Simulatoren:Bitte einsteigen

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Ob Flugzeug, Lkw oder Bagger: Per Simulator lässt sich fast alles steuern. Und der digitale Fuhrpark wächst immer weiter.

Von Andreas Remien

Schwarzer Rauch bläst aus dem Auspuff, das Lenkrad vibriert, der Motor heult. Doch es ist nichts zu machen. Trotz Allradantrieb und Differenzialsperre steckt der Truck tief im sibirischen Morast fest. Es ist die Welt von "Mud Runner", das ein Computerspiel, vor allem aber eine Lkw- und Schlammsimulation ist. Das Programm bedient zwar eine Nische, steht aber keinesfalls allein da. Ob schwere Lastwagen, Bagger, Busse, Bahnen oder Kehrmaschinen: Am PC und der Spielekonsole fahren Simulator-Fans durch virtuelle Landschaften. Der digitale Fuhrpark ist riesig. Und er wird immer größer.

Besonders beliebt ist vor allem schweres Gerät. In der Welt von Mud Runner können Computerspieler zum Beispiel mit Vehikeln fahren, deren reale Vorbilder ursprünglich als Raketentransporter für die russischen Streitkräfte ihren Dienst taten - mit Acht-Rad-Antrieb, bis zu 25 Tonnen schwer. Mit solchen Ungetümen geht es durch die dichten Wälder der russischen Wildnis. Das Tempo ist niedrig, der Adrenalinpegel hoch. Denn wer nur eine Pfütze falsch einschätzt, gräbt sich schnell ein in den virtuellen Schlamm. Dann hilft nur noch die digitale Seilwinde.

Die Szenarien der Simulationen, so zeigen es die Verkaufscharts, müssen aber keineswegs exotisch sein. So hat die akkurate Nachbildung des deutschen Autobahn-Alltags inklusive Stau, Schmuddelwetter und Sekundenschlaf nicht etwa eine abschreckende Wirkung - im Gegenteil. Programme wie die "Truck Simulator"-Reihe verkaufen sich blendend. Um die Geduld der PC-Spediteure nicht überzustrapazieren, sind die Landschaften in vielen Bus- und Truck-Simulatoren verkleinert. Eine Tour von Hamburg nach München dauert dann im Miniatur-Deutschland nicht 13 Stunden, sondern nur etwa 40 Minuten. Bei den Simulator-Enthusiasten kommt das allerdings nicht unbedingt gut an. Weil etwa den Fans Fahrten durch den Westen Amerikas zu schnell vorbei waren, vergrößerte der Entwickler des "American Truck Simulator" den Maßstab von 1:35 auf 1:20 - die Straßen (und damit die Fahrtzeiten) sind nun um bis zu 75 Prozent länger.

Das Beispiel zeigt: Vielen Nutzern kommt es auf eine möglichst genaue Nachbildung der Wirklichkeit an. Das gelingt den Programmen sehr unterschiedlich. In manchen Spielen lassen sich Autos oder Boote mit den Richtungstasten auf der Tastatur recht simpel durch die virtuellen Welten steuern, in anspruchsvollen Simulatoren dagegen kann es mehrere Stunden oder sogar Tage brauchen, bis man fachgerecht vorwärtskommt. Was dann aber noch lange nicht heißt, einen 17 Meter langen Auflieger rückwärts an eine Laderampe rangieren, einen Gelenkbus durch den Berliner Berufsverkehr manövrieren oder gar einen Jumbo-Jet auf der Landebahn aufsetzen zu können.

Während die einen im Cockpit sitzen, leiten sie andere als Lotsen durch die Lüfte - alles virtuell

Nirgends hat die Jagd nach dem Realismus so eine Qualität erreicht wie in der Königsdisziplin des Genres: der Flugsimulation. TCAS, MCDU, FADEC, ADIRS, DFDR: Der Laie versteht oft schon gar nicht, mit welchen Systemen er es im virtuellen Cockpit überhaupt zu tun hat. "Realismus hat eine bestimmte Spaßgrenze", gibt allerdings Maic Masuch zu bedenken. Der Professor für Medieninformatik und Entertainment Computing an der Universität Duisburg-Essen forscht an der Schnittstelle zwischen Spielen und Psychologie und geht damit auch der Frage nach, ob und wie Spiele funktionieren. Damit die Simulator-Nutzer weder über- noch unterfordert werden, lässt sich der Realismusgrad vieler Programme individuell einstellen.

Gerade vielen Flug-Enthusiasten kann es indes nicht realistisch genug sein. Sie fliegen nach echten An- und Abflugrouten, mit aktuellem Wetter, in einer Welt im Original-Maßstab, in Echtzeit. Während in den meisten Fahrzeug-Simulatoren die Spieler größtenteils alleine durch die Gegend tuckern, hat sich die gemeinsame Fliegerei bei den PC-Piloten längst etabliert. Wer online über den Wolken unterwegs ist, kann seinen Flug sogar von Lotsen kontrollieren lassen - nicht von einer künstlichen Intelligenz, sondern von realen Spielern, die auf ihren Bildschirmen die Lufträume überwachen. Prozeduren und Kommunikation ("cleared for take-off!") unterscheiden sich dabei kaum noch vom echten Flugverkehr.

Der Wirklichkeit immer näher rücken die Nutzer noch dazu mit ihrer eingesetzten Hardware, die auch die passende Haptik an den Schreibtisch bringt. Mindestausstattung für Auto-, Bus- und Truckfahrer ist ein Lenkrad, das vibriert, wenn man über den Randstein fährt. Fortgeschrittene schließen noch Pedale und einen Schalthebel an den Rechner. PC-Piloten statten sich mit Schubhebeln, Schaltern oder sogar ganzen Cockpit-Nachbauten aus.

Was die Spieler dazu antreibt, sich in einem virtuellen Raum einfach nur von A nach B zu bewegen? Eine schwierige und komplexe Frage, findet auch Wissenschaftler Masuch. Den Simulatoren fehlen schließlich in der Regel klassische Spielelemente wie der Wettbewerb oder narrative Bausteine wie eine Hintergrundgeschichte. Es wird nicht geschossen, nicht geprügelt, nicht gehüpft, nicht gerannt. "Es ist wie beim Wandern", sagt Masuch. Entscheidend sei das Erlebnis, nicht das Ankommen. Manche Forscher sehen in den Simulatoren auch eine moderne Form des Eskapismus: In einer immer schnelleren und kompetitiven Gesellschaft entdecken die Trucker in der virtuellen Wüste Nevadas oder die Piloten über dem digitalen Atlantik eine andere, langsamere Welt. Ohne Druck, Hektik und Highscore.

So lässt sich vielleicht auch der Erfolg des "Landwirtschafts-Simulators" erklären, der sich bisher gut 15 Millionen Mal verkauft hat, die neue Ausgabe noch gar nicht eingerechnet. Am Morgen die Kühe füttern, danach mit dem Mähdrescher die Ernte einfahren, am Abend mit dem Pferd ausreiten: So sieht der entschleunigte Alltag auf dem virtuellen Land aus.

"Jeder von uns kennt außerdem den Kinderwunsch, später einmal selbst Busfahrer, Pilot oder Baggerführer werden zu wollen", sagt Julia Pfiffer, Geschäftsführerin des Simulator-Publishers Astragon, "unsere Spiele geben diesen Menschen die Möglichkeit, sich diesen Traum immerhin virtuell zu erfüllen." Was Pfiffer und Wissenschaftler Masuch aber auch beobachten: Oft sind es tatsächliche Experten, die ihren Beruf nach Feierabend vor dem Bildschirm weiterführen. "Nicht jeder Landwirt hat den Platz und die Mittel, sich einen riesigen amerikanischen Mähdrescher anschaffen zu können, würde ihn aber zu gern einmal ausprobieren", sagt Pfiffer. Mehr als 300 Traktoren und Geräte wie Sämaschinen, Düngewagen, Maispflücker oder Miststreuer stehen im Landwirtschafts-Simulator daher zur Auswahl. Der Fuhrpark, berichtet Pfiffer, sei für viele Nutzer ein entscheidendes Qualitätskriterium. Nicht nur groß, sondern auch authentisch soll das Angebot sein. Ob Traktor von John Deere, Flugzeuge von Airbus oder die Frankfurter S-Bahn: In den Simulatoren sind die Nutzer am liebsten mit möglichst originalgetreu nachgebildeten Fliegern und Fahrzeugen unterwegs. Die Aussichten sind gut, dass die Auswahl noch größer wird. Es gäbe da noch eine ganze Menge Fahrzeuge, sagt Pfiffer, "vom Braunkohlebagger bis zur Mondlandefähre".

Kontemplative Alltagspause, Kindheitsträume, Technikbegeisterung: Weil das nicht bei jedem als Anreiz reicht, haben manche Simulatoren noch einen sogenannten Karrieremodus integriert, der Leistungen des Spielers belohnt. In der Welt von Mud Runner zum Beispiel können die Kraftfahrer mit ihren russischen Lkws in den Wäldern Holz aufladen und es über die zerfurchten Pisten zu einem Sägewerk schleppen. Diese klassischen Spielelemente sind aber oft nur optionales Beiwerk. In der virtuellen Mobilität ist das Leistungsprinzip keine wichtige Kategorie. Steckengeblieben im sibirischen Matsch? Egal. Denn ob Himmel, Highway, Schiene oder Schlamm: Der Weg ist das Ziel.

© SZ vom 01.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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