Österreichische Bundesbahn:In vollen Zügen

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Österreichs Bundesbahnen rüsten auf und bauen ab. Begleiterscheinungen der Modernisierung sind grelle Beleuchtung und aufpreispflichtige Coupés. Ein Erfahrungsbericht.

Michael Frank

Eisenbahnfahren ist wie geschenkte Zeit. Während der Autofahrer konzentriert eine risikoreiche Arbeit zu verrichten hat, kann der Bahnreisende dösen, lesen, schlafen, arbeiten, träumen. Und er kann sich, was der Autofahrer tunlichst vermeiden sollte, der vorbeiziehenden Landschaft widmen. Alle Bahngesellschaften, so auch Österreichs Bundesbahnen ÖBB, sehen ihre Chance im neu erwachten Sinn für die Annehmlichkeiten eines Verkehrsmittels, bei dem die besorgte Bitte "Fahr nicht zu schnell" zu einem hübschen Scherz mutiert, fährt doch ein Fachmann alle.

IC der Österreichischen Bundesbahnen: Wer teuer sitzt, kommt hier schnell ins Schwitzen. (Foto: Foto: ÖBB)

Die Bahnen rüsten auf, unter gelegentlichem Murren des Publikums angesichts gewisser Schwerfälligkeit so großer Systeme. Auch in Österreich hat man diverse Strecken wacker ausgebaut und beschleunigt; Brenner und Wienerwald werden untertunnelt, die Hauptstadt bekommt einen Zentralbahnhof statt der alten Kopfstationen. Der alte Wagenpark und schäbige Bahnhöfe werden restauriert und erneuert. Dennoch beschleicht den Bahnreisenden hier wie in ganz Europa der Verdacht, dass die Verantwortlichen für so manche Erneuerung nie wirklich selbst Zug fahren. Bezeichnend war vor gut einem Jahr die Konferenz aller europäischen Bahndirektoren in Wien, zu der peinlicherweise kein einziger mit dem Zug kam.

Machen wir es konkret. Ein tückischer Kunstgriff der modernen Warenwelt ist es, billige Kunstmaterialen wie ein echtes Naturprodukt aussehen zu lassen. Bei der ÖBB hat man diesen Kniff auf seine konträre Spitze getrieben: Die neuen Waggons der 1. Klasse haben durchweg echte Ledergarnituren, die aber wie Kunstleder anmuten. Will heißen: Wer hier teuer sitzt, kommt schnell ins Schwitzen. Auch deshalb, weil das neueste Stereotyp der Ausfall der Klimaanlage just in den neuen Waggons ist. Kaum ein Zug, in dem nicht ein Wagen unklimatisiert rollt, was auch an kälteren Tagen zu Saunatemperaturen führt. Die Passagiere der 2. Klasse dürfen weiter auf angenehmeren Stoffsitzen reisen. Und all diese Sitzgelegenheiten haben nur zwei Stellungen, die alsbald Pein bereiten.

Raubrittertum bei der Preisgestaltung

Die 1. Klasse verzeichnet allgemein weit größere Zuwächse als die zweite. Trotzdem geht dies wegen des Überhandnehmens der Großraumwagen mit einer Art Vermassung einher. Dazu gehören der Duft eines Döner in Händen eines Eiligen ebenso wie Klingeltöne und herrische Telefonate. Nach so mancher Fahrt kennt man die Bilanz verschiedener Unternehmen oder die Probleme einer Beziehungskiste im Detail. Es gibt in den neuen Wagen aber tatsächlich auch noch das klassische Coupé - mit vier Plätzen und viel Raum. Das aber nennt sich Business-Abteil und kostet pro Fahrt 15 Euro zusätzlich. Pures Raubrittertum, schimpfen manche - trotz des Begrüßungsgetränks und der Möglichkeit, Wertsachen im Zugbegleitersafe verstauen zu lassen. Massentransport oder zahlen.

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:Außen hui, innen pfui?

Die Österreichische Bundesbahn stolpert mit mehr oder weniger Geschick in die Moderne: stylishe Bahnhöfe hier, im besten Fall irritierendes Innenleben der Züge dort.

Typisch für die autoritäre Struktur alter Systeme wie dem der ÖBB: Die Schaffner, durchwegs äußerst freundlich, zuvorkommend und hilfsbereit, geraten bei entsprechenden Beschwerden richtig in Verzweiflung. Denn geben sie die Beschwerden weiter, wird das intern offenbar als Wichtigtuerei oder gar als Sabotage abgetan; schließlich geht es um die Vermarktung dieser Abteile und nicht darum, Klagen stattzugeben. Am Ende steht so meist die inständige Bitte des Kondukteurs, doch selbst bei der ÖBB-Führung Beschwerde zu erheben, weil der Schaffner sich bei korrekter Wiedergabe selbst die Karriere verdürbe.

Zum Umsteigen im Zug gezwungen

Tiefes Ärgernis sind die Business-Abteile vor allem auch für Fahrgäste aus dem Ausland, die sich zunächst erfreut in den weiträumigen Abteilen niederlassen. Kommt der österreichische Schaffner, muss er die Reisenden unerbittlich zur Kasse bitten oder des Platzes verweisen. Man wird gleichsam im Zug selbst zum Umsteigen gezwungen, denn die Aufschrift, die für die Coupés einen Zuschlag ankündigt, nimmt niemand wirklich wahr. Business sind auch die Raucherabteile angesiedelt. Flüchtet man im Zug in dieses letzte Refugium, darf man sich nicht wundern, wenn stets grußlos Mitreisende hereinschnüren und sich für nur eine Zigarette niederlassen - selbst den ordentlich eingemieteten Rauchern werden so die Nebelschwaden zu dick.

In Österreichs 1. Klasse gibt es übrigens Zeitungen und Zeitschriften gratis und, wie gesagt, geradezu vorbildlich höfliches Begleitpersonal. Dafür aber sind Abend- oder Nachtfahrten in der Stimmung eines Krematoriums zu absolvieren: Die Beleuchtung ist grell und unerbittlich, das Publikum hockt mit scheinbar grünen Gesichtern wie eine Versammlung von Wasserleichen im Großraum. Und der Fensterplatz? Just die Einzelsitze haben oft neben sich nur die Wand mit dem Elektrostecker - Laptop-freundlich, das Licht der Welt könnte stören; eine Fensterplatzbestellung kann also in halber Dunkelhaft enden. In gewisser Weise terrorisieren so die ÖBB durch Modernisierung einen Teil ausgerechnet ihrer besseren Klientel. So wie auch die neuen Bahnhöfe derart kalt und abweisend sind, dass sie den Schauder einer Desinfektionsanstalt vermitteln.

Die beste Dienstleistung fristet ein Schattendasein

Besonders seltsam aber, dass Österreichs insgesamt doch recht respektable Bundesbahnen eine ihre besten Dienstleistungen regelrecht verstecken: die Autoreisezüge. Wichtige Hauptstrecken des Landes verbinden tägliche Autozüge, die im europäischen Vergleich ungewöhnlich preiswert und denkbar unkompliziert sind. Dennoch sieht man die Züge oft fast leer fahren, denn: Die meisten Österreicher, geschweige denn Ausländer, wissen nichts von diesem nicht beworbenen Angebot. Früher gab es solche Autozüge täglich mehrmals auch zwischen Salzburg und Villach, einer der großen Ferienrouten in den Süden. Die Züge wurden wenig genutzt, niemand wusste von ihnen; statt sie bekanntzumachen, hat man sie eingestellt.

© SZ vom 11.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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