Vergleichstest:Duell der Offroad-Kombis

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Mercedes Benz steigt mit dem neuen E 220d All-Terrain in ein Segment ein, in dem sich Volvo schon lange tummelt. Im Duell mit dem V90 Cross Country entscheiden Kleinigkeiten.

Von Thomas Harloff

Ach, wie berechenbar, fast schon langweilig der deutsche Automarkt doch ist. Je tiefer man sich in die Zulassungsstatistik wühlt, umso klarer wird das Bild: Die Kunden wollen Kombis oder SUVs. Und verstärkt auch den Mix aus beidem. Dass die Gattung der Offroad-Kombis über Potenzial verfügt, hat nun auch Mercedes erkannt. Die neue E-Klasse All-Terrain präsentiert ähnliche Zutaten wie andere Vertreter des Genres: praktisches Steilheck, Allradantrieb, höhergelegte Karosserie, Plastik-Planken vorne, hinten, an den Schwellern und rund um die Räder. Sie tritt damit gegen den ebenfalls frischen, ähnlich konzipierten und dimensionierten Volvo V90 Cross Country an, der allerdings bereits die vierte Generation schwedischer Gelände-Kombis verkörpert.

Ob der Schwabe oder der Schwede schöner ist, muss jeder selbst entscheiden. Bei längerem Hinsehen verfestigt sich jedoch der Eindruck, dass der Kunststoff und das höhergelegte Fahrwerk in Verbindung mit den optionalen 20-Zoll-Rädern dem sonst so stimmigen V90-Design nicht guttun. Die Accessoires lassen den Volvo nun unnötig zerklüftet und aggressiv aussehen. Der Mercedes trägt sein Holzfällerhemd dezenter, integriert es harmonischer in sein Outfit. Und der silberne, gelochte Kühlergrill mit Doppel-Lamelle steht ihm etwas besser als die Standardvariante. Die umgekehrte Wirkung entfalten die Innenräume. Hochwertig sehen beide aus, sie fühlen sich auch so an. Doch das Volvo-Armaturenbrett mit seinem Leder-Kunststoff-Metall-Mix ist geradliniger gestaltet als das schwülstig-geschwungene der E-Klasse, das mit seiner Kombination aus Lederimitat und offenporigem Holz etwas altbacken wirkt.

Dafür lässt sich der Mercedes souveräner bedienen. Die beiden waagerecht nebeneinander angeordneten Bildschirme wirken wie ein großes Panorama-Display, sind optisch ansprechend gestaltet und lassen keine Information unerwähnt. Tasten, Touchpads oder Dreh-Drück-Regler gibt es am Lenkrad und auf der Mittelkonsole. Das mag im ersten Moment verwirren, erklärt sich aber schnell von allein, weshalb dieser rollende Computer selbst dann nicht vom Fahren ablenkt, wenn man sich in die Untiefen seiner Systeme begibt. Auch der Volvo hat ein Display, das die Instrumente digital anzeigt. Aber seine Kommandozentrale, ein vertikaler Touchscreen mit der Bedienlogik eines Tablet-Computers in der Mittelkonsole, ist davon getrennt. Darin bündelt der Cross Country fast alle seine Funktionen. Was anfangs simpel erscheint, hat Tücken. Denn die Bereiche sind farblich nicht voneinander abgehoben. Es fehlt eine Hierarchie in den Menüs, weshalb der Fahrer genau hinsehen muss, bevor er einen Befehl ausführt. Man vermisst das Intuitive, das der Mercedes allein durch das haptische Feedback seiner Knöpfe, Tasten und Regler bietet.

Beim Platzangebot erarbeitet sich der Schwabe ebenfalls Vorteile. Köpfe, Knie und Ellbogen halten noch ein paar Millimeter mehr Abstand zu den Verkleidungsteilen als im seinerseits geräumigen Schweden. Zudem verbessern seine größeren Fenster das Raumgefühl, und er ist der bessere Transporter: Der Kofferraum ist größer (640 bis 1820 statt 560 bis 1526 Liter), die maximale Zuladung übertrifft die des Cross Country um fast 200 Kilogramm.

Unterschiede gönnen sich die Kontrahenten bei den Fahrwerken. Der Volvo federt vorne klassisch und hinten - für fast 2000 Euro extra - mit Luft. Die serienmäßige Luftfederung des Mercedes wirkt auf alle vier Räder. Wer sich ganz genau hineinfühlt, erkennt im V90 das etwas sensibler auf Unebenheiten ansprechende und damit komfortablere Auto. Die E-Klasse ist dafür dynamischer. Nicht, weil sie spontaner einlenken würde oder traktionsstärker wäre. Hier herrscht fast Gleichstand. Ihr Trumpf ist der bessere Sportmodus, in dem sich das Fahrwerk strafft, die Karosserie in Kurven weniger wankt und das Auto so verbindlicher und vertrauenerweckender agiert. Auch im Volvo lässt sich per Knopfdruck ein Sportmodus wählen, aber das Fahrwerk bleibt schwammiger, weshalb der Aufbau stärker schwingt.

Offroad-Programme gibt es in beiden Kombis obendrein; sie dürften kaum genutzt werden.

Bei den Motoren scheint das Duell unfair zu sein. Zwar kommen jeweils Zweiliter-Turbodiesel mit vier Zylindern zum Einsatz, aber beim Autoquartett hätte der All-Terrain keine Chance gegen den Cross Country. Mit dem beliebten D5-Triebwerk - einer von vier Motorvarianten - leistet der Volvo 173 kW (235 PS). Den Mercedes gibt es derzeit ausschließlich als 143 kW (194 PS) starken 220d. Beim maximalen Drehmoment (480 statt 400 Newtonmeter) liegt der Schwede ebenfalls vorn. Doch bei den Fahrleistungen und vor allem beim subjektiven Empfinden löst sich der theoretische Vorteil auf. Der Volvo ist im Stadtverkehr flinker, kommt beim stehenden Start schneller vom Fleck. Auf der Autobahn fährt der Mercedes davon, hat den stärkeren Durchzug und eilt der Höchstgeschwindigkeit vehementer entgegen. Kein Wunder, denn er ist fast 200 Kilogramm leichter, was auch zu einem geringeren Testverbrauch (6,5 statt 7,5 Liter auf 100 Kilometer) führt. Außerdem hat er das bessere Getriebe: Seine Neungangautomatik schaltet schnell, sanft und hat stets alles im Griff. Die automatische Schaltung des Volvo ringt dagegen immer mal wieder mit sich, welche der acht Fahrstufen gerade am besten passt.

Fraglos gehören beide Autos zu den sichersten überhaupt. Besonders dann, wenn die aufpreispflichtigen Assistenzpakete an Bord sind. Dann bremsen die Kombis nicht nur automatisch, sobald Autos, Fahrräder, Menschen oder Elche (Volvo) als Hindernisse auftauchen, sondern nehmen dem Fahrer - zumindest zeitweise - einiges von seiner Arbeit ab. Wobei sich erneut die E-Klasse absetzt. Etwa im stockenden Verkehr: Das Lenken, Bremsen und Beschleunigen übernehmen beide Kombis auf Wunsch autark. Allerdings will der Volvo schon nach kurzem Halt mit einem Druck auf das Gaspedal vom Weiterfahren überzeugt werden. Der Mercedes braucht dieses Kommando nicht, selbst wenn er mehrere Sekunden in Ruhe verharrte. Auf der Autobahn macht er seine Sache ebenfalls souveräner, hält mittig die Spur und wechselt diese sicher, wenn der Fahrer per Blinkhebel den Befehl dazu gibt. Der Volvo eiert stärker in der Fahrbahn, lässt sich nahe an die Markierung treiben, um dann stark gegenzusteuern. Besonders sicher fühlt sich das nicht an, zumal der Fahrer schon nach wenigen Sekunden die Hände wieder ans Lenkrad nehmen soll. Wenn die Bedingungen passen, fährt der Mercedes auch mal eine Minute am Stück allein.

Wie mit allen 90er-Modellen bietet Volvo auch mit dem Cross Country ein sehr gutes Auto an. Doch der Mercedes All-Terrain ist in fast allen Belangen eine Kleinigkeit besser. Eine uneingeschränkte Kaufempfehlung erhält er trotzdem nicht - er ist schlicht zu teuer. Zwar liegt sein Grundpreis unter dem des Volvos (58 100 statt 59 800 Euro), aber das ergibt ein schiefes Bild, da er in der Basis schlechter ausgestattet ist. Je mehr Optionen der Kunde wählt, umso größer wird der Preisunterschied zugunsten des Cross Country. Besonders weit geht die Schere bei den bestausgestatteten Testwagen auseinander: Den 79 170 Euro des V90 stehen 94 900 Euro der E-Klasse gegenüber. Doch so viel besser, um 15 000 Euro Preisunterschied zu rechtfertigen, ist der All-Terrain nicht.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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