Dillingen:500 Jahre Geschichte in Minuten vernichtet

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Das historische Rathaus ist bis auf die Außenmauern abgebrannt. Stadträte retten noch einige Gemälde, dann flüchten sie. Womöglich haben Bauarbeiten mit der Brandursache zu tun

Von Christian Rost, Dillingen

Eine Passantin bleibt am Donnerstagmorgen kurz stehen vor dem Dillinger Rathaus. Es liegt Brandgeruch in der Luft. Sie blickt auf die zerborstenen Scheiben des 500 Jahre alten Gebäudes, auf die rußgeschwärzte Fassade und dann hinauf zum Dach, das nur noch als verkohltes Gerippe in den wolkenverhangenen Himmel ragt. Der Frau schießen Tränen in die Augen, sie geht schnellen Schrittes weiter. Fassungslos sind auch vielen anderen Bürger der schwäbischen Stadt, die trotz Nieselregens in die Altstadt gekommen sind, um sich selbst ein Bild davon zu machen, was am Vorabend ein Feuer im denkmalgeschützten Rathaus angerichtet hat: "Furchtbar", sagen sie, "eine Katastrophe." Inmitten der Leute steht Oberbürgermeister Frank Kunz und gibt ein Interview. Auch er wirkt noch schwer angegriffen, er hatte beim Löschen geholfen und dann kaum ein Auge zugetan in der Nacht. "Es ist, als ob das eigene Haus abbrennt", versucht er seine Gefühle zu beschreiben.

Am Mittwochabend gegen 19 Uhr sollte der Stadtrat von Dillingen zu einer Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses zusammenkommen. Kaum waren die Räte im Saal unter dem Giebel des Rathauses eingetroffen, bemerkten sie schon Rauch und Flammen. Sie griffen sich die wertvollen Gemälde von den Wänden und eilten ins Freie. So konnte immerhin das Triptychon von Lothar Schätzl gerettet werden, eine Reihe von vier Bildern, die die Stadtgeschichte beschreiben. "Ein Glück", sagt Oberbürgermeister Kunz, der tapfer versucht, irgendetwas Positives aus dieser Katastrophe herauszulesen. Überschwänglich lobt er die Einsatzkräfte von Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst. Er bedankt sich für die "immense Solidarität" der Bevölkerung: "Es tut gut zu spüren, dass wir geschlossen zusammenstehen." Und nicht zuletzt zeigt er sich erleichtert darüber, das niemand zu Schaden gekommen ist bei dem Brand, der jedenfalls im übertragenen Sinne eine Schneise in die historische Altstadt gerissen hat. Tatsächlich, und dafür haben die am Einsatz beteiligten 80 Feuerwehrleute gesorgt, sind die Fassade und große Teile des zweigeschoßigen Eckhauses mit Giebeln stehen geblieben. Die Flammen haben sich aber im Inneren vom Dachstuhl bis hinunter ins Erdgeschoss gefressen. Dort befindet sich ein Café, das nach dem Alarm am Mittwochabend rasch geräumt werden musste. Der Betreiber hatte gerade noch Gelegenheit, sich die Kassette mit den Tageseinnahmen zu greifen. Alles andere musste er zurücklassen.

Der Schaden an dem Gebäude dürfte in die Millionen gehen, so genau weiß das noch keiner, weil es niemand betreten darf, bis ein Statiker die Standfestigkeit der Mauern und Decken geprüft hat. Auch Brandfahnder Thomas Müller von der Kripo in Dillingen konnte sich noch kein Bild vom Ausmaß des Schadens machen. Vor allem interessiert ihn natürlich, was sich auch die Menschen auf der Straße fragen: Wie konnte es zu diesem verheerenden Brand kommen? Müller will sich partout nicht an Spekulationen beteiligen, doch eines ist offensichtlich: Am Dachstuhl, wo das Feuer offenkundig ausgebrochen ist, waren in den Tagen zuvor Handwerker zugange. Das Gerüst der Arbeiter steht noch an einer Gebäudeseite. Beim ebenso verheerenden Brand acht Monate zuvor im Rathaus von Straubing war ebenfalls am Gebäude gearbeitet worden. Letztlich konnte hier aber keine eindeutige Ursache festgestellt werden. In Dillingen rücken an diesem Freitag Experten des Landeskriminalamtes mit ihrem Spezialgerät an, die das ausgebrannte Rathaus begutachten werden. Brandfahnder Müller wird inzwischen die Handwerker vernehmen und fragen: "Wer hat was wann wo getan?" Müller schließt aber auch einen technischen Defekt als Ursache nicht aus.

Oberbürgermeister Kunz versucht am Tag nach der Katastrophe, den Blick nach vorne zu richten, obwohl, wie er sagt, ihm noch immer das Herz blute, wenn er auf das ausgebrannte Gebäude schaue. Er werde sich mit der Versicherung in Verbindung setzen und "alles dafür tun, dass das Rathaus wieder aufgebaut wird". Zunächst muss er aber die Stadtverwaltung wieder zum Laufen bringen. Der neuere Teil des Rathauses, direkt neben dem historischen Gebäude, ist zum Glück nicht stark in Mitleidenschaft gezogen worden, das konnte die Feuerwehr mit ihrem massiven Löscheinsatz verhindern. Doch die Mitarbeiter aus dem zerstörten Teil des Rathauses - neben zwei Sitzungssälen befanden sich dort mehrere Büros - müssen irgendwo untergebracht werden. Techniker sind bereits damit beschäftigt, die beschädigte EDV-Anlage wieder zum Laufen zu bringen. OB Kunz ist zuversichtlich, dass das gelingt - immerhin. Etliche Akten aus den betroffenen Büros sind indes nicht mehr zu retten. Arbeiter haben bereits mit der Entsorgung der verbrannten und mit Löschwasser durchtränkten Ordner begonnen.

In einer Personalversammlung informiert Kunz die Mitarbeiter über den Stand der Dinge und schickt sie dann nach Hause. Die Rathausverwaltung bleibt geschlossen. Er müsse sich zunächst einen Überblick verschaffen, sagt der OB. Für die Bürger ist inzwischen ein Telefon-Notdienst eingerichtet worden, der alle Anrufe entgegen nimmt. Solidarisch zeigen sich die Nachbarstädte Höchstädt und Lauingen mit Dillingen. Sie wollen in ihren Bürgerbüros auch die dringenden Anliegen von Dillinger Bürgern bearbeiten.

© SZ vom 28.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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