliese Michels für eine differenzierte Betrachtung der biblischen Begriffe des Bösen aussprach und die beiden Geistlichen deutlich kritisierte, weil sie keinen Arzt hinzugezogen hatten. Stangl selbst hatte Anneliese Michel nie getroffen. Ob er sich hätte intensiver um den Exorzismus kümmern müssen, sei auch heute nicht eindeutig zu beantworten, schreibt Ney-Hellmuth, "die Echtheit der persönlichen Betroffenheit Stangls steht jedoch zweifelsfrei fest". Er trat kurz darauf zurück und starb wenig später. Eine abschließende Erklärung zum Fall Anneliese Michel gab Stangl nach dem Prozess nicht ab, wie er es der Untersuchung Ney-Hellmuths zufolge eigentlich vorgehabt hätte. Die Deutsche Bischofskonferenz hatte ihm nahegelegt, es bleiben zu lassen. Dafür wurde er wiederum von allen Seiten kritisiert. Besonders schwierig sei das aber für jene Katholiken gewesen, die keiner extremen Richtung angehörten, sagt die Historikerin: "Ihnen fehlte eine abschließende Bewertung des Bischofs."

Nach dem Tod der Studentin überarbeiteten die Bischöfe den Exorzismusritus und schrieben eine medizinische Betreuung fest. Angeordnet werden kann die Teufelsaustreibung immer noch, wenngleich sie offiziell angeblich in kaum einem Bistum stattfindet. In Bayern wurde zuletzt 2007 ein Fall bekannt, als ein pensionierter Priester in Eichstätt einen Exorzismus durchgeführt haben soll. Ohne Erlaubnis des Bischofs.

© SZ vom 14.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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