Neue Schnellzüge:Mit Vollgas in die Zukunft

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Auf der Messe Innotrans setzt die Schienenverkehrsbranche voll auf Hochgeschwindigkeit.

Klaus C. Koch

Etwas breitspurig kommt der erste russische Hochgeschwindigkeitszug daher. 250 Kilometer pro Stunde schnell soll er künftig die Reisezeit zwischen Moskau und St. Petersburg um eine Stunde verkürzen. Über den Sitzen, die vertraut wirken, weil der Sapsan (Wanderfalke) ein Abkömmling des ICE3 ist, verkündet eine Leuchtanzeige die Außentemperatur. Minus 50 Grad heißt es auf Kyrillisch und Englisch.

Messe-Premiere: Der Sapsan fährt bald in Russland. (Foto: Foto: Koch)

88 Milliarden Euro Umsatz werden erwartet

Zur feierlichen Enthüllung anlässlich der weltgrößten Schienenverkehrsmesse, der Innotrans in Berlin, haben Bahningenieure die Illusion perfektioniert. Vladimir Yakunin, Präsident der russischen Bahngesellschaft RZD, bedankt sich für die Zusammenarbeit zwischen deutschen und russischen Ingenieuren. Die haben nicht nur die Fahrgastinformation simuliert, sondern auch den Wagenkasten um einen Drittelmeter breiter gemacht und die Radsätze auf anderthalb Meter Spurweite gebracht. Jetzt steht der Velaro RUS aufgebockt auf dem Freigelände, weil er auf deutsche Gleise nicht passt. Später wird er nach Rügen gebracht und von dort an Bord eines Schiffes nach St. Petersburg verladen.

Drinnen, im Palais am Funkturm, wird über den Schienenverkehr debattiert. Er nimmt zurzeit weltweit jährlich um zwei Prozent zu. Im Vergleich zum Gesamtverkehr, der infolge der Globalisierung explosionsartig wächst, ist das vielleicht marginal. Aber von China über das ehemalige Sowjetreich bis hin zu den USA werden hier die nächsten fünf bis sechs Jahre 88 Milliarden Euro an Umsatz erwartet.

Treibende Kraft sind Schreckensbilder von Abgasschwaden und Blechkolonnen eines zumal in den Entwicklungsländern teils völlig unkontrolliert wuchernden Verkehrsgeschehens, kombiniert mit der frohen Botschaft: "Wir sind die Guten." Der Gegenentwurf zum alles erstickenden Gewühl sind Schnellzüge und Regiobahnen, die durch blühende Landschaften eilen, neue Hochgeschwindigkeitstrassen und moderne Streckensysteme. Von letzteren profitiert eine Schienenverkehrsindustrie, die nicht müde wird, auf den Umweltvorteil zu pochen. Unter Herstellern wie Betreibern gehört Klappern zum Handwerk.

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Während Bahnchef Hartmut Mehdorn schon mal zugibt, dass die Bahn mit einem Anteil von zehn Prozent "der größte Energieverbraucher Deutschlands" sei, wirbt Alstom-Chef Philippe Mellier damit, dass das Nachfolgemodell des französischen TGV, der AGV (Automotrice Grand Vitesse), 70 Tonnen leichter sei als das Konkurrenzmodell der deutschen Hochgeschwindigkeitsriege. Beim Bremsen von 360 Kilometer pro Stunde auf null werden durch Rückverwandlung der Bewegungs- in elektrische Energie bis zu acht Megawatt ins System rückgespeist - entsprechend der Leistung von vier Windkrafträdern.

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In Erdöläquivalent umgerechnet, verbraucht der AGV pro Fahrgast angeblich gerade einmal 0,4 Liter auf 100 Kilometer, achtmal weniger als ein Auto mit zwei bis drei Insassen und 15-mal weniger als mit dem Flugzeug. Darin wird er nur noch vom Velaro unterboten, der angeblich mit 0,3 Liter auskommt. "Das passt in eine Cola-Dose rein", sagt Hans-Jörg Grundmann von der Schienenverkehrssparte von Siemens.

Im Gegensatz zum Straßenverkehr, wo die Spritpreise zurückhaltenderen Umgang mit dem Gaspedal signalisieren, ist bei den Bahnen unverblümt Höchstgeschwindigkeit Trumpf. Von den 400 Milliarden Euro, die Russland bis 2030 in den Ausbau des Schienennetzes stecken will, wird ein guter Teil in Schnelltrassen fließen. Der Sapsan soll später bis nach Nizhny Nowgorod fahren. China will - weitgehend mit eigenem Fahrzeugmaterial - in den nächsten Jahren 10.000 Kilometer Expresstrassen realisieren. In Europa sind es dem Internationalen Eisenbahnverband UIC zufolge gerade mal 170 Kilometer pro Jahr.

Leidtragende des Hochgeschwindigkeitswahns waren in jüngerer Zeit Regionalverkehre mit kürzeren und mittleren Strecken. Dabei machen sich Hersteller wie Bombardier verstärkt um Triebwagen verdient, die nicht nur besser schallisoliert und lärmgedämmt sind, mit Snack-Automaten und bescheidenem Bistro-Komfort aufwarten. Zugleich wird daran gearbeitet, Rollstuhlfahrern durch tiefliegende Einstiegsbereiche, behindertengerechte Toiletten und Sehbehinderten durch ertastbare Beschriftung sowie akustische Signale zu helfen.

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Rot, schnell und dynamisch - so präsentiert sich der neue Hochgeschwindigkeitszug AGV, den das private Bahnunternehmen "Nuovo Trasporto Viaggiatori" (NTV) ab 2011 auf den Schienen Italiens einsetzen will.

Um sich wechselnden Fahrgastzahlen und Einsatzbereichen anpassen zu können, lassen sich Züge der neuen Generation per Innenraumgestaltung und Anzahl der Türen relativ schnell vom Nahverkehrs- zum Regionalzug umbauen. Ab Dezember 2010 soll das Nürnberger S-Bahnnetz mit den flexiblen Modellen ausstaffiert werden, die DB-Chef Mehdorn als "das künftige Basismodell des Regionalverkehrs" propagiert.

Mit neu entwickelten Straßenbahnen wird mittlerweile sogar auf den Denkmalschutz Rücksicht genommen. In der Altstadt können sie über kürzere Strecken ohne Oberleitung fahren, weil sie in einer Batterie Energie zwischenspeichern. Vielleicht sind auch die Zeiten, in denen der Weltmarkt von wenigen großen Herstellern dominiert wird, bald vorbei. In der kroatischen Hauptstadt Zagreb fahren seit kurzem Mehrgelenkstraßenbahnen, die mit Klimaanlage, Panoramaaussicht und hydropneumatischer Federung nichts zu wünschen übrig lassen. Die Fahrzeuge werden zu 70 Prozent in Kroatien gefertigt.

© SZ vom 27.09.2008/gf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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