Amtsgericht Augsburg:"Die Justiz wird kaputtgespart"

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Obwohl er gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen hatte, war ein Sexualstraftäter mehrere Monate auf freiem Fuß. Offenbar eine Folge einer überlasteten Justiz.

S. Mayr

Gabriele Holzer ist seit 1976 Richterin am Augsburger Amtsgericht, ihr Job ist kein Fall für die Vergnügungssteuer. Doch so frustriert wie zurzeit war Holzer noch nie: "Die Situation hier ist trostloser denn je", sagt die Juristin. Sie beklagt einen akuten Personalmangel und fordert den Freistaat zu Nachbesserungen auf: "Die Geschäftsstellen brauchen mehr Leute." Mehrere Richter des Amtsgerichts haben sogar eine Sammelbeschwerde geschrieben angesichts der chronischen Unterbesetzung, die chaotische Zustände verursachte.

Arbeitsüberlastung am Amtsgericht Augsburg führt zu gefährlichen und peinlichen Fällen - Justizministerin Merk schweigt dazu. (Foto: Symbolbild) (Foto: iStockphoto)

So war im vergangenen Jahr ein verurteilter Sexualstraftäter mehrere Monate lang auf freiem Fuß, obwohl er gegen die Bewährungsauflagen verstoßen hatte. Dem Mann war die Haftstrafe nur unter der Bedingung erlassen worden, dass er eine Therapie gegen seine kriminellen Neigungen macht. Diese Behandlung trat er aber nie an. Dennoch wurde er nicht eingesperrt. Warum? Im Amtsgericht Augsburg hatten sich nicht weniger als 4000 Bewährungsfälle angehäuft, die schlichtweg nicht bearbeitet wurden. "Stellen Sie sich vor, er hätte jemanden vergewaltigt", sagt Richterin Holzer, "der Teufel wäre los gewesen."

Mitten in Bayern genießen also verurteilte Straftäter ungerechtfertigten Freigang, und das vor der Haustür von Justizministerin Beate Merk (CSU). Die Neu-Ulmerin gibt zwar stets die Kämpferin für die Sicherheit der Bürger, erst am Donnerstag kritisierte sie per Pressemitteilung das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zur Sicherungsverwahrung. Die Zustände am Augsburger Amtsgericht wollte sie dagegen nicht kommentieren, ihre Sprecherin verwies auf den Präsidenten des Oberlandesgerichtes München, Karl Huber.

Dieser bestätigt ohne Umschweife, dass die Situation in Augsburg untragbar ist: Bei einer routinemäßigen "Geschäftsprüfung" am Amtsgericht sei er von den Zuständen in der Strafabteilung "durchaus unangenehm berührt" gewesen. Einen derartigen Notstand habe er zuvor noch nie erlebt.

Wozu die Arbeitsüberlastung führt, davon können Augsburger Anwälte unzählige Geschichten erzählen. So hat Strafverteidiger Stefan Mittelbach in einem Fall viermal schriftlich um Akteneinsicht gebeten - und nie eine Reaktion bekommen. Plötzlich flatterte seinem Mandanten ein Strafbefehl ins Haus, in dem nicht einmal der Name des Verteidigers eingetragen war. Als der Anwalt daraufhin beim Gericht anrief, musste die Richterin einräumen, dass der Anwalt trotz seiner Schreiben mehr als zwei Monate lang nicht in der Akte erfasst worden war. Angesichts der untragbaren Zustände baten so manche Richter sogar schon Anwälte, sich schriftlich zu beschweren - in der Hoffnung, dass sich endlich etwas ändert.

Als Gründe für das Chaos nennt OLG-Präsident Karl Huber eine ungewöhnliche Häufung von Krankheitsfällen und die gleichzeitige Umstellung des EDV-Systems. Als Notmaßnahme bezahlte das OLG Sonderschichten, die Aktenberge wurden an Samstagen abgetragen. Zudem genehmigte Huber zwei zusätzliche Stellen. Diese sind allerdings nur befristet. Huber sagt selbst: "Es wird einige Zeit dauern, bis die Situation auf einem Status ist, den wir uns wünschen."

Noch pessimistischer ist Roland Fink, Pressesprecher der Strafabteilung des Amtsgerichts: "Die Politik spart ständig Planstellen ein, jetzt ist der Punkt erreicht, an dem das System kippt." OLG-Präsident Huber bestätigt, dass die hohe Krankheitsquote in Augsburg kein Zufall sei, sondern "auch durch die hohe Belastung" zustande käme. Für ganz Bayern bestätigt er eine "dünne Personaldecke", allein bei den Richtern fehlten in seinem Bezirk etwa 100 Köpfe.

Am mangelnden Fleiß der Beamten liegt das Chaos offenbar nicht. "Die Leute tun ihr Möglichstes, das Chaos ist eher strukturell bedingt", sagt Anwalt Mittelbach. "Die Justiz wird kaputtgespart." Ähnlich - nur diplomatischer - äußert sich die Präsidentin des Amtsgerichts, Irmgard Neumann: "Wir haben den Eindruck, dass wir nicht so unterstützt werden wie andere öffentlichkeitswirksamere Bereiche wie Polizei und Schulen." Angesichts einer stetig steigenden Belastung der Gerichte wünschte sie sich "wie viele andere Behördenleiter" mehr Personal. Ungewohnt offene Worte einer Justizbeamtin. Nur eine äußert sich nicht: die zuständige Ministerin Beate Merk.

© SZ vom 14.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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