S-Pedelecs:Gefährlicher Ritt

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S-Pedelecs sind so schnell, dass sie nicht auf Radwege dürfen - das passt vielen Autofahrern überhaupt nicht.

Von Felix Reek

Fast schon ein Mofa: Das Stromer ST1 gilt laut deutschem Recht als Kleinkraftrad und benötigt ein Kennzeichen. Der Fahrer muss einen Helm tragen. (Foto: Stromer)

"Ey, Kollege!", ruft ein junger Mann von der Bushaltestelle herüber. "Da drüben ist ein Fahrradweg!" "Ey, Kollege!", kommt sofort die Antwort, "da darf ich nicht fahren." Er schaut ungläubig. "Echt? Wieso nicht?" "Das Rad ist 45 km/h schnell!" "Wie geht das?" "Es hat einen Elektromotor." "Krass! Na dann viel Spaß!"

Wer mit einem S-Pedelec auf deutschen Straßen unterwegs ist, merkt schnell: Er ist ein Exot. Der Anteil der bis zu 45 km/h schnellen Fahrräder am Verkehr ist kaum der Rede wert. Das liegt neben dem Preis (das Stromer ST1 dieses Tests kostet mindestens 4300 Euro), vor allem daran, dass sie laut deutschem Recht als Kleinkraftrad gelten, ein Kennzeichen benötigen und Helmpflicht besteht. Radwege und die Vorteile, die sie mit sich bringen, sind tabu. Wer ein S-Pedelec fahren will, ist auf denselben Straßen unterwegs wie Autofahrer. In der Schweiz hingegen, aus der das Stromer kommt, dürfen die Bikes auf den Radweg. Weswegen die Verkaufszahlen dort ganz anders aussehen. Jedes vierte Schweizer Fahrrad mit Elektromotor ist ein S-Pedelec.

In Deutschland ist man also in gewisser Weise ein Pionier. Was auch seine Nachteile hat, wie unser Test zeigt. Wir wollen wissen: Kann ein S-Pedelec eine Alternative für Pendler sein, die im Speckgürtel einer Metropole wohnen? Eine angenehmere, weil schnellere und weniger stressige Alternative zu Autos im Stau und in überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln bieten? Testgebiet ist der Großraum München, jene Stadt also, die gerade erneut den zweifelhaften Titel gewonnen hat, die deutsche Metropole zu sein, in der die Menschen am meisten im Stau stehen. Der Wohnort liegt westlich der bayerischen Hauptstadt, der Sitz des Verlages der Süddeutschen Zeitung im Osten. Direkte Strecke laut Google Maps: 27 Kilometer. Mit dem Auto dauert das knapp 40 Minuten, zu den Stoßzeiten eher eine Stunde. Genauso lange, wie die Verbindung mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Der Weg mit einem normalen Fahrrad oder Pedelec: etwa 90 Minuten.

Doch schon die Anlieferung des Stromers gestaltet sich schwierig. Die Spedition liefert das Rad in einer riesigen Holzkiste, hat aber dummerweise nichts dabei, um sie vom Laster zu bekommen. Also packen wir das ST1 auf der Ladefläche aus und wuchten es herunter. Gar nicht so leicht bei einem Gewicht von 31 Kilogramm. Optisch ist das S-Pedelec eine Mischung aus Fahrrad und Mofa. Breite Reifen, Nummernschild, Seitenspiegel, neunstufige Kettenschaltung von Microshift. Der Akku verbirgt sich im Unterrohr und kann zum Laden entnommen werden. 90 Kilometer Reichweite schafft das Stromer damit maximal. Das sollte reichen.

Ein Blick aufs Display: 48 km/h. Upps! Kurzes Schlucken und weiter

Der nächste Morgen, die Fahrt zum Verlag steht an. Nur was in der Navigations-App auswählen? Auto? Fahrrad? Einen speziellen Unterpunkt für S-Pedelecs gibt es nicht. Die Wahl fällt auf "Auto" mit dem Vermerk "Autobahn vermeiden". Jetzt kann es losgehen. Gang einlegen, lostreten, wieder schalten, treten, schalten, treten, alles wie bei einem normalen Fahrrad. Bis der Blick auf das Digitaldisplay fällt: 48 km/h. Upps! Kurzes Schlucken und weiter.

An die Geschwindigkeit gewöhnt sich der Fahrer des ST1 schnell. Herrlich, wie es sich mit dem Stromer über die Landstraße gleiten lässt. Das Treten ist mühelos, der Motor schiebt dezent an, das hat geradezu etwas Entspannendes. Zumindest solange München fern ist. Denn umso näher das Einzugsgebiet der Stadt rückt, umso unangenehmer wird es auf dem S-Pedelec. Dass ein Fahrrad auf derselben Straße unterwegs ist wie Autos, passt offenbar nicht jedem Verkehrsteilnehmer. Der klassische Überholvorgang sieht in etwa so aus: Aufheulen des Motors, in weitem Bogen ausholen und noch einmal extra Gas geben, als Signal, dass ein Fahrrad hier nun wirklich nichts zu suchen hat.

Noch schlimmer ist es in München selbst. Im Sekundentakt schießen Autos vorbei, obwohl hier die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h beschränkt ist - und das Stromer 45 km/h fährt. Das Hochhaus eines Kommunikationsanbieters ist zu sehen, Fahrradweg und Bordstein an der Seite verschwinden, es geht dreispurig nach München hinein. Spätestens hier ist es einem auf einem S-Pedelec zwischen den Auto-Strömen ziemlich mulmig zumute. Das Gefühl verstärkt sich auf dem Weg durch das Münchner Zentrum. Die erste Vollbremsung. Ein Audi Q5 zieht über zwei Spuren, um abzubiegen. Kurz vor dessen Stoßstange kommt das Stromer zum Stillstand. Der SUV-Fahrer hat offenbar die Geschwindigkeit des S-Pedelec unterschätzt. Den Blinker betätigen hätte aber auch geholfen.

Andere Verkehrsteilnehmer hupen und schimpfen. Sie kennen die Regeln für Pedelecs nicht

Nächste Station: Gabelsbergerstraße. Hier musste eine Autospur einem breiten Fahrradweg weichen. Viel geändert hat sich nicht: Die Stadtreinigung parkt auf dem rot markierten Streifen, die Radler müssen auf die Straße ausweichen, das Aggressionspotenzial ist hoch. Der Fahrer eines laut knatternden Minis hupt und deutet mit dem Zeigefinger auf den Radweg. Kurze Überlegung wie das internationale Zeichen für "kaputter Auspuff, es stinkt, schnell reparieren" geht, doch es wird nur ein kurzes Kopfschütteln. Aus dem VW Polo hinter dem Stromer dröhnt laut Udo Jürgens mit seinem Song "Griechischer Wein". Ein Schluck davon wäre jetzt wirklich nicht schlecht zur Beruhigung, auch wenn es noch zu früh dafür ist.

Nach einer Stunde und 15 Minuten ist die Fahrt beendet. 15 Minuten langsamer als mit dem Auto oder der S-Bahn, 15 Minuten schneller als mit einem normalen Rad oder Pedelec. Viel ist das nicht. Was vor allem daran liegen dürfte, dass sich der Geschwindigkeitsvorteil egalisiert, sobald sich der Stromer in den zäh fließenden Stadtverkehr einreiht. Der größte Nachteil ist aber, dass sich der Fahrer eines S-Pedelecs trotz Nummernschild und Helm zwischen all den Autos irgendwie immer unsicher und gefährdet fühlt. Mangels Verbreitung erkennt keiner, wie schnell das Rad tatsächlich ist. Und ein Sturz oder Unfall mit 45 km/h im Großstadtgewimmel kann fatal enden.

Das zeigt sich auch auf der Rückfahrt. Im Dämmerlicht und den Feierabend vor Augen, ist die Hemmschwelle der Verkehrsteilnehmer deutlich niedriger. Während im gut ausgeleuchteten München noch alles reibungslos verläuft, wird der Ton am Rand der Stadt auf den finsteren Straßen deutlich rauer. Ein Autofahrer schneidet den Weg ab, es wird gehupt, die Scheinwerfer blitzen auf. An einer Ampel fährt ein alter BMW so nah heran, dass die Außenspiegel sich nur um ein paar Zentimeter verfehlen, und reflexartig der Fuß zur Seite wandert, damit er nicht überrollt wird. Das Fenster senkt sich langsam.

Ein Mann beugt seinen Kopf herüber: "Wäre es nicht besser, wenn du auf dem Fahrradweg fährst?", fragt er. Ganz unrecht hat er nicht. Wäre es. Sicher sogar. Ab morgen dann wieder. Die Pionierarbeit für Pedelecs müssen dann wieder andere übernehmen.

© SZ vom 21.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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