Bayern-Bashing:Land der Dimpfl

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Dick, dumpf, dumm: Seit 1500 Jahren arbeitet sich der Rest Deutschlands an den Bayern ab. Als provinzielles, ungehobeltes und jodelndes Naturvolk werden sie dargestellt. Doch den Einheimischen hat das Zerrbild nicht geschadet - sie vermarkten es zu ihrem eigenen Nutzen.

Hans Kratzer

Bayerische Musikanten beim Waldfest in Rottach-Egern: Für Norddeutsche wie die Kolumnistin von Spiegel Online ist bayerisches Brauchtum "ästhetisch betrachtet eine Zumutung". (Foto: Johannes Simon)

Der Wiesn-Kommerz hat schon längst ganz Deutschland erfasst, zur Freude der einen und zum Leidwesen der anderen. "Selbst hier in Hamburg werden einem die bajuwarischen Sitten zugemutet", pulverte die Journalistin Silke Burmester kürzlich in einer Kolumne auf Spiegel Online. Der Wiesn-Koller der Frau Burmester gipfelte sogar in der Forderung, man möge eine Mauer rund um Bayern errichten, "um das Provinzielle, das Kleingeistige und Deutschtümelige, das in der Kleidung, den Riten und Gebräuchen zum Ausdruck kommt, vom übrigen Deutschland endlich fernzuhalten". Für sie als Hamburgerin, ätzte die Kolumnistin, sei Bayern "nicht nur politisch, sondern auch ästhetisch betrachtet eine Zumutung".

Es lässt sich nicht bestreiten, dass die Bayern und ihre Gebräuche die Menschen polarisieren, und zwar auf den Feldern der Kultur und des Fußballs ebenso wie in der Politik. Insofern reiht sich die genervte Hamburger Kolumnistin lediglich in eine lange Schlange von Kritikern ein, die bereits vor ihr ein sogenanntes Bayern-Bashing betrieben haben. Im Grunde genommen ist dies eine seit 1500 Jahren gepflegte Tradition, die den Bayern aber, was erstaunlich ist, insgesamt mehr genutzt als geschadet hat. Sie haben es nämlich verstanden, das Image der kleingeistigen Hinterwäldler prima zu vermarkten.

"Der Zoo im Süden mit diesem haferlbeschuhten, goaßlschnalzenden, immer brünftig-griabigen, jodelnden, wild umananderbieselnden Naturvolk ist halt auch gar zu schön", umschrieb der Kabarettist Bruno Jonas einmal ein Bayernbild, das viele immer noch für bare Münze nehmen. Den Journalisten Volker Z. hatte dieses Zerrbild vor 20 Jahren so aggressiv gemacht, dass er zu einer Generalbeleidigung der Bayern ausholte und Bayern in der Zeitschrift Wiener als "Irrenhaus der Republik" abkanzelte.

Er berief sich dabei auf US-Wissenschaftler, die südlich des Mains angeblich unverhältnismäßig viele Breitschädel gesichtet hätten. Das Ergebnis dieser Abnormität sei die schrullige Denkungsart der Bayern, konstatierte Z., griff damit aber lediglich ein Vorurteil auf, das schon in der Spätantike schriftlich fixiert worden ist. Um das Jahr 570 hatte der Bischof Venantius Fortunatus auf einer Wallfahrt von Ravenna nach Tours auch das heutige Südbayern durchwandert und die Bajuwaren als "wegelagernde Grobiane am Alpenrand" beschrieben. Dieses Klischee hat sich bis heute kaum verändert.

Ein knappes Jahrtausend nach Venantius beschrieb der Schwabe Sebastian Franck anno 1534 die Bayern als "ein wenig grob leut" und "nit seer ein höflich volck / sunder grober sitten und sprach". Weitere 500 Jahre später ist dieses Bild immer noch so stark, dass es Kolumnisten jederzeit ohne Substanzverlust aufwärmen können.

In der Zeit der Aufklärung hatte sich noch dazu ein extrem schriller Unterton in die Angriffe auf das als rückständig geltende Bayern gemischt. Vor allem die Landesbeschreibungen von reisenden Autoren zeichneten das Kurfürstentum fast durchgehend als ein "Reich der Finsternis" und seine Untertanen als geistesschwach und primitiv. "Das konnte gar nicht schonungslos genug enthüllt werden", sagt der Literaturwissenschaftler Reinhard Wittmann, der die Entstehung des bayerischen Seppltums erforscht hat.

(Foto: ag.dpa)

Einer der größten Lästerer, Johann Kaspar Riesbeck, schrieb 1783 an seinen Bruder in Paris: "Das Eigne eines Bayern ist ein sehr runder Kopf, nur das Kinn ist ein wenig zugespitzt, ein dicker Bauch, und eine bleiche Gesichtsfarbe. Es giebt mitunter die drolligsten Figuren der Welt, mit aufgedunsenen Wänsten, kurzen Stumpffüßen und schmalen Schultern, worauf ein dicker runder Kopf mit einem kurzen Hals sehr seltsam sitzt."

Noch schlechter kamen die Bayern bei dem Berliner Verleger Friedrich Nicolai weg, der alles ausklammerte, was seine Vorurteile hätte gefährden können. Er spritzte Gift und Galle gegen abergläubische Bräuche, lächerliche Prozessionen, ulkige Trachten und die Gefräßigkeit der Bevölkerung. Deutschlands Prosperität sei durch Bayern bedroht, behauptete Nicolai in erstaunlich moderner Kolumnistendiktion. "Damals wurde Bayern zum Feindbild erklärt, zu einer Schande für das aufgeklärte Säkulum", sagt Wittmann. Die radikalen Aufklärer hatten eine Lawine ins Rollen gebracht, die sich nicht mehr bremsen ließ und das Rollenbild Bayerns in Deutschland zum Teil bis heute prägt.

"Bayern ist das fruchtbarste Land Deutschlands, und das mit dem geringsten Geist . . ., es ist das irdische Paradies, bewohnt von wilden Tieren", schrieb sogar der Preußenkönig Friedrich der Große (1712-86), der nie in Bayern war. Und noch 1896 behauptete die ehrwürdige "Allgemeine Deutsche Biographie", die Bayern seien "unter den übrigen Völkerschaften, nicht bloß Deutschlands, geistig am meisten zurückgeblieben".

Das Zerrbild des dumpf-bigotten und hinterwäldlerischen Bayern lebte auch im 20. Jahrhundert fort. Mit Karikaturen in Zeitschriften wie dem Simplicissimus und Juxpostkarten verbreitete es sich in der ganzen Welt. Doch gleichzeitig geschah etwas Merkwürdiges. Wittmann sagt, bei den Gescholtenen habe dies jene Mischung aus Minderwertigkeitskomplexen und vorbeugendem Auftrumpfen hervorgebracht, die das Selbstbild der Bayern bis heute kennzeichnet. Auf dieser Basis war es leicht, das Klischee ins Positive umzudeuten.

Die Umwidmung des noch heilen und vormodernen Bayerns für die Zwecke des Fremdenverkehrs erwies sich als ein Volltreffer. Die gnadenlose Vermarktung des Bayernkitschs wurde zu einer Erfolgsgeschichte, wenn auch zunächst argwöhnisch beobachtet von den Preußen, deren Hofhistoriker Heinrich von Treitschke giftete: "Bayern ist eine lebensunfähige politische Missbildung, und Preußens Aufgabe besteht darin, Bayern zu zerschlagen." Der Siegeszug des bajuwarischen Folklorismus war aber nicht mehr aufzuhalten.

Angesichts des unablässigen Zuzugs von Norden nach Süden ist es fragwürdig, immer noch von den Bayern als monolithischem Block zu reden. Das, was einst Bayerns Eigenart ausmachte, ist unwiderruflich verloren. Carl Amery formulierte es so, dass diese Bayern von außen mit einem neuen Lebensstil, einer neuen Art der Existenz überzogen wurden. Hinter den Lederhosenträgern und Dirndlträgerinnen auf der Wiesn steckt heutzutage ein multikulturelles Publikum.

So betrachtet, ist jede Wiesn- und Bayern-Schelte aus Hamburg eigentlich auch eine Schelte an sich selbst.

© SZ vom 01.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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