Jürgen Fliege kommt. Und viele sind entsetzt. Der bekannte Fernsehpfarrer i. R. und Menschenversteher macht in Bad Wörishofen eine Erfahrung, die ihm womöglich neu, in jedem Falle aber unangenehm ist: "Das trifft mich brüderlich schon sehr", sagt der 63-Jährige angesichts der Unruhe, die er in dem Unterallgäuer Kurort mit seiner Veranstaltungsreihe "Wörishofener Herbst" ausgelöst hat.
Die Hoteliers und Gastwirte rufen zwar Hosianna angesichts 2000 zusätzlicher Gäste in der Nebensaison. Doch die katholischen Kirchengemeinden boykottieren das sogenannte Fest für Körper, Geist und Seele. Bürgermeister Klaus Holetschek (CSU) geht ebenfalls auf Distanz und initiiert sogar eine Gegenveranstaltung.
Es ist bereits Flieges zweiter "Herbst" in Wörishofen. 2009 war sogar Holetschek noch sehr erfreut über den Besuch des prominenten evangelischen Fernsehpfarrers. Doch inzwischen zeigt sich der Bürgermeister äußerst skeptisch: "Ich habe mit einigen Angeboten meine Probleme", sagt Holetschek. Damit meint er vor allem die "Nacht der Heiler", bei der mehrere Geistheiler hilfesuchenden Menschen die Hände auflegen.
Bereits 2009 waren die Heiler in der Stadt, seitdem sind Fliege und sein "Wörishofener Herbst" sehr umstritten. Viele fürchten um das Image des Kurorts, manche sehen das Erbe Sebastian Kneipps für kommerzielle Zwecke missbraucht. Der Pfarrer hatte im 19. Jahrhundert in Wörishofen die berühmte Kneipp-Kur entwickelt.
Jürgen Fliege selbst bezeichnet sein Event als "spirituelles Woodstock, wo wir alles zusammenführen, was für ein sinnvolles, gesundes Leben nötig ist". Andererseits beruft er sich ausdrücklich auf Kneipp: "Zu den Hauptthemen gehört das Verhältnis der Menschen zu Mutter Erde", damit sieht er sich "ganz in der Tradition Kneipps".
Mit dieser These sind nicht alle einverstanden. "Pfarrer Kneipp hätte so etwas nie getan, er war immer ein treuer Sohn der katholischen Kirche", sagt der Psychiater, Theologe und Bestsellerautor Manfred Lütz. Lütz sprach zum Auftakt einer Diskussionsreihe, die Bürgermeister Holetschek ins Leben gerufen hat. Sie heißt "Bad Wörishofer Gespräche" und beruft sich in ihrem Untertitel "Themen für Körper, Geist und Seele" fast gleichlautend wie Fliege auf Sebastian Kneipp. "Beim ersten Wörishofener Herbst hat sich Pfarrer Kneipp in seinem großen Grab einmal um 180 Grad gedreht", sprach Lütz im Kurhaus. Die Stadt müsse aufpassen, "dass sie ihren seriösen Ruf, ihr Image nicht verliert".
Flieges viertägige Veranstaltung ist eine Art Esoteriker-Treff und Messe mit christlichen Elementen. Die Dauerkarte für alle Veranstaltungen kostet 201,30 Euro. Es gibt durchaus unverfängliche Programmpunkte: Beim Eröffnungsabend am Donnerstag sprach Pater Anselm Grün über "Spiritualität als Weg in die Heimat", an diesem Freitag berichtet Starkoch Alfons Schuhbeck über "Kneipps Gesundheitslehre".
Andere Angebote klingen abstrus bis unseriös, allen voran die "Nacht der Heiler". Wer bei diesen "Gruppensitzungen mit alternativen Heilmethoden" dabei sein will, muss 35 Euro extra bezahlen. Laut Fliege liegen etwa 700 Anmeldungen vor.
Die Stadt Bad Wörishofen stellt für dieses Happening ihr Kurhaus kostenlos zur Verfügung. Bürgermeister Klaus Holetschek (CSU) bezeichnet diese Entscheidung der Kurdirektion als "Wirtschaftsförderung". Er sagt aber auch: "Wir werden genau hinschauen, ob da eine Grenze überschritten wird."
Die Wörishofener Katholiken gehen schon jetzt auf Distanz: Der Pfarrgemeinderat hat einstimmig entschieden, bei der Fliege-Sause nicht mehr mitzumachen. "Wir wollen einer Veranstaltung, die inhaltlich nicht vereinbar mit katholischen Auffassungen ist, keine Plattform bieten", sagt Dekan Michael Kratschmer - nicht ohne persönliche Kritik an Jürgen Fliege: "Er macht auf Toleranz, aber wenn jemand nicht seiner Meinung ist, dann ist er nicht mehr so freundlich." Fliege habe Dinge gesagt, die "recht vulgär" und "eines Pfarrers unwürdig" waren.
Fliege lässt solche Kritik betont gelassen abprallen. Er sagt, auch Sebastian Kneipp sei seinerzeit mit seinen neuen Lehren durchaus umstritten gewesen. Zudem betont er, dass er mit seiner Veranstaltung keinen Gewinn mache und bereits Anfragen aus anderen Kurorten vorliegen habe.