Panzerlimousinen von Mercedes:Den Schuss gehalten

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Mercedes ist für die Sicherheit prominenter Käufer kein Aufwand zu hoch. Ein Blick hinter die Kulissen der gepanzerten Guard-Modelle.

Michael Specht

Die Begriffe "Insassenschutz" und "sichere Fahrgastzelle" kennen wir gewöhnlich aus Crashtests der Autohersteller. Im Sindelfinger Center of Excellence von Mercedes-Benz haben sie eine gänzlich andere Bedeutung.

Die sechs Zentimeter dicken Scheiben halten auch schwerem Beschuss stand. (Foto: Mercedes)

Dort, wo normalerweise gut betuchte Menschen mit dem Verkaufsberater über die Maserung des Wurzelholzes oder die Einbaulage der Champagner-Bar für den neuen Maybach fachsimpeln, befindet sich auch die Abteilung für Sonderschutzprodukte, zu Deutsch, gepanzerte Fahrzeuge.

Bei Mercedes heißen sie Guard. Hier geht es beim Beratungsgespräch um Fragen des Überlebens, um Geschosse und Granaten, um Projektile und Protektion, und nicht zuletzt um richtig böse Menschen.

Vor ihnen möchte Mercedes die Kunden in seinen Guard-Modellen schützen. Von Putin bis zum Papst - es sind Politiker, Prominente und Präsidenten, Könige und Kanzler, Bosse und Botschafter. Verteilt über alle Länder der Erde.

Gut 80 Jahre Erfahrung - mehr als bei jedem anderen Autohersteller - fließen in die Entwicklung und den Bau der gepanzerten Modelle ein. Schon den 600er-Pullmann in den sechziger Jahren gab es mit Sonderschutz, sämtliche S-Klassen danach sowieso.

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Das erste Guard-Modell überhaupt war ein Mercedes Nürburg 460 aus dem Jahre 1928. Der japanische Kaiserhof und die Regierung erhielten zwischen 1932 und 1935 sechs Exemplare des "Großen Mercedes" Typ 770, davon war mindestens eines gepanzert.

Über Namen von prominenten und weniger prominenten Käufern wird heute bei Mercedes selbstverständlich nicht gesprochen. Es herrscht absolute Diskretion. Nicht einmal der Nachbar soll wissen, was für ein Auto nebenan parkt. "Wir haben Kunden, die nachts im Center of Excellence eine Beratung wünschen - und sie auch bekommen", sagt Produktmanager Markus Rugenbauer.

Äußerlich ist den gepanzerten Limousinen - meist S-Klassen in dezentem Schwarz gehalten - ohnehin nichts anzusehen. Pure Absicht. Motto: Nur nicht auffallen. Lediglich der Fachmann erkennt an den breiteren schwarzen Scheibenrändern und dem zweiten Bremssattel hinter den vorderen Felgen den Sonderschutz in der S-Klasse.

Was einzig zählt, sind die inneren Werte. Und hier betreibt der Stuttgarter Autobauer einen Aufwand wie kein Zweiter. Bereits der nackten Rohkarosse geht man ans dünne Blech, schweißt im Innenraum bis zu 9,5 Millimeter dicke Panzerstahlplatten ein: an der Trennwand zum Motor, im Boden, im Dach, in den Türen und an der Kofferraumwand. Drei Wochen dauert diese Prozedur. Nicht der kleinste ungeschützte Spalt darf übrigbleiben.

Die Scheiben sind sechs Zentimeter dick und kaum noch von den (verstärkten) E-Motoren zu bewegen. Der Tank erhält eine zusätzliche Hülle, die eine Kugel zwar durchschlagen kann, doch das Material ist so geartet, dass sich das Loch nach wenigen Sekunden wieder verschließt. Kein Sprit läuft aus. Das gleiche Zeug bauen die Amerikaner in ihre Apache-Kampfhubschrauber.

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Und natürlich muss der Wagen auch mit zerschossenen Reifen flüchten können. Michelin liefert hierfür die Spezial-Pneus. So gerüstet, könnte die Guard-S-Klasse in einem Rambo-Film mitspielen. Sie würde dann beidseitig von Maschinengewehren und Revolvern des Kalibers 44-Magnum unter Beschuss genommen oder mit Handgranaten beworfen werden, ohne dass den Insassen auch nur ein Haar gekrümmt würde.

Dies entspricht einer Belastung, als würde eine ein Kilo schwere Stahlkugel mit etwa 300 km/h gegen das Fenster fliegen. Stefan Schüle, Ballistik-Experte im hauseigenen Schusskanal von Mercedes spricht trocken von Schutzklasse BRV 6 und BRV 7.

Das Kürzel steht für Bullet Resistance Vehicle, die Ziffern für die höchste Schutzkategorie, den man Pkw mit auf den Weg geben kann. Besser sind nur noch Panzer.

All diese Um- und Einbauten kosten Gewicht, sehr viel Gewicht sogar. Gut 1,5 Tonnen, so viel wie eine Mittelklasselimousine, muss eine derart gerüstete S-Klasse an Ballast zusätzlich mit sich herumschleppen. Macht in der Summe, und besetzt mit Fahrer und fülligem Minister, gute vier Tonnen Gesamtgewicht.

Da wundert es nicht, dass Einstiegsmotorisierungen hier nichts verloren haben. Die S-Klasse Guard gibt es nur als V8 Diesel und als V12-Benziner. Spitzenleistung: 517 PS. Das Höchsttempo ist auf 210 km/h begrenzt.

Wer allerdings glaubt, ein so fetter Brocken lässt sich nur noch um die Kurven tragen, irrt gewaltig. Wir konnten auf dem Versuchsfeld eines alten Flugplatzes einen S 600 Guard so richtig ausfahren. Selbst fieseste Ausweichmanöver mit 90 km/h, bei denen ruckartig an der Lenkung gerissen wurde oder Fahr- und Bremstests mit einem platten Reifen brachten das Dickschiff nicht aus der Ruhe. Gute Chancen, eine Verfolgungsjagd von Bösewichtern zu überstehen.

Der Aufpreis für eine komplette Guard-Ausrüstung der Kategorie BRV 7 reicht an die viertel Million Euro heran. Nicht eben wenig, doch für die zahlungskräftige Kundschaft ein Schnäppchen, wenn es Leib und Leben rettet.

Dass mit Geld allerdings nicht jeder kommen kann, dafür hat Mercedes einen geschickten Filter. Welchen, möchte Markus Nast nicht verraten. "Wir behalten uns vor, auch Kunden abzulehnen", sagt der Marketing-Mann. Potentaten und Mafiosi zumindest haben keine Chance, in Stuttgart zum Zuge zu kommen - nicht mal über mögliche V-Leute.

Wie viele Guard-Exemplare jährlich ausgeliefert werden, hält Mercedes ebenfalls geheim, schon mit Rücksicht auf die Konkurrenten in Ingolstadt und München. Nur so viel: "Wir sind Weltmarktführer."

Experten beziffern den Jahresbedarf auf bis zu 20.000 Fahrzeuge. Tendenz steigend. "Allein in Südamerika", weiß Markus Rugenbauer, "gibt es eine vierstellige Anzahl von Entführungen - jeden Tag."

© SZ vom 30.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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