Radtest:Greifvogel mit hartem Sattel

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Das Schindelhauer Heinrich beeindruckt mit einem klaren Design. (Foto: Schindelhauer)

Das Schindelhauer Heinrich ist ein schickes Pedelec. Aber gutes Design und bequemes Radfahren passen nicht immer zusammen.

Von Thomas Hummel

Es dauert nicht lange, dann erfüllt das neue Schmuckstück die ersten Erwartungen. "Hey. Neues Fahrrad. Schick!", ruft ein Nachbar bei der Einfahrt in den Hof. Gruß zurück, leicht peinlich berührt, aber doch mit heimlichem Stolz. Das steigert gleich das Fahrvergnügen. Führt aber zu der Überlegung, das auffällige Gefährt lieber in den Keller zu tragen als draußen vor der Haustür abzustellen. Trotz Schloss für 80 Euro, man weiß ja nie.

Wer sich ein Modell der Firma Schindelhauer leistet, der ist auf dem Massenmarkt Fahrrad auf der Suche nach etwas Speziellem. Der hat vermutlich auch kein Ikea-Sofa im Wohnzimmer, sondern eine Sitzgarnitur, die den Gast erst einmal staunen lässt. Ein bisschen Retro natürlich, ein bisschen extravagant. Auf jeden Fall edel. Die Räder von Schindelhauer sind ähnlich. Die einstige Start-up-Firma aus Magdeburg ist 2012 nach Berlin-Kreuzberg gezogen. Mittenrein in ihren größten potenziellen Absatzmarkt. Denn das urbane Lebensgefühl sorgt dafür, dass ein Fahrrad mehr sein kann, als ein praktisches Fortbewegungsmittel. Es geht hier auch um Design und Optik. Höhere Preise inbegriffen - und bei einigen offenbar akzeptiert. Wer in den dicht bebauten Innenstädten das Auto immer mehr als Belastung für sich und die Umgebung wahrnimmt, der legt bisweilen mehr Wert auf den Verkehrsträger, mit dem er noch einwandfrei von A nach B kommt: auf das Fahrrad.

"Es gibt einen Markt für Fahrräder, bei denen das reduzierte Design im Vordergrund steht", sagt David Eisenberger vom Branchenverband ZIV. Eine Nische mit geringen Stückzahlen, in die Firmen wie Coboc, Desiknio oder Cowboy drängen, eine urbane Mittelschicht im Blick. Schindelhauer begann 2009 mit einem puristischen Singlespeed-Rad im Aluminium-Look und hat seither stetig sein Repertoire erweitert. Seit diesem Jahr ist die Firma im Pedelec-Bereich aktiv. "Wer in diesem Geschäft über die Zukunft nachdenkt, der muss über Elektro nachdenken", sagt auch Eisenberger. Die Absatzzahlen steigen hier rasant, wer nicht den Anschluss verpassen will, braucht Akku und Elektromotor.

Die Berliner geben ihren Rädern angesagte Vornamen, das erste hieß Siegfried, inzwischen sind sie bei Heinrich (das Damenmodell heißt Hanna). Damit soll das Fahrrad ein bisschen menschlich werden, quasi zum Familienmitglied aufsteigen. Cousin Heinrich zieht die Blicke auf sich. Die Form ist sportlich-elegant, die Geometrie stimmig, keine versteckten Makel an der Konstruktion. Sattel und Griffe im Leder-Look. Der Lenker geschwungen wie ein Greifvogel mit ausgebreiteten Flügeln. Sogar das Schutzblech schmiegt sich wie maßgeschneidert um die Reifen. Dazu technisch alles vom Feinsten: Acht-Gang-Nabenschaltung, Scheibenbremsen, Lichtanlage. Wie stets bei Schindelhauer hat auch dieses Rad keine Kette als Antrieb, sondern einen Riemen, mit all den Vorteilen rund um Pflege und Haltbarkeit.

An ein paar Stellen aber passen perfektes Design und bequemes Radfahren nicht ganz zusammen. Der Sattel ist schön, aber hart. Eine Klingel sollte im heutigen Stadtverkehr zur Standardausstattung gehören. Dazu baut Schindelhauer vorne an den Rahmen einen Gepäckträger, der erstens dafür sorgt, dass der Lichtkegel des Scheinwerfers sehr niedrig eingestellt werden muss. Wer nachts durch den Park fährt, erkennt Hindernisse mitunter spät. Zweitens ist der Gepäckträger am Rahmen und nicht am Lenker befestigt, was zur Folge hat, dass man bei einer vollen Einkaufstasche in der Kurve mit Kabeln oder gar der Bremse an der Tasche hängen bleibt. Das kann durchaus gefährlich werden. Und wer das Rad in den Keller trägt, aus Angst vor Dieben oder Schutz vor Regen, der braucht Kraft. Wie die meisten Pedelecs wiegt das Schindelhauer Heinrich mehr als 20 Kilogramm, genau 23,7.

Als Motor dient ein Bosch-Modell der dritten Generation. Der Active Line Plus mit 250 Watt Leistung kommt ohne Getriebe aus, was ein Fahren ohne Ruckeln und Stocken ermöglicht. Man schwebt noch mehr über die Straße, die Elektro-Unterstützung gerät auch wegen des leisen Motors fast in Vergessenheit. Mit dem neuen Antrieb ist zudem ein Tempo von mehr als 25 Kilometern pro Stunde leichter möglich. Gesetzlich müssen sich hier die Antriebe bei einem Pedelec abschalten, bei früheren Modellen hatte man das Gefühl, der Motor bremst dann sogar. Jetzt geht es fast flüssig weiter, mit ein bisschen Rückenwind fährt man plötzlich Tempo 30.

Die neuen Elektroräder fühlen sich kaum mehr wie Elektroräder an. Und sie schauen auch kaum mehr aus wie Elektroräder. "Integration" heißt das Schlagwort der Zeit, erläutert Paul Kefer, Chef von Munix Finest Bycicles, einem Fahrradladen im hippen und teuren Münchner Stadtviertel Haidhausen, also dort, wo die Käufer von Schindelhauer, Coboc und Co. leben. Klobige Akkus am Rahmen passen nicht zu einem schicken Design, meint Kefer. Sie sind deshalb bei Schindelhauer nun so verbaut, dass man sie auf den ersten Blick kaum erkennt. Bosch hat mit dem Powertube 500 für die Fahrradhersteller eine Lösung im Angebot, die sich gut in einem Rahmen verstecken lässt. Kefer: "Es soll wie ein klassisches Fahrrad aussehen."

Das alles hat seinen Preis: 4395 Euro kosten die Modelle Heinrich und Hanna. Im Preis inbegriffen sind Nachbarn, die die Hälse recken.

© SZ vom 30.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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