Mechatronik:Tüfteln für den Job

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Countdown zum Weltrekord: Ein Student des Münchner Teams WAAR Hyperloop bei den Vorbereitungen für das Rennen in Kalifornien. (Foto: WARR Hyperloop Team)

Halbleiter- und Autohersteller arbeiten gemeinsam an den Verkehrslösungen der Zukunft. Junge Talente rekrutieren sie auch aus dem Hyperloop-Projekt und studentischen Rennteams.

Von Joachim Becker

Gucken wir beim Transport künftig in die Röhre? Schon bald sollen Menschen und Güter mit mehr als 1000 Stundenkilometern durch fast luftleere Tunnel fliegen. Mit dem üblichen bodengebundenen Verkehr hat das Hyperloop-Projekt nichts zu tun. Eher mit den himmelstürmenden Visionen von Elon Musk. Der Elektroauto-Pionier hat nicht nur Tesla, sondern auch den Raketenhersteller SpaceX gegründet - und die Idee von der Express-Rohrpost in die Welt gesetzt. Ende Juli war der 47-jährige Milliardär beim dritten Hyperloop-Rennen in Los Angeles dabei. 20 internationale Studententeams mit fast 600 Teilnehmern kämpften in Kalifornien um einen neuen Geschwindigkeitsrekord. Und die Gewinner kamen wieder einmal aus München.

Mit 467 km/h siegte der Raumgleiter vom Team WARR Hyperloop. Viel schneller können unbemannte Kapseln auf der 1,2 Kilometer kurzen Teststrecke kaum werden. Vor einem Jahr hatte das Team von der TU München noch mit 324 km/h eine Bestmarke gesetzt. Die diesjährige Steigerung um fast 50 Prozent ist für Elektrofahrzeuge erstaunlich. Um so mehr, weil die Kapsel des Zweitplatzierten Delft Hyperloop in der Vakuumröhre nur 142 km/h erreichte. Von Fahren kann bei diesem Weltrekord also kaum eine Rede sein. Die anvisierte Schallgeschwindigkeit lässt sich nur durch kontaktlose Fortbewegung erreichen. Vor seinem dritten Sieg in Serie präsentierte das TUM-Team ein selbst entwickeltes Magnet-Schwebesystem. Alles streng geheim natürlich. Nur so viel wollen die 40 TUM-Studierenden verraten, dass neben Physikern auch viele Maschinenbauer, Elektrotechniker, Informatiker und Betriebswirte im Team mitarbeiten.

Die kunterbunte Mischung von Fakultäten ist so zukunftsträchtig wie die gesamte Hyperloop-Idee aus München. Das Projekt ist aus der studentischen Initiative WARR entstanden (Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt), die seit 1962 an der TU aktiv ist. So unterschiedlich die Lösungen für den Verkehr der Zukunft auch sind: In jedem Fall sollen die Ingenieurswissenschaften durch IT erweitert werden. Knapp 90 Prozent der Innovationen kommen mittlerweile aus der Datenverarbeitung - und den entsprechenden Hochleistungshalbleitern. Nicht ganz zufällig schwärmt Hans Adlkofer, Leiter des Automobil-Systemgeschäfts bei Infineon, von dem "sensationellen Erfolg" des Münchner Teams. Der Chiphersteller ist Sponsor und Technologie-Lieferant zugleich: Mit 144 Leistungshalbleitern regeln die Studenten zum Beispiel die Antriebssteuerung der acht Elektromotoren. Zusätzlich liefert der Chiphersteller aus Neubiberg auch Sensoren, um die Rotorstellung zu erkennen - unabdingbar für die Ansteuerung der Motoren.

Infineon stammt aus der Halbleitersparte von Siemens, deshalb sind die Kontakte zur TUM traditionell gut. Auch der europäische Champion NXP kümmert sich intensiv um den Nachwuchs. Die Niederländer, die aus der Halbleitersparte von Phillips hervorgegangen sind, engagieren sich als Hauptsponsor für das Formula Student Team e-gnition. Die Zusammenarbeit mit den Elektrorennern der Universität Hamburg (TUHH) ist ein beliebtes Recruiting-Format für neue Mitarbeiter. Junge Talente sind hochwillkommen, denn nur mit ihnen kann NXP seine Führung vor Infineon im weltweiten Chipgeschäft mit der Automobilindustrie halten.

Autos rangierten bei den Halbleiterherstellern lange unter "ferner liefen". Doch deren digitale Revolution geht jetzt erst richtig los: Heute werden pro Pkw durchschnittlich Chips im Wert von 325 Euro verbaut, in Premium-Automobilen können es auch fünf Mal so viel sein. Bis 2020 soll dieser Wert um mindestens 15 Prozent zulegen und danach rasant weiter steigen. Treiber sind das selbstfahrende Auto, die Elektrifizierung des Antriebsstrangs und die breitbandige Vernetzung des Fahrzeugs. Allein die ersten beiden Punkte könnten den Chip-Wert jeweils verdoppeln, schätzt Kurt Sievers: Die 5G-Vernetzung soll weitere 100 Euro an Chip-Wert beitragen, erwartet der Geschäftsführer von NXP Deutschland. Bis vor kurzem nahm die Autoindustrie weniger als zehn Prozent der weltweiten Halbleiterproduktion ab. Sievers prognostiziert einen doppelt so hohen Anteil bis zum Jahr 2020. "Damit steht der Automarkt als strategisch bedeutsame Größe im Fokus führender Halbleithersteller", so Sievers weiter.

Der größte Teil der Chips wird heute in Mobiltelefonen verbaut (32 Prozent), PCs machen fast ein weiteres Drittel aus. Alle Endanwendungen für Konsumenten stagnieren allerdings oder sind rückläufig. Marktstudien zufolge soll sich daran auch künftig wenig ändern. Einzig der Automobilmarkt soll sein Wachstum noch beschleunigen. Daran wird auch die jüngst geplatzte Fusion von NXP mit Qualcomm nichts ändern. Die Milliarden-schweren Übernahmen von Mobileye durch Intel und von Harman durch Samsung zeigen, welche Dynamik zwischen Automobil- und Halbleiterindustrie herrscht.

Halbleiter im Auto feiern ihren 40. Geburtstag. Den Anfang machte die Stotterbremse ABS

Begonnen hat das digitale Zeitalter im Auto vor ziemlich genau 40 Jahren. Bereits in den 60er Jahren forschte Mercedes an einem Antiblockiersystem. Ohne Halbleiter war die hydraulische Steuerung der "Stotterbremse" jedoch zu aufwändig für die Serie. Erst 1978 war ABS mit integrierten Schaltkreisen von Bosch für die Mercedes S-Klasse lieferbar - für stolze 2217,60 Mark. Heute ist der Sicherheitsassistent in Europa genauso Standard wie das Antischleudersystem ESP. Und Bosch ist bei anwendungsspezifischen Schaltungen (ASIC), Leistungshalbleitern und mikroelektromechanischen Systemen (MEMS) einer der führenden Automobilzulieferer. Gerade entsteht in Dresden eine neue Mega-Chipfabrik für intelligente Schaltungen in den Bereichen vernetzte Mobilität, Smart Home und Smart City. Weltmarktführer ist Bosch im Bereich der MEMS-Sensoren, die vor mehr als 20 Jahren selbst entwickelt wurden. Mittlerweile finden 75 Prozent der kleinen Bewegungsmelder in der Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik Verwendung, zum Beispiel, um die Position und Bewegung exakt zu messen. Was in Mobiltelefonen Standard ist, wird auch im Auto immer wichtiger - damit Navigationssysteme beispielsweise ihr Ziel auch in Tunneln nicht mehr aus den Augen verlieren. Auch ohne das GPS-Signal kann der MEMS-Sensor von Bosch genaue Bewegungsdaten (Drehrate und Beschleunigung) liefern. Hochautomatisierte Autos müssen laufend ihre Position zentimetergenau bestimmen, um die Fahraufgabe übernehmen zu können.

Statt vieler verstreuter Steuergeräte werden künftig Zentralrechner im Auto den Weg in die Zukunft weisen. Hochleistungshalbleiter für die Bildverarbeitung, Mustererkennung und Wegplanung machen den menschlichen Fahrer mittelfristig überflüssig. Gerade hat Nvidia auf der Entwicklerkonferenz GTC Europe bekannt gegeben, dass Volvo mit dem Nvidia Drive AGX Xavier Computer in die Serienproduktion von hoch automatisierten Fahrzeugen einsteigen wird. Auch Bosch und Mercedes haben Nvidia als Technologiepartner für ihre Robotertaxis ausgewählt, während BMW mit Intel und Mobileye intensiv zusammenarbeitet. Nicht nur die Hyperloop-Idee will also den Transport umkrempeln. Statt den Straßenverkehr durch ein weiteres Infrastrukturangebot zu entlasten, könnten die vorhandenen Verkehrswege auch durch vernetzte und automatisierte Fahrzeuge effizienter genutzt werden. Für welche Lösung auch immer: Halbleiter mit immer mehr Rechenpower werden ein Schlüssel für diese mechatronische Revolution sein.

© SZ vom 27.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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