Der Fall Ursula Herrmann:Wenn Beweise vergammeln

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Im Fall Ursula Herrmann ist zwar ein Verdächtiger festgenommen worden - eine DNS-Spur, die auf Werner M. als Täter hinweist, gibt es jedoch nicht. Und die bislang präsentierten Indizien reichen für eine Verurteilung bei weitem nicht aus.

Hans Holzhaider

Mord nach 16 Jahren aufgeklärt" - das war im Mai 2002, vor sechs Jahren also, noch eine Sensationsmeldung. 1986 hatte ein Mann ein Mädchen mit einer Schneestange erschlagen, die Polizei konnte ihn aber nicht überführen.

Der Nachbau einer Kiste, in der Ursula Herrmann qualvoll erstickte, und das Fahrrad des Mädchens (Foto: Foto: AP)

Im Sommer 2001 gelang es schließlich, aus den Resten von Hautpartikeln, die unter den Fingernägeln des ermordeten Mädchens gefunden wurden, ein zuverlässiges DNS-Muster zu isolieren. Alle Männer, die den Ermittlern aufgefallen waren, mussten eine Speichelprobe abgeben - und flugs hatte man den Täter. Er legte sofort ein Geständnis ab.

Seitdem hat man sich an solche Meldungen gewöhnt. Dutzende unaufgeklärter Mordfälle, teilweise bis zu 30 Jahre zurückliegend, wurden gelöst. Die Methodik der DNS-Analyse ist so weit fortgeschritten, dass die Polizei aus winzigsten Blutströpfchen, aus Bruchstücken von Haaren oder aus vertrockneten Speichelanhaftungen an einer Briefmarke beweiskräftige Spuren gewinnen kann. Der "genetische Fingerabdruck" ist zum Schrecken aller Strafverteidiger geworden - gegen dieses Beweismittel, so scheint es, ist nichts auszurichten.

Aber erst einmal muss man ihn haben, den genetischen Fingerabdruck. Und der Fall Ursula Herrmann, der jetzt eine so spektakuläre Wende genommen zu haben scheint, liefert ein gutes Beispiel dafür, mit welchen Problemen die Ermittler bei einem so lange zurückliegenden Verbrechen kämpfen. Die Holzkiste, in der das Mädchen gefangen war, lag tief im feuchten Waldboden vergraben - in einem solchen Milieu werden mögliche DNS-Spuren schnell zerstört.

Das Kinderfahrrad, auf dem Ursula unterwegs war, wurde Zentimeter für Zentimeter "abgeklebt", um Fingerabdrücke zu sichern. Damit vernichteten die Ermittler möglicherweise vorhandene DNS-Spuren. Sie wussten im Jahr 1981 schlicht noch nichts von den wissenschaftlichen Möglichkeiten, die erst zehn Jahre später entstanden.

So kommt es, dass die DNS-Analytik, dieses Wundermittel der modernen Kriminalistik, den Fahndern im Fall Ursula Herrmann nicht weiterhilft. Es gibt keine DNS-Spur, die auf den jetzt verhafteten Werner M. als Täter hinweist. Und leider muss man feststellen, dass die Indizien, die Staatsanwaltschaft und Polizei bisher öffentlich präsentierten, für eine Verurteilung bei weitem nicht ausreichen werden.

Ein Tonbandgerät, dessen individuelle technische Merkmale es "wahrscheinlich" machen, dass dieses Gerät bei der Erpressung zum Einsatz kam - jeder halbwegs fähige Verteidiger wird diese Beweisführung vor Gericht zerpflücken. Kann jemand ausschließen, dass es weitere Tonbandgeräte mit ähnlichen Merkmalen gibt? Niemand kann das. Zwei Zeugen, die dem Beschuldigten damals ein Alibi gaben, von dem die Staatsanwaltschaft überzeugt ist, dass es falsch war - wie soll man beweisen, ob eine Person vor 27 Jahren zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort war oder nicht? Ein nahezu aussichtsloses Unterfangen.

Noch, sagt die Staatsanwaltschaft, habe sie nicht alles veröffentlicht, was sie hat. Man kann, im Interesse der Aufklärung dieses abscheulichen Verbrechens, nur hoffen, dass es beweiskräftige Indizien sind. Oder dass es gelingt, den Verdächtigen, wenn er denn der Täter sein sollte, zu einem Geständnis zu bewegen. Im Augenblick jedenfalls stellen Schlagzeilen wie die der Abendzeitung vom vergangenen Freitag: "Ursula Herrmann - ihr Mörder ist gefasst" eine unzulässige Vorverurteilung dar.

© SZ vom 02.06.2008/aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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:Mordfall Ursula Herrmann

1981 wurde die zehnjährige Ursula Herrmann auf dem Heimweg vom Turnunterricht in Eching am Ammersee entführt. 19 Tage später fand die Polizei ihre Leiche in einer im Waldboden eingelassenen Holzkiste.

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