Grand Prix Historique Monte Carlo:Entfesselte Legenden

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1937 fuhr der Auto Union Typ C in Monte Carlo um Punkte. Beim Grand Prix Historique 2014 saß Rennlegende Jacky Ickx am Steuer. (Foto: Abdruck fuer Pressezwecke honora)

Der Grand Prix Historique ist eines der exklusivsten Spektakel der Welt. In Monte Carlo treffen die schönsten und schnellsten Rennwagen der Geschichte aufeinander. Wenn es hier kracht, sind die Reparaturkosten schnell sechsstellig.

Von Jörg Reichle

Zehn Tage noch, dann bricht hier die Hölle los. Mitten im Paradies. Die Formel 1 in Monte-Carlo, das ist entfesselter Irrsinn in einer Zwergenmetropole, die tagelang das Atmen vergisst, eine überzüchtete Maschine, umzingelt von Luxusyachten und geschmiert von Vermögen aus nicht immer nachvollziehbaren Quellen. Der unvorstellbare Lärm der Maschinen lässt die Wohntürme erzittern mitsamt den metallenen Tribünenmonstern, die noch in der kleinsten Baulücke entlang der Piste in die Höhe wuchern. Und er erstickt alle Fragen. Zeitgemäß, hier mit 250 km/h Auto zu fahren? Wen interessiert das! Zu gefährlich? Aber ja, warum nicht! Zwischen mehrstöckigen Leitschienenkanälen katapultieren sich mechanische Einbäume brüllend mitten durch die Stadt wie bemannte Projektile. Die kleinste Abweichung von der optimalen Linie führt zum großen Knall. Oder zur finalen Katastrophe, die seit Jahren über diesem Rennen droht wie die finsteren Wolken, die der Wind wie immer zu dieser Jahreszeit vom Hinterland über die Stadt am Meer schiebt.

An Dramen herrscht sowieso kein Mangel in der Geschichte dieses Rennens, das seit 1929 ausgetragen wird. Und diese Geschichte reißt noch immer mit. Zu erleben ist das inzwischen schon zum neunten Mal - beim Grand Prix Historique, zwei Wochenenden bevor die moderne Formel 1 in Monte-Carlo einfällt. Und nicht selten ist dieser exklusive Auftakt atemraubender als die moderne Formel 1, die Kämpfe sind härter und die Havarien zahlreicher.

Gut gepolsterte Sugardaddys im Monoposto

Das liegt zum einen an den Akteuren. Denn hier kämpft zwar auch der eine oder andere Profifahrer wie Audi-Werkspilot Frank Stippler um Lorbeer. Vor allem aber balgt sich eine wilde Horde von Amateuren, bei denen bisweilen der Kontostand das Fahrkönnen eindeutig übertrifft. Motto: Es ist nie zu spät, ein Mann zu werden. Dabei hat so mancher in jeder Hinsicht gut gepolsterte Sugardaddy erkennbar Mühe, der engen Hülle seines Monoposto nach getaner Arbeit ohne Hilfe wieder zu entsteigen. Ganz abgesehen davon, dass in den kniffligen Passagen der 3,34 Kilometer langen Piste zwischen Casino und Rascasse-Haarnadel die gefahrenen Linien so weit auseinander liegen, wie überhaupt nur Platz vorhanden sein kann zwischen den Leitschienen.

Und doch ist Spott hier fehl am Platz. Nicht nur, weil es Könner wie den Amerikaner Duncan Dayton gibt. Der Architekt und Rennstallbesitzer verpasste mit seinem türkis-gelben Ex-Stommelen-Brabham BT33 von 1970 in diesem Jahr nur knapp seinen elften Sieg in Folge. Gegen einen exzellent fahrenden Japaner namens Katsuaki Kubota auf eben dem Lotus 72, mit dem Ronnie Peterson 1973 einen dritten Platz in Monte-Carlo geholt hatte, blieb Monaco-König Dayton diesmal chancenlos.

Die schnellsten Formelautos

Formel-1-Legenden wie dieser Lotus sind es vor allem, die den Grand Prix Historique zu einem so außergewöhnlichen Treffen machen. Vom Reglement fein säuberlich separiert in sieben Klassen und ergänzt um Sportwagen des Jahrgangs 1952, sind hier die schönsten und zu ihrer Zeit schnellsten Formelautos am Start - angefangen von den Grand-Prix-Wagen der Vorkriegszeit wie Bugatti, ERA und Alfa über die filigranen F1- und F2-Wagen der Jahre vor 1961 wie Cooper oder Lotus, bis hin zu den mörderischen, buchstäblich brandgefährlichen Geschossen der Siebzigerjahre. Gefahren wurden sie von Hasardeuren des Alles-oder-nichts, die oft genug ihren Siegeswillen mit dem Leben bezahlten.

Einer, der diese Zeit mit Glück überlebt hat, ist der Belgier Jacky Ickx, inzwischen auch schon reife 69 Jahre alt. Der sechsmalige Le-Mans-Sieger und zweifache Vizeweltmeister, einer der besten Allroundfahrer seiner Zeit, saß an diesem Wochenende für Audi am Steuer: in einem Typ C von 1936, einem Nachbau der silbernen Zigarre von legendärer Unbezähmbarkeit, dessen Piloten einst ihre liebe Not hatten, die 520 PS aus 16 Zylindern zu bändigen, die in ihrem Rücken tobten. Bis zu 340 km/h erreichten Fahrer wie Bernd Rosemeyer damit, doch Ickx rollte zu Ehren des 80. Jubiläums der Auto-Union-Silberpfeile im moderaten Demo-Modus um den Kurs - im Duo mit Audi-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg, der einen zwölfzylindrigen Typ D von 1939 steuerte.

Im Fahrerlager war das deutsche Silber das ganze Wochenende lang dicht umlagert, eine Sensation aus ferner Zeit. Zwischendurch schaute Jochen Mass auf einen Schwatz vorbei, Gerhard Berger tat geschäftig, Jean-Pierre Jabouille saß zum Zwecke der Erinnerung noch einmal am Steuer seines Renault Turbo F1, und Derek Bell streifte lässig durchs Fahrerlager am Fuß des Felsens, auf dem der Palast des traurigen Fürsten thront.

Dennoch: Die wahren Sensationen spielen sich zwischen Hotel de Paris, dem Tunnel am Meer und dem Geschlängel ums Schwimmbad ab. Ob Profi, Ex-Profi oder Amateur - gefahren wird hier, als gäbe es kein Morgen. Entsprechend hoch ist die Schadensquote und die orange gekleideten Streckenposten sind allzeit alarmbereit. Schon im Training sammeln die Trucks der monegassischen Garagen dann die Hinterlassenschaft auf - Rennwagen mit drei oder weniger Rädern, zerdepperte Flügel, geborstenes Plastik. Da sind die Reparaturkosten schnell sechsstellig und höher, wie demnächst auch John Goodman erfahren wird. Er verwandelte bei einer missglückten Überrundung auf der Start-und-Ziel-Geraden seinen bildschönen Ferrari 312B2 zu Schrott, mit dem Ickx 1972 den Grand Prix gewonnen hatte.

Preis auf Nachfrage, passender Kontostand erwünscht

Formel-1-Autos wie dieses gehören heute zu den höchstpreisigen Raritäten. So wurde im Rahmen des Grand Prix der Brabham BT20 versteigert, mit dem Denny Hulme 1967 in Monaco gewann. Erzielter Erlös: 1,092 Millionen Euro. Derzeit außerdem global im Angebot: unter anderem ein Matra MS20 von 1971, ein Ferrari F248 von 2006 oder ein Renault RE30B von 1982. Für Interessenten gilt: Preis auf Nachfrage, passender Kontostand erwünscht.

Was am Ende von diesem Grand Prix der Emotionen vor allem in Erinnerung bleibt? Das heisere Gebrüll der beiden Auto-Union in der Stille des Sonntagmittags, zwei schlanke Wagen allein auf der Piste, silbrig glänzend und schön wie überirdische technische Wesen. Und nächste Woche kommt die Elektro-Formel-1 nach Monte-Carlo. Die Geschichte geht weiter.

© SZ vom 17.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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