Rennbahn-Räder auf der Straße:Wer bremst, verliert

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Gefährliche Fixie-Fahrräder haben mittlerweile Kultstatus - die Berliner Polizei will sie beschlagnahmen.

Takis Würger

Jedes Mal, wenn Jürgen auf sein Fahrrad steigt, verstößt er gegen das Gesetz. Sein Rad hat kein Licht, keine Klingel, keine Reflektoren, nur einen Gang und keine Bremsen - der 23-jährige Fahrradkurier aus Hamburg fährt ein sogenanntes Fixie. "Absolut mangelhafte Sicherheitsausstattung", sagt die Polizei. "Cool", sagt Jürgen. Fixies sind ein Trend auf den Straßen der deutschen Großstädte. In Berlin sollen 3000 dieser Ein-Gang-Räder durch die Stadt brausen. So viele, dass die Berliner Polizei jetzt angekündigt hat, die Räder zu beschlagnahmen - zur "Gefahrenabwehr".

Nur ein Gang und nicht zu stoppen: Fixies sind eigentlich für die Rennbahn gebaut, doch seit einigen Jahren nutzen Kuriere die Räder auch auf der Straße. Wegen der minimalistischen Optik entwickeln sich die Ein-Gang-Räder zum Trend - die Berliner Polizei will das verhindern. (Foto: Foto: oh)

Für die Straße sind Fixies ursprünglich gar nicht gebaut. Es sind Bahnräder, mit denen Profisportler zum Beispiel beim Sechs-Tage-Rennen ihre Runden drehen. Dort geht es immer im Kreis; die Fahrer erreichen im Sprint über 70 Kilometer pro Stunde. Wer bremst, verliert. Das fanden ein paar Radkuriere aus New York interessant. Ihr Arbeitsleben funktioniert nach der Formel: mehr Speed gleich mehr Jobs gleich mehr Geld. Mitte der achtziger Jahre kurvten die ersten Kuriere mit Bahnrädern durch Manhattan. Weil die Räder nur einen Gang (Englisch: fixed gear) hatten, nannten die Kuriere sie Fixies.

Seit einigen Jahren heizen auch deutsche Radkuriere mit Bahnrädern durch die Gegend. Zwar fährt die Angst mit, dass die Polizei sie erwischt, aber für Kuriere wie Jürgen überwiegen die Vorteile: "Kaum Verschleiß, klaut niemand, und es ist sauschnell." Die Polizei hat Jürgen bereits einmal angehalten, von ihm ein Bußgeld kassiert und ihn verwarnt. Trotzdem möchte der Kurier auf sein Fixie nicht verzichten. "Schneller geht nicht", sagt er.

Doch Fixies haben Tücken: Sobald das Rad fährt, drehen sich die Tretkurbeln, Leerlauf gibt es nicht. Das erfordert viel Geschicklichkeit beim Kurvenfahren. Dazu kommen die fehlenden Bremsen. "Ein guter Fahrer weicht den Hindernissen halt aus", sagt Jürgen. Die Alternative verlangt allerdings auch artistische Fähigkeiten: Für eine Vollbremsung muss der Fahrer während der Fahrt das Hinterrad anheben und es dann durch Gegendruck auf die Pedale stoppen. "Dabei hab' ich mich schon gut auf die Schnauze gelegt", gibt der Kurier zu.

Der Berliner Polizeioberrat Markus van Stegen rätselt, warum jemand freiwillig auf ein Fixie steigt: "Wer ist denn so doof und fährt ohne Bremse?" Die Erklärung liefert er im nächsten Satz gleich selbst: "Es ist wohl der Kick, etwas Verbotenes zu tun." Van Stegen leitet die Abteilung Verkehrssicherheit im Berliner Polizeipräsidium. Seit etwa einem Jahr beobachtet er, dass immer mehr Berliner auf Rädern ohne Bremse unterwegs sind - längst nicht mehr ausschließlich Kuriere. Eine Statistik für Fixie-Unfälle gibt es bislang nicht. Doch van Stegen hält die Räder für gefährlich für die Fahrer - vor allem aber für die anderen Verkehrsteilnehmer. Bisher mussten Fixie-Fahrer zehn Euro Bußgeld zahlen. Inzwischen beschlagnahmen die Beamten die Räder. "In drei Wochen haben wir sechs Fixies sichergestellt, und das ist erst der Anfang", sagt van Stegen.

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Dass die Polizei gezielt Fixie-Fahrer aus dem Verkehr zieht, hat auch Thomas Kagermeier, Inhaber des Berliner Kurierdienstes "Spinning Wheelz", bemerkt. Er sagt, dass einige seiner Kuriere sich wieder Bremsen an die Räder geschraubt hätten, weil sie es leid seien, Strafen zu zahlen. Kagermeier nimmt seine Jungs in Schutz: Ein Risiko für den Straßenverkehr seien nicht die Kuriere , sondern ungebremste Freizeitradler: "Man fällt bei so einem Rad schnell aus dem Sattel, für Anfänger ist das sehr gefährlich."

Einer wie Holger Patzelt freut sich über den Boom der zweckentfremdeten Bahnräder. Er ist Geschäftsführer von "Fixie Inc.", einer Firma, die sich auf die Herstellung der Ein-Gang-Räder spezialisiert hat. Ein Fixie kostet mehr als tausend Euro, doch der Laden läuft bestens. "Unsere Verkaufszahlen haben sich im vergangenen Jahr verdoppelt", sagt Patzelt. Seiner Meinung nach geht es den Fahrern nicht darum, ohne Bremse unterwegs zu sein: "Auf einem Fixie gehe ich eine organische Verbindung mit dem Rad ein; dadurch, dass sich die Kurbeln immer drehen, werde ich ein Teil der Maschine."

Organische Verbindung hin oder her: Für Ralf Kunz, Sprecher der Hamburger Polizei, gehören Fixies nicht auf die Straße. "Wenn unsere Jungs von der Fahrradstaffel so einen Fixie-Fahrer sehen, fahren die hinterher, und der muss dann ein Bußgeld zwischen fünf und 25 Euro zahlen." Rechtlich sei die Sache nicht ganz einfach: Zwar darf jeder ein Fixie-Fahrrad besitzen, auf öffentlichen Straßen fahren darf man damit jedoch nicht.

Der Hamburger Kurier Jürgen fürchtet sich nicht davor, dass ihn die Polizei nochmal erwischt. Er sagt: "Mich kriegen die nicht wieder, ich bin einfach viel zu schnell."

© SZ vom 24.04.2009/gf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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