Bunkeranlagen am Obersalzberg:Ein Geheimnis wird gemacht

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Ein israelischer Journalist musste draußen bleiben: Die NS-Bunker am Obersalzberg werden vom Finanzministerium eifersüchtig bewacht - selbst gegen Gutwillige.

Hans Holzhaider

Ein israelischer Journalist möchte einen Dokumentarfilm über den Obersalzberg drehen, Adolf Hitlers privaten Wohnsitz von 1928 bis 1945, und er möchte mit seinem Kamerateam auch Zugang zum Luftschutzbunker Hitlers bekommen.

Eine mit Stahlplatten befestigte Schießscharte gibt den Blick frei auf eine Treppe in der Bunkeranlage unter dem Obersalzberg. (Foto: Foto: dpa)

Herr über diese Anlage ist das bayerische Finanzministerium - das gesamte Areal auf dem Obersalzberg, von dem die Nazis in den dreißiger Jahren die dort ansässigen Bauern und Pensionsbesitzer vertrieben haben, gehört dem Freistaat Bayern als Rechtsnachfolger der NSDAP, der Partei Hitlers. Das Finanzministerium aber sagt Nein.

Der Journalist darf überirdisch filmen, wo er will; als unterirdischen Drehort bietet man ihm den Luftschutzbunker des Reichsmarschalls Hermann Göring an, Hitlers Bunker bleibt tabu (die SZ berichtete).

Unverständnis herrscht auf beiden Seiten. Was ist so Besonderes an Hitlers Bunker, dass er nicht hinein darf, wundert sich der Journalist. Was ist so Besonderes am Bunker, dass der Israeli unbedingt hinein will, obwohl es dort nichts zu sehen gibt außer nackten Betongängen, fragt man sich im Ministerium.

Weder die eine noch die andere Frage ist leicht zu beantworten. Der Obersalzberg hat in den Jahren zwischen Hitlers Aufstieg zur Macht und der Jahrtausendwende sein Gesicht so oft und so gründlich verändert wie kaum eine bayerische Landschaft.

Bis 1930 war das Gebiet geprägt von uralten Bergbauernhöfen und einigen Pensionen, in denen bessergestellte Herrschaften ihre Sommerfrische verbrachten. Dann kaufte Hitler das relativ bescheidene Landhaus "Wachenfeld", nach seiner Wahl zum Reichskanzler zog ein Großteil der NS-Machtelite auf dem Obersalzberg ein: Göring, Martin Bormann, Albert Speer.

Kasernen für die SS wurden aus dem Boden gestampft, das Hitlers Domizil unmittelbar benachbarte Hotel "Zum Türken" wurde Hauptquartier des Sicherheitsdienstes.

Von 1943 an wurde der Berg ausgehöhlt wie ein Kaninchenbau. Hitler, Bormann und Göring ließen sich jeweils eigene, teils miteinander verbundene Luftschutzbunker bauen, die mit allem versehen waren, was zum Überleben und zur Kommunikation nach außen notwendig war.

Hitlers Bunker war der größte: 614 Meter Gänge, 19 Kavernen, mit Privaträumen für Hitler, seinen Diener, seine Gefährtin Eva Braun, den Leibarzt Dr. Morell, mit Küche, Telefonzentrale, Privatarchiv, Operationsraum, Hundezwinger, gesichert mit Gasschleusen und Maschinengewehrständen. 65 Marmorstufen führten von der rückwärtigen Wand des "Berghofs" in den Bunker, es gab zwei Notausgänge und einen Verbindungstunnel zum SD-Hauptquartier, dem früheren und späteren Hotel "Zum Türken".

Keiner der Bunker hat das Leben der Nazibonzen verlängert; weder Hitler noch Bormann noch Göring waren auf dem Obersalzberg, als am 25. April 1945 britische Bomber die NS-Bauten dort in Schutt und Asche legten. Die Bunker hielten den Bombenabwürfen ohne weiteres stand, aber sie wurden bald radikal geplündert - zuerst von US-Soldaten, dann von Anwohnern, die nach und nach wieder auf dem Obersalzberg angesiedelt wurden. Lebensmittel, Teppiche, Wandverkleidungen, Kacheln, Kabel - nichts blieb zurück außer den nackten Betonwänden.

Ein lukratives Geschäft

Jahrelang war das gesamte Bunkersystem für jeden, der sich auskannte, zugänglich, bis die Zugangsstollen mit massiven Eisentüren gesichert wurden. Nur ein Zugang blieb offen.

Die Tochter des früheren Hoteliers "Zum Türken" erhielt als einzige der ehemaligen Hausbesitzer ihr Eigentum zurück und darüber hinaus das Recht, Touristen durch den auf ihrem Anwesen mündenden Schacht in einen kleinen Teil des ehemaligen Hitlerbunkers zu führen - eine hübsche Einnahmequelle, auch wenn öfter mal neu getüncht werden musste, wenn Besucher unbemerkt ein Hakenkreuz oder SS-Runen an die Wand gemalt hatten.

Der Freistaat Bayern konnte sein Eigentümerrecht auf dem Obersalzberg lange Zeit nur eingeschränkt ausüben, denn das Gelände stand bis 1995 in der Verfügungsgewalt der US-Armee. Sie nutzte den Obersalzberg als "Recreation Area" für ihre Soldaten, mit Hotel, Golfplatz und Skiliften. Das von den Amerikanern nicht in Anspruch genommene Gelände wird touristisch genutzt, hier fahren die Omnibusse zum 1881 Meter hohen Kehlstein ab, wo Bormann für Hitler ein monumentales "Teehaus" bauen ließ - das einzige Nazibauwerk auf dem Obersalzberg, das der Zerstörung entging.

Lesen Sie auf der nächsten Seite über den CNN-Journalisten, dem der Zutritt zur Bunkeranlage verweigert wurde - und welches Medium drehen durfte.

Erst als die Amerikaner 1995 den Obersalzberg räumten, machte man sich in München Gedanken darüber, was hier in Zukunft stattfinden sollte. Die Nachkommen der einst enteigneten Altbesitzer machten sich vergeblich Hoffnung auf Rückerstattung ihres Eigentums. Der Freistaat wollte das Gelände unter seiner Kontrolle behalten, er fürchtete braunen Nostalgietourismus.

Die kümmerlichen Überreste von Hitlers Wohnhaus wurden nun eingeebnet, der alte "Platterhof", den die Amerikaner als Hotel genutzt hatten, gegen den Protest von Denkmalschützern abgerissen. Im Hause von Finanzminister Kurt Faltlhauser tüftelte man an einem "Zwei-Säulen-Konzept" - einerseits historische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in einer Dokumentationsstätte, andererseits ein neues touristisches Konzept. Auf dem Eckerbichl, wo Göring und Bormann ihre Privathäuser gebaut hatten, entstand ein monumentales Fünf-Sterne-Hotel.

Uneingeschränkte Dreherlaubnis

Die Dokumentationsstelle wurde ein durchschlagender Erfolg - in den ersten zehn Jahren kamen mehr als 1,3 Millionen Besucher in die Ausstellung in Hitlers ehemaligem Gästehaus. Das Hotel floriert nicht ganz so gut, der Freistaat muss immer wieder stattliche Millionenbeträge zuschießen. Dazwischen gibt es nichts - alles, was sozusagen unkontrolliert an Hitler und seine Kumpane erinnern könnte, wurde plattgemacht, zugeschüttet oder verrammelt, und wer sich dafür interessiert, erhält eine Abfuhr.

So erging es 2005 Frank Sesno, dem damaligen Chefkorrespondenten des Nachrichtensenders CNN im Weißen Haus, und so ergeht es jetzt wieder dem israelischen Journalisten Menashe Raz. Aber es gibt auch Gegenbeispiele.

So durfte 2003 Michael Kloft von Spiegel TV uneingeschränkt in allen Bunkeranlagen filmen; Bedingung war die Zusammenarbeit mit der Dokumentationsstelle und dass das Filmmaterial alle Interessierten nutzen dürfen. "Wir haben Herrn Raz angeboten, im Göringbunker zu drehen", sagt Ministeriumssprecherin Tina Dangl, aber Menashe Raz erwies sich als ebenso stur wie das bayerische Ministerium: Er beharrte darauf, mit einer Exklusivgenehmigung und ohne jede Beschränkung "zu filmen, wo noch niemand je zuvor gefilmt hat".

Wem die beidseitige Dickköpfigkeit dient, ist nicht ersichtlich. Die Verweigerung des Ministeriums versieht die nackten Betongänge unter dem Obersalzberg mit einer Aura des Geheimnisvollen, die ihnen in keiner Hinsicht zukommt. Der Berchtesgadener Historiker Florian Beierl, der die Geschichte der Bunkeranlagen kennt wie kein Zweiter, sagt: "Das ist der völlig falsche Weg, mit Geschichte umzugehen. Zwischen Dokumentationsstelle und Luxushotel liegt heute auf dem Obersalzberg ein historisches Niemandsland. Aber man kann Geschichte nicht in eine, wenn auch erfolgreiche, Dokumentationsstelle einsperren."

© SZ vom 13.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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