CSU: Atomdebatte:Die Graswurzelrevolution

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Rolle des Protests aus den eigenen Reihen: Überall stellen sich CSU-Gemeinderäte gegen den Atomkurs von Parteichef Horst Seehofer. Grüne und ÖDP feuern den Protest an.

Max Hägler

CSU-Chef Horst Seehofer wollte die Sache mit dem Nein gegen die Atomkraft noch als "lokale Dinge" abtun. Solche Ausreißer wie in Landshut müsse man in einer großen Partei gelten lassen, beschwichtigte er die Parteikollegen dem Vernehmen nach im CSU-Vorstand. In Landshut war Ungewöhnliches geschehen: Die eigenen CSU-Stadträte hatten gegen die Verlängerung der Laufzeit für das Atomkraftwerk Isar I gestimmt. Mit dabei: der CSU-Oberbürgermeister.

In der Debatte um die Verlängerung von AKW-Laufzeiten hat sich in der CSU ein Streit entwickelt. (Foto: ddp)

Seehofer klopfte am Dienstag eilig die offizielle Linie fest: Das bayerische Kabinett verständigte sich darauf, die Atomkraft sei "als Brückentechnologie bis auf weiteres nicht verzichtbar". (siehe Kasten) Mit dieser Position will die Landesregierung nun im Herbst in die Debatte um ein bundesweites Energiekonzept gehen.

Doch schon rollt die Welle des Protests auf die CSU zu - auch aus den eigenen Reihen. Nicht nur die CSU-Räte in Landshut wenden sich gegen eine Laufzeitverlängerung des alten Kraftwerks Isar 1. Auch die kleine Nachbargemeinde Kumhausen hat nachgezogen, auch hier wieder mit CSU-Stimmen. In Dachau hat der Stadtrat gegen einen Weiterbetrieb von Isar 1 gestimmt - ebenfalls mit Stimmen aus der CSU. Und in Schweinfurt gab es jüngst eine Resolution gegen die Atomkraft: Der dortige Stadtrat wandte sich mit den Stimmen von FDP, CSU und des CSU-Oberbürgermeisters gegen eine Laufzeitverlängerung des Kernkraftwerks im rund zehn Kilometer entfernten Nachbarort Grafenrheinfeld. Auch diese Anlage gehört zu den älteren in Bayern und habe, so der Stadtrat, Wände, die dem Absturz eines Passagierflugzeugs nicht standhalten würden. Der Schweinfurter Stadtrat fordert deshalb ein Abschalten zum bislang vereinbarten Zeitpunkt im Jahr 2014.

Und es formiert sich weiterer Protest. Grüne und ÖDP haben die unerwartete Vorlage der Landshuter CSU-Politiker aufgegriffen und fordern Stadt- und Gemeinderäte in ganz Bayern auf, den Antrag auf baldige Abschaltung in ihre Parlamente einzuspeisen. Zugleich wirbt die konservative Umweltpartei ÖDP in den kommenden Wochen mit Postkarten bayernweit für ein Abschalten. "Wir haben den Kreisverbänden empfohlen, diese Resolution jeweils vor Ort abzustimmen", sagt Urban Mangold, Landesgeschäftsführer der ÖDP und zweiter Bürgermeister in Passau. Es lasse sich ja jederzeit ein lokaler Bezug herstellen, sagt Mangold. "Wenn ein Atomkraftwerk in die Luft fliegt, ist jede Kommune in Bayern betroffen." Bei ihm in Passau, gut 80 Kilometer Luftlinie von Isar 1 entfernt, wird das Thema im Ferienausschuss des Stadtrats am 16. August behandelt. Mangold glaubt an eine "ganz breite Zustimmung".

Tatsächlich zeigt sich die Passauer CSU zumindest gesprächsbereit. Er habe sich noch nicht festgelegt und wolle "ergebnisoffen" über das Thema diskutieren, sagt CSU-Fraktionssprecher Armin Dickl. Das Problem in Passau und Ostbayern sei aber auch die Atomanlage Temelin in Tschechien, nur 60 Kilometer von der Grenze entfernt. "Und die macht mir mehr Sorgen als Isar1." Die bestehenden vier Reaktorblöcke in Temelin haben immer wieder Pannen. 3000 Liter radioaktive Kühlflüssigkeit sind im Jahr 2004 ausgetreten. Vor einiger Zeit soll bei einer ungeplanten Abschaltung radioaktiver Dampf entwichen sein. Jetzt will Tschechien zusätzlich zwei weitere Reaktoren bauen.

Angesichts solcher Pannenanlagen bezeichnet Umweltminister Markus Söder Resolutionen gegen bayerische Atomkraftwerke als "Schildbürgerstreich". Schließlich müsste man nach dem Abschalten bayerischer Reaktoren dann Strom importieren, zum Beispiel aus Temelin. "Wir sind doch schon derzeit eher Stromexporteur als Importeur", wendet die Grüne-Chefin Theresa Schopper ein. Das bedeute, dass man einzelne Anlagen abschalten könne und dennoch nicht gezwungen sei, Atomstrom einzuführen. Auch in der Landshuter CSU will man dem Anschein der Scheinheiligkeit entgegentreten. Dort überlegt man nun, der Isar-1-Resolution auch noch einen Appell gegen Temelin hinterher zu schieben. Und schließlich ist da auch noch der Druck aus Österreich. Beinahe wöchentlich äußern Politiker aus Wien oder Linz ihre Sorge in Bezug auf Temelin - aber auch wegen des alten deutschen Reaktors Isar 1.

Grünen-Chefin Schopper rechnet mit einem heißen Herbst. Und die bayerische SPD ruft bereits für den 9. Oktober in München zu einer Anti-Atom-Demo auf.

© SZ vom 04.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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