Kloster Ettal:Liste des Grauens

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"Es hatte System": Ermittler Thomas Pfister legt seinen Abschlussbericht zu den Missbrauchsfällen im Kloster Ettal vor - und zählt darin schockierendeTaten auf.

Heiner Effern

Das Kloster Ettal und das erzbischöfliche Ordinariat in München werden am Montag ein dickes Bündel Blätter erhalten, eine Art Kompendium kindlichen Leidens. Auf etwa 180 Seiten schildern darin 70 ehemalige Schüler des Internats in Ettal, was sie an Demütigungen durch die Erzieher ertragen mussten.

Es ist eine Geschichte über sexuelle und physische Gewalt, die sich über Jahrzehnte erstreckt. Als Absender auf dem Paket steht Thomas Pfister, Rechtsanwalt, der als externer Ermittler vom 25. Februar an im Kloster tätig war. Am Wochenende hat er nun den Abschlussbericht fertiggestellt.

Die nüchternen Zahlen: 15 Patres misshandelten weit mehr als 100 Internatsschüler. Von handfestem sexuellen Missbrauch bis zu brutalen und sadistischen Quälereien schilderten die Opfer eine Palette des Grauens, die auch den erfahrenen Strafverteidiger Pfister nicht kalt lässt: "Es war für mich bis zum Zeitpunkt meiner Verpflichtung als externer Ermittler nicht vorstellbar, dass Patres sich sexuell und physisch in diesem Ausmaß an Kindern vergehen. Ich bin immer noch schockiert." Die meisten Straftaten sind verjährt, gegen drei Klosterbrüder nahm die Staatsanwaltschaft München II Ermittlungen auf.

Einen tiefen Einblick in das innere Lügengebäude eines Täters gewährte ein bereits gestorbener Pater, der auf seinem Computer ein Bekenntnis hinterließ. In seinen Texten dreht er an der Täter- und Opferrolle, bis der Eindruck entsteht, er habe den Schülern mit dem sexuellen Missbrauch nur Gutes tun wollen.

Über Jahrzehnte konnte der Pater sich im Internat seine Opfer suchen, obwohl seine Rolle im Kloster bekannt gewesen sein muss. Doch die Mauer des Schweigens hielt auch deshalb dicht, weil so viele Patres selbst etwas zu verbergen hatten.

Im Bericht von Pfister wird auch der frühere Abt Edelbert Hörhammer erwähnt. 32 Jahre lang regierte er, in seine Zeit fielen besonders in den 1970er und 80er Jahren zahlreiche körperliche und sexuelle Misshandlungen. Er selbst soll, so schildern es Schüler, auch ordentlich hingelangt haben und als Bestrafung Kinder mit dem Kopf auf Pulte geschlagen haben.

Klingt brutal, aber damit gehörte er nicht zu den schlimmsten Erziehern. Die schlugen Schüler, bis das Trommelfell platzte. Die zwangen ihre Schützlinge dazu, auf Wanderausflügen lebendige Molche zu schlucken. Und die prügelten, bis der Stock brach. "In den sehr authentischen Erfahrungsberichten geht es nie um einen Einzelfall, der einem Pater unterlaufen ist. Es hatte System", sagt Pfister.

Die Namen der Opfer hat er in seinem Bericht anonymisiert, die der Täter nicht. Ob das Ordinariat als Auftraggeber oder das Kloster den Bericht öffentlich machen werden, könne er nicht sagen. "Von meiner Seite stünde dem nichts entgegen", sagt Pfister. Vielmehr hätte das eine wichtige Bedeutung für die Opfer. "Es muss unbedingt allen klar werden, dass nicht die betroffenen Schüler die Nestbeschmutzer sind, sondern die Patres, die sich an den Kindern vergangen haben", sagt der Jurist.

Das kann als deutlicher Hinweis auf die familia ettaliensis gelten, der Gemeinschaft früherer Internatsschüler. Von dieser Seite wurde Pfister mehrmals wegen seines rigorosen Vorgehens scharf angegriffen.

Dabei hat der Anwalt in all seinen Berichten stets betont, dass sich im Jahr 1990 mit dem Wechsel des Chefs die Zustände im Internat deutlich besserten. Auch Abt Barnabas Bögle und Schulleiter Maurus Kraß, die wegen der Missbrauchsfälle von ihren Ämtern zurücktraten, bescheinigte er den Willen zur Aufklärung.

Wie es im Kloster weitergeht, ist unklar. Die angekündigte apostolische Visitation, eine Untersuchung im Auftrag des Vatikans, soll bereits stattgefunden haben. Die Ergebnisse sind nicht bekannt. Im Internat legen die Mönche nun großen Wert auf Prävention. Unter anderem soll ein Ettaler Missbrauchsopfer den Kindern erklären, wie man solch gefährliche Situationen erkennt und abwenden kann.

© SZ vom 12.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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