Piaggio MP3 LT:Mit drei dabei

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Piaggio hat seinen Dreirad-Roller optimiert - jetzt kann man ihn auch mit dem Autoführerschein bewegen.

Ulf Böhringer

Ingenieure in Italien dürfen offenbar Entwicklungen vorantreiben, die dem Zufall reichlich Raum lassen. Nicht anders ist es zu erklären, dass man bei Piaggio in Pontedera vor einigen Jahren daran ging, dem Motorroller-Modell X8 ein zweites Vorderrad zu verpassen und dazu eine bemerkenswerte Vorderradführung in Form eines Parallelogramms entwickelte.

Seltsamer Anblick: Der dreirädrige Piaggio-Roller glänzt allerdings mit bester Haftung in allen Lagen. (Foto: Foto: Piaggio)

LT steht für Large Tread, also breite Spur

2006 war es so weit: Das mitunter belächelte, seltener bewunderte Gefährt mit zwei parallel agierenden Vorderrädern kam als Piaggio MP3 auf den Markt. Bewegt werden durfte es freilich nur von Besitzern eines Zweiradführerscheins. Die Produktentwickler hatten nämlich übersehen, dass nur eine technische Winzigkeit es verhinderte, dass der MP3 einen wesentlich größeren Markt hätte erobern können, den der Pkw-Fahrer nämlich. Dafür war die Spurbreite der vorderen Räder ein paar Millimeter zu gering und die Bremsbetätigung erfolgte, zweiradtypisch, ausschließlich über Handhebel statt durch ein Pedal.

Vor allem die Piaggio-Händler schlugen ob dieser Nachlässigkeit die Hände überm Kopf zusammen. Nicht lange und die ersten Nachrüstsätze zur Spurverbreiterung waren fertig. Doch Einzelabnahmen beim TÜV sind aufwendig. Piaggio mochte denn auch die Schmach, die Chance verpasst zu haben, Autofahrer fürs Zweirad zu erwärmen, nicht auf sich sitzen lassen. Jetzt ist die Zweitauflage des MP3 fertig. Die Modellbezeichnung wurde um die beiden Buchstaben LT erweitert, was für Large Tread, also breite Spur steht. Er darf von jedem Besitzer eines Pkw-Führerscheins gefahren werden, denn er ist als Dreirad homologiert. Und schon kann jedermann dem Stau den Schrecken nehmen.

Theoretisch. In der Praxis erweist sich der MP3 LT doch weit eher als ein Einspur- denn ein Zweispurfahrzeug. Das liegt in seiner Eigenschaft begründet, dass er bei Kurvenfahrt in Schräglage geht, nicht anders als zügig gefahrenes Fahrrad. Es bedarf also schon einer gewissen Zweirad-Affinität, um sich dem MP3 LT zu nähern.

Der Clou des Piaggio-Konzepts besteht darin, dass die beiden nun 465 Millimeter auseinanderstehenden Vorderräder die Fahrstabilität entscheidend erhöhen. Seitliches Wegrutschen auf Nässe, auf Sand oder Staub, Irritationen durch Straßenbahnschienen oder breite Kopfsteinpflaster-Fugen - alle diese Fährnisse eines Zweiradfahrers sind bedeutungslos. Selbst eine Vollbremsung führt trotz fehlendem ABS nicht zur Instabilität; zwar malt das blockierte Hinterrad einen fetten schwarzen Strich auf den Asphalt, doch die Vorderräder blockieren dank des intelligenten Kombinationsbremssystems nicht.

Damit ist es Piaggio gelungen, die Instabilität, wohl wichtigster Nachteil eines Einspurfahrzeuges, aus der Welt zu schaffen. Und gleichzeitig den bedeutendsten Vorteil des Einspurfahrzeuges zu bewahren - den geringen Platzbedarf und die große Wendigkeit. Wenn man vom fehlenden Wetterschutz absieht, ist das MP3-Konzept also bestens geeignet den städtischen Verkehr zu entlasten - erst recht, wenn 2010 die Hybridvariante zu den Händlern und auf die Straßen kommt.

Alles bestens also? Nicht ganz. Dem LT ist, mehr als dem Vorgänger in Sachen Platzangebot anzumerken, dass er keine totale Neuentwicklung, sondern eine Zweitverwertung ist. Weil gesetzlich eine auf alle Räder wirkende Fußbremse nötig ist, steht für den rechten Fuß deutlich weniger Abstellfläche zur Verfügung. Das zwingt den Fahrer zu einer zwar nicht unbequemen, aber doch exakt definierten Sitzposition. Eine variabel nutzbare Sitzbank, die diesen Nachteil kompensieren könnte, hat Piaggio leider nicht vorgesehen.

Der zweite Aspekt, an dem sich das nachträgliche Werkeln der Ingenieure unangenehm zeigt, ist der für Großfüßler ziemlich geringe Raum zur Betätigung der Fußbremse. Es ist nicht ausgeschlossen, dass man unbeabsichtigt am Mitteltunnel streift oder mit der Schuhspitze an der Verkleidung anstößt, was die beabsichtigte Bremswirkung reduzieren kann. Andererseits gibt es auch weiterhin die üblichen Handbremshebel; der linke aktiviert die Hinterradbremse, der rechte die beiden Bremsscheiben vorne. Ein ABS, wird nicht vermisst; die Fahrstabilität ist auch so tadellos.

Und sonst? MP3-Fahren gestaltet sich ausgesprochen pfiffig. Die Motoren, 250 cm3 oder 400 cm3 große Einzylinder-Viertakter, schnurren dezent und sind mit einem Verbrauch von weniger als vier Liter Super pro 100 Kilometer ausreichend sparsam, der Federungskomfort ist klasse und die Fahrstabilität auch bei hohem Tempo einwandfrei. Und weil auch die ergonomisch wichtigen Details (Feststellbremse, Gepäckmitnahme, Aufbocken, Windschutz, Schalterbedienung) gut gelöst sind, lässt sich außer den etwas beengten Platzverhältnissen nichts ernsthaft kritisieren.

Im Gegenteil: Es sei noch auf ein Schmankerl verwiesen. Eine intelligente Roll-LockVerriegelungsautomatik verbindet die beiden Vorderräder auf Tastendruck fest. Und zwar auch im Fahren, sofern der Gasgriff geschlossen und das Tempo geringer als zehn km/h ist. Mit diesem "Trick mit dem Klick" lässt sich der MP3 beispielsweise vor Ampeln stoppen, ohne einen Fuß auf den Boden setzen zu müssen. Das sieht nicht nur neckisch aus, sondern ist beispielsweise bei Regen ein echter Vorteil. Beim Anfahren genügt es, Gas zu geben. Schon öffnet sich die Räder-Verriegelung. Allzu zögerlich sollte man allerdings nicht losfahren, denn vor dem Umkippen bei sehr langsamem Tempo ist der MP3 nicht gefeit. Deshalb: Gas auf und ab die Post! Voraussetzung ist, dass einem 6850 Euro für die 125 km/h flotte 250er-Version oder 7800 Euro für die 140 km/h schnelle 400er nicht zu viel sind.

© SZ vom 04.10.2008/gf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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