Der Erfahrenste:"Ich war stolz auf ihn"

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Peter Stückl macht bereits zum zehnten Mal bei den Passionsspielen mit. Auch in Israel war er wieder dabei - hier im Österreichischen Hospiz in Jerusalem. (Foto: Sebastian Beck)

Peter Stückl ist seit 1950 bei jeder Passion dabei, dieses Mal wieder als Priester Annas. Er erinnert sich auch noch gut an die erste Theaterregie seines Sohns Christian - mit einer geraubten Puppe als Christus

Interview von Sebastian Beck und Christiane Lutz

SZ: Seit 1950 haben Sie bei jeder Passion mitgespielt. Wird man da ein besonders gläubiger Mensch?

Peter Stückl: Das ist eine schwierige Frage. Es macht einen Unterschied, ob man an Gott glaubt oder an die katholische Kirche. An die glaube ich nicht, denn sie lebt immer noch im Mittelalter. Der Gottesdienst - immer das Gleiche, auf und nieder, immer wieder. Nicht auszuhalten.

Die Passion hat also nichts gebracht ...

Meine Muter war evangelisch, der Vater und seine Verwandtschaft waren katholisch. Ich habe da eigentlich ein ganz offenes Verhältnis entwickelt, ich bin als Kind sowohl mit der Mutter als auch mit dem Vater in die Kirche gegangen. In der katholischen Kirche war es für einen Buben freilich viel interessanter - die ganzen Farben und der Prunk. In der evangelische Kirche war es schon ein bisschen langweilig.

Wie stark hat sich seit 1950 die Passion verändert?

Damals war alles noch in einem furchtbar frommen Nazarener-Stil gehalten. Christus hat mit schräg gehaltenem Kopf auf der Mittelbühne das Abendmahl gefeiert. Mein Sohn Christian hat das verändert: Er hat ein Zelt auf die Bühne gestellt, in dem sie das Abendmahl gefeiert haben.

Was war Ihre erste Rolle?

Ich war als Kind beim Volk dabei. Meine erste Erinnerung ist, dass ich in der Kantine von meinem Großvater Wiener Würstl bekommen habe. Und den Text konnte ich natürlich sofort auswendig: "Was sehe ich hier? Ist das Gottes Haus oder ein Marktplatz?" Die Lehrerin hat uns in Zweierreihen von der Schule ins Theater geführt. Die Buben hat man danach nicht mehr gefunden, nur die Mädel sind wieder zurück in die Schule. Das Passionstheater war eine Fundgrube für uns Hundlinge. Wir sind hinaufgekraxelt, so weit es ging, oder unten in den Maschinenraum gegangen, wo die Vorhänge hingen. 1960 war ich dann im Chor der jüngste Bass. 1970 spielte ich den Priester Nathanael. Da klang der Text noch ganz anders: "Wer es noch mit unseren Vätern Abraham, Isaak und Jakob hält, der trete zu uns, auf alle anderen falle der Fluch des Moses." Das hat man dann abgeschwächt. Nächstes Mal hat Nathanael nur noch gesagt: "Wer es noch mit unseren Vätern hält, trete zu uns."

Hat Sie das Frömmelnde damals gestört?

Überhaupt nicht! Da hat sich keiner Gedanken darüber gemacht, ob das antisemitisch ist oder nicht, von uns Jungen sowieso niemand.

Sie haben viele Rollen durchlaufen ...

Ja, 1977 wurde die Rosner-Passion von Spielleiter Hans Schwaighofer aufgeführt. Da habe ich den Judas gespielt. Das war eine ganz tolle Rolle. Den Text hatten sie immer so verspottet, weil er in Versform war. Aber ich finde, dass der Text spitze war. Man durfte ihn halt bloß nicht wie Wilhelm Busch aufsagen. Aber dafür, dass der Text von Pater Ferdinand Rosner aus dem Jahr 1750 stammte, war er schon ziemlich modern. Da bin ich auf die Mittelbühne gegangen und habe gesagt: "Dem Geld steht offen Tür und Tor, das Geld geht Gott und Menschen vor. Wer dieser Zeit will was gewinnen, muss sich nicht auf das Recht besinnen." Also, so altmodisch ist der Text nicht. 1980 war ich dann der junge Kaiphas, da hat man ja Energie ohne Ende, 1984 gleich noch einmal mit dem gleichen Text und wieder unter Spielleiter Hans Schwaighofer. Der war Holzschnitzer. Die Szenen hat er wie eine Krippe aufgebaut.

... holzschnitzartig ...

... ja, genau. 1990 hat Christian gesagt: So, Papa, Du lernst jetzt endlich mal was anderes. Dann habe ich aber doch noch einmal den Judas gemacht.

Wie ist das, wenn der Sohn Chef ist?

Das war überhaupt kein Problem. Ich war stolz auf ihn. Wenn er sagt: Vater, stell dich so hin, dann muss man dankbar sein.

Von wem hat er die Lust am Theater gelernt?

In unserer Wirtschaft hat man immer am Stammtisch diskutiert. Christian hat sich als Kind mit seiner Limonade hingeschlichen und zugehorcht. Wir hatten ja alle Fraktionen am Stammtisch, und die haben gerne über das Passionsspiel gestritten. Sein erstes Theater war ein Krippenspiel. Dafür hat er seiner Schwester eine Puppe geklaut. Dann hat er "Zwerg Nase" gemacht mit 40 Kindern, dann den "Kleinen Muck", alles zusammen mit seinen Freunden. Später kam von Molière der "Eingebildete Kranke" oben im Wirtshaussaal dazu.

War Ihnen schon früh klar, dass das Theater der Weg für Ihren Sohn ist?

Ja, absolut! Christian hat Holzschnitzer gelernt, er konnte aber keine Stunde stillhalten und sitzen. Das war unmöglich. Das hat er von meinem Opa geerbt. Der war Vorstand von sämtlichen Vereinen, bloß Geld hat er nicht heimgebracht. Darum musste sich seine Frau kümmern. Sie hat während der Passionsspiele die Zimmer vermietet, die Kinder mussten derweil im Hühnerstall schlafen.

Ohne die Passionsspiele ist Ihr Leben nicht denkbar?

Nein, eigentlich nicht. Ich bin hier im Dorf aufgewachsen. Man hört ein Jahr vor der Premiere von nichts anderem mehr als von der Passion. Und da will man natürlich dabei sein. Das geht schon als Kind los. Mein ältester Enkel ist ein Jubiläumskind: Er ist 1984 geboren, im Jahr der Passionsspiele zum 350. Jubiläum.

Hat Sie die Rolle des Jesus nie gereizt?

Nein, nie! Das war die langweiligste Sache. Jesus hat nachmittags überhaupt nichts mehr gesagt, sondern nur noch gelitten. Der Kaiphas war mir hundert Mal lieber.

Dieses Mal sind sie wieder der Priester Annas. Den kennt der Bibel-Laie nicht.

Kaiphas und Annas sind die beiden Hohepriester. Annas wurde abgesetzt und durch Kaiphas ersetzt. Pilatus kann es besser mit Kaiphas, Annas ist konservativer und unverträglicher.

Und was sagt er so?

"Zu unserer Schande mussten wir mit ansehen, wie der Galiläer mit seinem Anhang durch die Tore und Gassen unserer heiligen Stadt gezogen ist. Du warst Augenzeuge, wie der Hochmütige sich die hohepriesterliche Würde angemaßt und sich erfrecht hat, als Herr im Tempel Gottes zu schalten. Was fehlt noch zum völligen Umsturz Aller staatlichen und göttlichen Ordnung?"

© SZ vom 14.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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