Jahrelang haben sich die großen Autoversicherer gesträubt, aber 2016 ist es so weit: Auch die beiden Marktführer HUK-Coburg und Allianz werden Telematik-Tarife einführen. Eine Blackbox misst dann ständig Position, Geschwindigkeit sowie Beschleunigungs- und Bremsverhalten. Die Daten gehen an ein Rechenzentrum, das einen Punktwert für den Fahrer ermittelt - wer in geschlossenen Ortschaften 80 fährt oder immer scharf bremst, erhält Punktabzüge. Je nach Punktestand vergibt der Versicherer Rabatte. Für die meisten Autofahrer ist diese permanente Überwachung ein Horrorszenario.
Auch die Versicherer glauben nicht, dass sie mit Telematik-Tarifen auf Anhieb große Marktanteile erzielen. Dennoch geben sie Millionen für diese Angebote aus - aus gutem Grund. Schließlich sind Neuwagen heute schon fahrende Computer. Ab 2018 müssen die Hersteller sie mit dem sogenannten eCall ausstatten. Spätestens dann sammelt jedes neue Auto permanent Daten. Nach einem Unfall schickt der Pkw automatisch eine Meldung an die Notrufzentrale - und den Hersteller. Die Versicherer aber sind dabei nach dem jetzigen Stand außen vor.
Telematik-Tarife bei Kfz-Versicherungen:Der Spion kommt ins Auto
Mit der HUK-Coburg bietet Deutschlands größter Kfz-Versicherer ab 2016 günstige Tarife für Autofahrer an, die ihre Fahrweise überwachen lassen. Andere Versicherer werden folgen - weil sie fürchten, sonst aus dem Geschäft gedrängt zu werden.
Der Versicherer als freundlicher Verkehrserzieher
Gleichzeitig experimentieren die großen Hersteller und branchenfremde Anbieter wie Google mit dem fahrerlosen Auto und erklären vollmundig, für die von den Automaten angerichteten Schäden selbst zu haften. Schon heute führen Abstandswarner und Parkhilfen zu einer dramatischen Reduzierung der Unfallzahlen.
Die Branche fürchtet, von der technischen Entwicklung abgehängt zu werden, einen Umsatzeinbruch zu erleiden und möglicherweise ihre Kunden ganz an die Hersteller oder Google zu verlieren. Wenn die Versicherer aber im Geschäft bleiben wollen, müssen sie ihren Kunden mehr bieten als Vertragsabschluss und Leistung im Schadensfall. Da soll ausgerechnet die permanente Überwachung helfen. Denn Telematik-Kunden werden ihren Versicherer künftig als freundlichen Verkehrserzieher erleben - der einmal pro Woche den Punktestand schickt, das Fahrverhalten lobt oder tadelt, Vorschläge für das Aufziehen der Winterreifen macht, Freizeitangebote vorschlägt und sich so unverzichtbar macht.
Testphase des Google Car:Mensch gegen Maschine
Wenn von Menschen gesteuerte sowie autonome Fahrzeuge aufeinandertreffen, führt das oft zu Missverständnissen. Müssen Computerautos aggressiver werden - oder die Menschen sich strenger an Regeln halten?
Die Statistik entscheidet
Zu Beginn zielen die Versicherer vor allem auf junge Fahrer. Sie können künftig bei gutem Fahrverhalten viele Hundert Euro sparen. Wenn das gegen die sogenannten Disco-Unfälle hilft, haben die Versicherer den Streit um die Überwachung gewonnen. Wer wird etwas gegen Telematik sagen, wenn sie 200 oder 300 Todesopfer pro Jahr verhindert?
Bei anderen Fahrern werden die Versicherer länger brauchen, um mit Telematik zu punkten. Doch wenn die Masse der gesammelten Daten erst einmal groß genug ist, können sie so zielgenaue Angebote machen, dass sich immer weniger Fahrer dagegen wehren können. 200 Euro oder 800 Euro im Jahr? Das wird die Frage sein. Wer sich der Datenerfassung verweigert, zahlt automatisch mehr. Die Entwicklung ist kaum zu verhindern. Nur die Politik könnte der Datensammelwut gesetzlich einen Riegel vorschieben. Das hat sie mit dem Verbot der Nutzung von Gentest-Daten für die Lebens- und Krankenversicherung erfolgreich getan. Doch ist es illusorisch zu glauben, dass so etwas auch für die Autoversicherung gelingt. Dafür ist das Argument der Versicherer, dass die Telematik die Unfall- und Verkehrsopferzahlen senkt, zu durchschlagend.
Telematik-Tarife:Autofahrer lassen sich freiwillig überwachen
Einige Gesellschaften locken Autofahrer mit günstigen Kfz-Tarifen. Die Bedingung: eine Black Box im Auto und Zugriff auf Fahrdaten. Eine Mehrheit der Fahrer hat damit kein Problem.
Es müssen Grundregeln definiert werden
Dennoch gibt es Handlungsbedarf. Regierung, Parlament und Datenschützer müssen sich dringend darum kümmern, dass die Versicherer Grundregeln einhalten. Dazu gehört die Trennung der Punktwert-Berechnung vom Versicherungsbetrieb - der Sachbearbeiter darf nie erfahren, warum ein bestimmter Punktwert zustande gekommen ist. Nur der Kunde selbst kann die eigentlichen Daten sehen, der Versicherer nur den Punktwert. Das ist übrigens auch im Interesse der Anbieter selbst. Denn nur Kunden, die dem Versicherer beim Thema Datenschutz vertrauen, werden sich auf die neue Welt einlassen.
Die Datenschutzvorschriften müssen angepasst werden. Doch sehr wahrscheinlich schauen auch Polizei und Geheimdienste interessiert auf die künftigen Datensammlungen mit Millionen Fahrzeugbewegungen. Entsprechend niedrig wird der Eifer der Regierung sein, Datenschutzregeln zu verschärfen. Dann bekommt die schöne neue Versicherungswelt endgültig Orwell'sche Züge.