Vollsperrung auf der A 40:Entspannung am Ruhrschleichweg

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Wegen Bauarbeiten ist ein Teil der A 40 bei Essen ist für drei Monate komplett gesperrt. Experten und Medien erwarteten Chaos auf dem am drittstärksten befahrenen Autobahnteilstück Deutschlands. Doch bisher läuft der Verkehr auf den Umleitungen problemlos.

Bernd Dörries

Früher war sie einmal die Reichsstraße eins, der Ruhrschnellweg und die A 40. Es ist nur eine Autobahn, aber eine, die sich durch das ganze Ruhrgebiet schlängelt, an den Fördertürmen und Abraumhalden vorbei. An den hübschen Flusstälern und mittelhübschen Städten. Die Soziologen den Sozialäquator nennen, der das Ruhrgebiet in den reichen Süden und den armen Norden trennt. Es ist nur eine Autobahn, aber auch ein Symbol für die ganze Region. "A 40 - Woanders is auch scheiße", den Aufkleber pappen sich die Menschen hier ganz gerne auf das Auto - mit dem sie stundenlang im Stau stehen auf der A 40, die der Mund des Volkes längst umgetauft hat in den Ruhrschleichweg.

Durch die Vollsperrung der A40 haben die Menschen in Essen ein neues Lebensgefühl entdeckt: Sie haben plötzlich so viel Ruhe! Manch einer bedauert schon die Rückkehr der Lastwagen auf die Stadtautobahn zum Ende des Sommers. (Foto: dpa)

Man kann sich also ungefähr vorstellen, wie die Menschen im Ruhrgebiet reagiert haben, als der Plan aus dem nahen und doch so fernen Düsseldorf kam, wo die Verkehrsbürokraten es für eine gute Idee hielten, die A 40 für drei Monate in Essen komplett zu sperren. Das hatte es noch nie gegeben in Deutschland, dass ein etwa zwei Kilometer langer Abschnitt dichtgemacht wurde. Ohne Standstreifen. Ohne alles. Es klang ein wenig nach einem Schildbürgerstreich. Bis zu 135 000 Autos am Tag passieren die Strecke, es ist die am drittmeisten befahrene in Deutschland: nach dem Kölner Ring und der Berliner Avus.

Ganz ungefährlich war das Experiment also nicht für den neuen Verkehrsminister Michael Groschek - viele prophezeiten Chaos und Krawalle, kilometerlange Staus auf den Umfahrungen. In Nordrhein-Westfalen reden die Menschen noch mehr über die Staus als über das Wetter. Acht Millionen Pendler schleichen hier täglich über die Straßen, es gibt Autobahnen, die eine eigene Homepage haben. Und ganz viele Rekorde, Tausende Kilometer Stau im Jahr, Hunderte an einem Tag. Die Vollsperrung in der Essener Innenstadt klang nach einem neuen Höhepunkt. Es passierte aber: nichts.

Selbst am Mittwoch und Donnerstag, den ersten beiden Tagen nach den Sommerferien konnte ein Sprecher von "Straßen. NRW" nur wenige hundert Meter Stau auf den Umfahrungen in der Essener Innenstadt vermelden. Und viele Anrufe enttäuschter Journalisten.

Das Experiment scheint aufgegangen zu sein. Mehr als 260 Schilder wurden im Essener Stadtgebiet aufgebaut, um die Umfahrungen anzuzeigen, die lokalen Verkehrsbetriebe setzten zusätzliche Busse ein, seit Monaten werden die Pendler in den Zeitungen und im Internet vor dem bevorstehenden Wahnsinn, dem Großexperiment gewarnt und auf das Schlimmste vorbereitet. Der aus Funk und Fernsehen bekannte Verkehrsexperte Ferdinand Dudenhöfer malte das Schlimmste an die Lärmschutzwände: "Die Planung ist stümperhaft und verantwortungslos." Und auch der Stauforscher Michael Schreckenberg prophezeite, dass es zum Ferienende zu großen Problemen kommen werde. Jetzt darf sich die Stauforschung der Frage widmen, warum es in Essen keinen Stau gab. Die WAZ titelte bereits: "Stell dir vor, es ist Stau, und keiner fährt hin."

"Die verkehrspolitische Welt schaut auf NRW", sagt Minister Groschek. Na ja, zumindest werde das Projekt in Deutschland genau beobachtet. In Essen stand man vor der Wahl, das Teilstück wie sonst üblich in vielen kleinen Schritten zu sanieren, eine Brücke musste neu gebaut werden und der Asphalt saniert.

Erst hätten die Bauarbeiter die eine Spur gesperrt und dann die nächste, von den vieren wären immer nur zwei befahrbar gewesen. Zwei Jahre wäre das so gegangen, bis alles fertig gewesen wäre. Nun hat man etwas Neues probiert in Essen, Vollsperrung, ganz radikal, dafür soll innerhalb von drei Monaten alles fertig sein, wofür man mit der gängigen Methode achtmal so lang gebraucht hätte.

Billiger soll es auch werden, mit 18 Millionen Euro etwa sechs Millionen günstiger. "Ich komme sehr gerne zu dieser Baustelle", sagt Verkehrsminister Groschek mittlerweile. Es ist ein sonniger Tag, der Verkehr fließt, und die Kräne drehen sich auf der Baustelle. "Das hier kann auch ein Modell sein für andere Projekte", sagt Groschek. Und von denen gibt es vor allem im Pendlerland Nordrhein-Westfalen genug: 3,5 Milliarden Euro ist der Investitionsbedarf allein bei den Brücken im Land. Sie wurden in den Siebzigerjahren gebaut, als der Verkehr noch nicht so dicht und die Laster noch nicht so schwer waren. Mittlerweile genügen sie nicht mehr den Ansprüchen.

Für die eine Brücke in Essen wurden die Fertigteile mit Schwertransportern aus dem hohen Norden herangerollt, die kamen dann aber nicht über Niedersachsen ins Land, sondern aus dem Süden, aus Richtung Würzburg, 300 Kilometer Umweg hätten die Transporter fahren müssen, weil sie zu schwer für die Brücken in NRW gewesen seien, sagt der Minister. Man werde nun prüfen, welche Brücken mit der neuen Methode gebaut werden können.

Ganz ohne Staus wird es aber nie gehen in Nordrhein-Westfalen, dem Stauland des Landes. Deshalb prüft die Politik nun eine Radautobahn, parallel zur A 40.

© SZ vom 24.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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