Mehr war selbst aus dem Porsche 911 Turbo mit 480 PS nicht rauszuholen: "306 . . . 311 . . . 314 . . . 314 . . . 314" - irgendwo in der Nähe von Murnau schoss der Sportwagen im Flugzeug-Tempo über die Autobahn A 95. Ein Beweisfoto von der Tachoanzeige illustriert den Erlebnisbericht des Rasers. Und eine Empfehlung gibt er auch an die Rennfreunde aus aller Welt: Am besten sind die letzten zwölf Meilen der "Superbahn" vor dem Autobahnende in Eschenlohe. Wenig Verkehr, übersichtliche Strecke, moderate Kurven. Ideal, um mal schnell auf Tempo 300 hochzudrehen. Und ganz legal obendrein.
Der Fahrer hat den Wahnwitz auf der A 95 überlebt und prahlt damit seit ein paar Jahren im Internet. Ein anderer starb am vergangenen Sonntag auf derselben Strecke: Der 45-Jährige wollte mit seinem Porsche auch mal die Sau rauslassen. In der Nähe von Icking flog er mit einer Geschwindigkeit von 200 bis 300 Kilometern pro Stunde ins Gebüsch und war sofort tot. Weil ein leerer Kindersitz neben dem Wrack lag, mussten Mathias Buck und seine Kameraden von der Feuerwehr Hohenschäftlarn den Wald nach einem möglichen zweiten Opfer absuchen. Zum Glück aber saß er alleine im Auto. Auf seiner Facebookseite kann jeder sehen, wen der Münchner hinterlässt: zwei kleine Töchter und eine Frau.
"Es ist jedes Mal ziemlich schlimm"
Für Buck, den stellvertretenden Kommandanten der Hohenschäftlarner Feuerwehr, war es in diesem Jahr bereits der vierzehnte oder fünfzehnte Einsatz auf der Autobahn A 95. So genau weiß er das inzwischen auch nicht mehr. "Es ist jedes Mal ziemlich schlimm", sagt er. "Das sind Unfälle, die einen auch nicht kalt lassen." Die Ursache ist fast immer die gleiche: Die Autofahrer sind zu schnell unterwegs.
Bucks Kollege Christian Abt leitet die Feuerwehr Penzberg, 25 Kilometer weiter südlich. Bei feuchtem Wetter, sagt er, da könne man darauf warten, bis es auf der Autobahn wieder kracht: "Da fliegen die Sportautos mit ihren breiten Reifen ab." Oft sind es die Porschefahrer, die sich und andere gefährden, weil sie die Autobahn als Rennstrecke missbrauchen. Ende Mai 2013 mussten die Penzberger ausrücken, weil ein 26-jähriger Amerikaner nahe Sindelsdorf auf nasser Fahrbahn die Kontrolle über seinen gemieteten 911er Carrera verlor. Er und seine Beifahrerin überlebten das Abenteuer auf der German Autobahn unverletzt, am Auto entstand ein Schaden von 30 000 Euro. Im Juni 2014, abermals bei Sindelsdorf: Ein Porsche gerät bei Regen ins Schleudern, 37 000 Euro Schaden.
Der schlimmste Unfall aber ereignete sich vor einem Jahr am Autobahndreieck Starnberg: Ein Porschefahrer aus Baden-Württemberg rammte mit schätzungsweise Tempo 300 den Kleinwagen einer Frau aus Weilheim. Sie starb, er und sein Beifahrer überlebten leicht verletzt. Die Schleuderspuren zogen sich über 600 Meter.
"Und dann rein in die Eisen"
Ist die A 95 zwischen München und Garmisch eine Strecke für irre Rennfahrer? Nein, sagt zumindest Andreas Guske, der Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern: "Wir können nicht von einer Raserautobahn sprechen." Berufspendler wie der Feuerwehrmann Mathias Buck haben andere Beobachtungen gemacht: Vor allem am frühen Morgen oder spät abends heizen die Sportautos Richtung Garmisch. Keine Tempolimits, kaum Lastwagen - die A 95 ist eine Art Carrerabahn für Männer mit Geld. Von denen gibt es in München und Starnberg mehr als anderswo.
In diversen Internetforen gelten besonders die A 96 nach Lindau und die gut 67 Kilometer lange A 95 als Tipp, um mal das Auto voll auszutesten: "Ja, das letzte Stück ist echt ein Sahnestück. Man muss allerdings die letzte lang gezogene Kurve vor der Geraden schon mit mindestens 180 nehmen, dass man bis zum Autobahnende die 280 anstehen hat. Und dann heißt's rein in die Eisen!" Ein anderer schreibt: "Auf dieser Strecke habe ich das Schnellfahren gelernt - natürlich nachts!" Eins noch zur Sicherheit: "In den Kurven (die A 95 besteht fast nur aus Kurven) muss man ein ruhiges, aber hartes Händchen haben."
Solch maßloser Selbstüberschätzung begegnet Gerhard Laub beinahe täglich. Der 60-Jährige ist Verkehrspsychologe des TÜV Süd in München. Hat ein notorischer Schnellfahrer acht Punkte in Flensburg beisammen, muss er Laub in der medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) Rede und Antwort stehen - ansonsten ist der Führerschein dauerhaft weg. "Nur wenige Autofahrer müssen wegen dauernder Geschwindigkeitsübertretungen zur MPU", sagt Laub. "Sie gehören aber zu einer Gruppe, die hochgradig rückfallgefährdet ist." Frei nach dem Motto: Meistens geht es gut, und wenn nicht, dann merke ich es ja ohnehin nicht mehr.
Für diese rücksichtslose Haltung macht der Psychologe aber nicht nur die Raser selbst verantwortlich. Betrunkene Autofahrer würden gesellschaftlich geächtet, bei Temposündern sei das anders: "Leider ist es immer noch salonfähig, zu erzählen, dass man es vom eigenen Ermessen abhängig macht, sich an die Limits zu halten. Wer sich immer korrekt verhält, gilt im Bekanntenkreis schnell als Weichei." Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen will er aber nicht vorbehaltlos unterstützen: Die meisten Unfälle passierten immer noch auf Landstraßen - obwohl dort grundsätzlich nicht schneller als 100 Kilometer pro Stunde gefahren werden darf.
Kein Mittel gegen die Physik
Für Feuerwehrmann Buck, der bei seinen Einsätzen auf der A 95 immer wieder mit Toten und Verletzten konfrontiert wird, steht dagegen fest: Ein Tempolimit von 130 oder 140 könnte dazu beitragen, dass Unfälle glimpflicher verlaufen. Er glaubt, dass sich viele Autofahrer mit Assistenzsystemen wie ABS und ESP in trügerischer Sicherheit wiegen: "Aber gegen die Physik bei Aquaplaning, da kann man nichts machen."
Außer den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Doch eher würde in Deutschland die Industrie verstaatlicht als ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen eingeführt: 200 Menschen sind in Bayern im vergangenen Jahr bei Unfällen mit überhöhter Geschwindigkeit gestorben, gab Innenminister Joachim Herrmann kürzlich bekannt. "Überhöhte Geschwindigkeit ist der Killer Nummer eins im Straßenverkehr." Aber Herrmann setzt nicht auf neue Tempolimits, sondern auf Überwachung der bestehenden. Zum Beispiel durch den "Superblitzer". Sein neuester Stolz ist eine 230 000 Euro teure Überwachungsanlage, die auf drei Autobahnspuren gleichzeitig Tempo messen kann. Doch die steht logischerweise nicht an der Garmischer Autobahn, wo es kaum Beschränkungen gibt. Sondern auf dem Münchner Autobahnring A 99 bei Aschheim.
Stehen Blitzer an den gefährlichen Stellen?
Kritiker halten Herrmann ohnehin vor, nicht dort zu blitzen, wo es am gefährlichsten ist. Sondern dort, wo durch viel Verkehr am meisten zu holen ist. Solche Angriffe muss sich Herrmann inzwischen sogar von der Opposition anhören. SPD-Innenexperte Peter Paul Gantzer, selbst passionierter Porschefahrer, ohne dass das jetzt etwas heißen soll, verlangte Aufschluss, nach welchen Kriterien eigentlich in Bayern Tempomesser aufgestellt werden. "Viele Autofahrer beklagen inzwischen, dass es bei Radarfallen wohl vor allem um Abzocke geht", schrieb er an Herrmann - zwei Tage vor dem Unfall bei Icking. Das weist der Innenminister zurück: "Uns geht es nicht um Abzocke der Autofahrer, sondern darum, die Autofahrer zu einem angemessenen Tempo zu animieren."
Und Porsche? Müsste man Autos, die als Waffen dienen, nicht wenigstens drosseln? Erst auf mehrmalige Nachfrage reagiert die Porsche AG in Stuttgart-Zuffenhausen. Ein Unternehmenssprecher teilt telefonisch mit, dass man zu Unfällen keine Stellung beziehe. Per Mail wird dann aber doch noch ein Statement nachgereicht: "Porsche befürwortet Sicherheitsmaßnahmen der Verkehrsbehörden, wo diese notwendig erscheinen und insbesondere an Unfallschwerpunkten."