Bayern nach dem Volksentscheid:Der Tatbestand der Gemütlichkeit

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"We are we and we write us us/it's Bavarian Liberalitas." Die von der Biermösl Blosn besungenen Zeiten scheinen nun endgültig vorbei. Doch das anarchische Volk der Bayern wusste sich immer zu behelfen.

Hans Kratzer

Nach dem Volksentscheid ist nun häufig die Klage zu hören, das strenge Rauchverbot, das künftig in Bayern gelten wird, markiere das Ende der Liberalitas Bavariae. Mehr Vorschriften, mehr Reglementierung, mehr Kontrolle: Das widerspreche dem bayerischen Lebensgefühl.

Die Liberalitas Bavariae wird in Bayern häufig strapaziert. Es ist die Rede von Gemütlichkeit, Großzügigkeit, Freundlichkeit. Und doch steckt etwas ganz anderes dahinter. (Foto: ddp)

Freilich, die Liberalitas Bavariae ist ein schillernder Begriff, erst recht mit Blick auf die Kultur des Rauchens, die in Bayern bisher ein breites Fundament hatte. Zweifellos sind viele große Werke der Literatur, der Musik und der Kunst vom Tabakgenuss inspiriert worden. Und dass große Politik oft in verrauchten Hinterzimmern gemacht wurde, das beschrieb Lion Feuchtwanger in seinem phänomenalen Bayernroman "Erfolg" in zeitloser Gültigkeit. Wie sehr sich das Rauchen und die Liberalitas Bavariae bedingten, das zeigt auch ein Blick auf den früheren Reichstagsabgeordneten Georg Eisenberger aus Ruhpolding.

Eisenberger, ein begnadeter Parlamentsredner, fuhr in den 1920er-Jahren in seiner Bauerntracht zum Regieren nach Berlin. Wie er in seinem Tagebuch festhielt, saß er in einem Erste-Klasse-Abteil, zusammen mit zwei feinen Damen, die einigermaßen düpiert reagierten, als sich der Bauer mit seinem Rucksack zu ihnen gesellte. Eisenberger war deren hochnäsiger Blicke bald überdrüssig und zündete sich seine Pfeife an. Der Tabak war "a bissl stark", gab er zu.

Die Abgründe der Freiheit

Als ihn die Begleiterinnen fragten, wie lange er zu rauchen gedenke, sagte er: die ganze Nacht. Sofort riefen die Damen den Schaffner, er solle den Fahrgast kontrollieren, der sei falsch ins Erste-Klasse-Abteil eingestiegen. Eisenberger aber sah, als eine der Damen ihr Riechfläschchen aus dem Täschlein zog, dass diese selber nur ein Billett zweiter Klasse besaß, was er dem Schaffner auch kundtat. Alsbald hockte der Abgeordnete allein im Abteil, drückte die Pfeife aus und schlief selig ein.

Die Geschichte zeigt durchaus mögliche Abgründe der Liberalitas Bavariae, selbst wenn sie im Sinne Eisenbergers als "Leben und leben lassen" verstanden wird. Eigentlich beinhaltet sie lauter Tugenden, für die sich der Bayer gerne rühmt, Toleranz, Großzügigkeit, Freundlichkeit. Deshalb wird die Liberalitas Bavariae auch so oft strapaziert. Und doch steckt etwas ganz anderes dahinter.

Der Begriff wurde wohl im frühen 18. Jahrhundert im oberbayerischen Kloster Polling erfunden. Jedenfalls steht über dem Hauptportal vor der Stiftskirche in Versalien geschrieben: "Liberalitas Bavarica" (nicht "Bavariae").In der Fachliteratur wird die Ikonologie des Portals so erklärt, dass Liberalitas hier die Freigebigkeit der bayerischen Herrscher zum Ausdruck bringt, die den Bestand des Klosters sicherten.

Im weitesten Sinne steckt also der Gedanke des Sponsorings hinter dem großen Wort Liberalitas Bavarica. Erst viel später wurde daraus eine Art bayerische Ideologie gestrickt, die nun wegen des Rauchverbots angeblich in Gefahr ist.

Vor allem der königstreue Autor Georg Lohmeier wollte mit der Umwandlung des Wortes Bavarica in Bavariae einen bayerischen Stammescharakter definieren, der sich am Klischee orientierte und bis hin zum Tatbestand der Gemütlichkeit reichen sollte.

Kauen statt qualmen

Als freilich 1992 beim G7-Gipfel auf dem Münchner Marienplatz Demonstranten eingekesselt und zum Teil mit Schlagstöcken verletzt wurden und Ministerpräsident Max Streibl danach tönte, es sei bayerische Art, bei Störern etwas härter hinzulangen, verleitete dies so manchen Beobachter zu der sarkastischen Feststellung, der Gemütlichkeitscharakter der Liberalitas Bavariae sei hier deutlich zu spüren gewesen.

Es fällt auf, dass in den ersten Straßenumfragen nach dem Volksentscheid selbst viele Nichtraucher den drohenden Verlust der Gemütlichkeit befürchteten. Die Reglementierungswut sei nicht typisch bayerisch, sagten sie. Ein Nichtraucher zeigte sich gar schockiert über die "Radikalität von Biedermännern", die jetzt sogar forderten, man solle auch auf dem eigenen Balkon nicht mehr rauchen dürfen. Hier ist vielleicht schon die Sorge herauszuhören, es könnten weitere Volksentscheide zum Schutz der Volksgesundheit folgen, etwa Zwangssport für Übergewichtige, festgelegt nach dem Body-Mass-Index.

Ob die Mehrheit der bayerischen Bevölkerung tatsächlich um die Liberalitas Bavariae besorgt ist, bleibt vorerst dahingestellt. Tatsache ist, dass mehr als 60 Prozent der Wähler auf ihre Stimmabgabe verzichtet haben und dass so mancher die Gelegenheit genützt hat, der Regierung eine Lektion zu erteilen. Die CSU hat mit ihrem Hin und Her zweifellos die anarchischen Kräfte geweckt, die im Volk seit jeher schlummern.

In der Vergangenheit hat die CSU die Modernisierung des Landes vorangetrieben und die Menschen gleichzeitig davon zu überzeugen versucht, sie vor den unangenehmen Folgen dieser Modernisierung zu schützen. Sie hat Fortschritt und Tradition zusammengebunden und beteuert, diese auseinanderdriftenden Kräfte zu beherrschen. Viele trauen ihr das aber nicht mehr zu und fühlen sich durch das Scheitern der CSU beim Rauchverbot bestätigt. Sie schaffte es nicht, eine liberale Regelung zu treffen, die Freiräume für alle gestattet hätte. Endgültig vorbei scheinen die Zeiten zu sein, die noch vor einigen Jahren von der Biermösl Blosn besungen wurden: "We are we and we write us us / it's bavarian liberalitas."

Den Rauchern aber bleibt noch eine Nische, die der Holzschuhmacher Karl Klingl aus dem Bayerwald entdeckt hat. In der Gefangenschaft hatte der Raucher den Kautabak kennengelernt. Zuhause gab es diesen nicht, also popelte er den Tabak aus den Zigaretten heraus und kaute halt diesen, auf dem Wirtshaustisch braune Häuflein hinterlassend. Die Wirtin ließ ihn gewähren. Der arme Teufel hat genug mitgemacht, sagte sie.

© SZ vom 06.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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