Golf VI:Detail-Arbeit

Lesezeit: 4 min

Der neue Golf ist nur halb neu, zudem kommen erst Ende 2009 die umweltfreundlichen Modelle.

Georg Kacher

Diese Geschichte hat wenig damit zu tun, wie der neue Golf bremst, lenkt und beschleunigt. Viel mehr als ein paar fahrdynamische Nuancen interessiert uns die Chronologie der Entstehung. Ursprünglich hätte nämlich alles ganz anders kommen sollen, und zwar in der klassischen Reihenfolge: Anlauf Golf V Ende 2003, Facelift Ende 2008, neuer Golf VI dann Ende 2010. Doch der Fünfer-Golf hatte im Vergleich zum Golf IV ein liebloses Interieur und anfangs nicht einmal eine Klimaanlage an Bord, außerdem war er zu teuer in der Herstellung. Deshalb entschieden die damaligen Herren der Wolfsburg, den Wagen vorzeitig durch ein optisch möglichst neues, technisch aber weitgehend unverändertes Auto zu ersetzen. Damit wollte man nicht nur die Nachfrage ankurbeln, sondern auch die Kosten senken und die Bauzeit um fast fünf Stunden verkürzen.

Klares Bild: Der Golf VI hat 40 Prozent seiner Teile vom Vorgänger übernommen, dennoch sieht er neu aus - mit klaren Linien, Flächen und Pfeilungen. (Foto: Foto:)

Martin Winterkorn, der Anfang 2007 zum Burgherrn in Wolfsburg avancierte, gefiel dieser strategische Ansatz zwar, nicht aber die optische Umsetzung. Deshalb durfte statt Murat Günak dessen Nachfolger Walter de'Silva den Golf Fünfeinhalb nach seinen Vorstellungen gestalten. Fünfeinhalb deshalb, weil auch der neue Chef kein völlig neues Auto aus dem Hut zaubern konnte.

Natürlich klingt Golf VI besser, und irgendwie stimmt die Bezeichnung auch, schließlich wurde bis auf die Dachhaut kein einziges Außenblech vom Vorgänger übernommen. Außerdem sind in Summe 60 Prozent aller Teile neu. Wenn man aber aus Kostengründen Radstand, Spur, Achsen, Plattform, Karosseriestruktur, die meisten Motoren und Getriebe sowie die Elektronik nicht verändern darf, dann ist es schwer, ein Auto neu aussehen zu lassen.

Noch schwerer aber ist es, das Fahrerlebnis unter diesen Voraussetzungen so zu verändern, dass ein Fortschritt spürbar wird, der sich nicht allein auf das subjektive Empfinden beschränkt. Die VW-Mannschaft musste daher tief in die Trickkiste greifen, um aus dem statischen Erbgut ein echtes Plus an Produktsubstanz zu destillieren. Mehr Wertigkeit - so lautete die Hauptforderung, die sich quer durch den Golf VI nachweisen lässt wie ein genetischer Fingerabdruck. Die Karosserie nutzt beispielsweise Spaltmaße, Linien, Flächen, Pfeilungen, Detailapplikationen sowie behutsame Anleihen bei Golf I und Golf IV, um den Charakter der Ikone zu wahren. Das klappt bis auf die beliebigen Rückleuchten erstaunlich gut.

VW Golf VI
:Sechs-Allüren

Was auf den ersten und vielleicht auch zweiten Blick wie ein Facelift des Golf V aussieht, ist in Wirklichkeit die sechste Generation des Wolfsburger Bestsellers. Erste Bilder, erste Fakten.

Noch überzeugender wurde der Innenraum verändert. Gestaltung, Werkstoffe und Ausstattung unterscheiden sich kaum vom Passat CC. Die Oberflächen fühlen sich teuer an, die Ergonomie ist intuitiv, der XXL-Verstellbereich der Sitze vermittelt das Raumgefühl der Mittelklasse. Neue Extras wie die Einparkautomatik, das lasergesteuerte Abstandshaltesystem und die adaptive Dämpferverstellung sorgen für eine Souveränität, die bislang nicht für Geld und gute Worte zu erfahren war. Apropos Geld: Die Preisspanne des neuen Golf VI reicht zunächst von 16.500 bis 27.125 Euro.

Während Audi beim Bediensystem dem MMI-Dreh-Drücksteller treu bleibt, setzt VW auf den Touchscreen-Bildschirm, der jeden Wurstsemmelfingertapper bis zur nächsten Großreinigung konserviert. Im Golf VI debütiert ein neues, preisgünstigeres System (RNS 310) mit etwas kleinerem Farbmonitor, Radio-Doppeltuner sowie SD-Kartenslot für Navidaten und MP3-Dateien. Die Anlage ist erweiterbar um ein Bluetooth-Telefon, CD-Wechsler, USB-Anschluss und um ein digitales Radiomodul; durchaus empfehlenswert sind auch die Rückfahrkamera und das Dynaudio-Soundsystem.

Die Ausstattungspakete Trendline (sieben Airbags, ESP, Klima), Comfortline (CD-Radio, Parksensoren, aber keine Alufelgen) und Highline (alles außer Leder und Navi) lassen genug Spielraum für Sonderwünsche. Ganz kostenfrei gibt es das große Geräuschdämmpaket mit einer Flüsterfolie in der Windschutzscheibe, mit neuem Dichtungskonzept für Türen und Seitenscheiben sowie mit leiseren Reifen, ruhigeren Motorlagern und windschlüpfigeren Außenspiegeln.

Dieses Gefühl der Splendid Isolation passt perfekt zum gediegenen Ambiente und zum unverändert ausgewogenen Fahrwerk. Die verstellbaren Dämpfer würden wir uns für den GTI aufheben, denn die Golf-Volumenmodelle repräsentieren die goldene Mitte und die braucht nur in seltenen Ausnahmesituationen eine Sportabstimmung. Absolut empfehlenswert ist dagegen das Doppelkupplungsgetriebe, das in Verbindung mit den Benzinern sieben Gänge und beim Diesel sechs Fahrstufen besitzt. VW spricht von bis zu 28 Prozent weniger Verbrauch, doch das gilt nur für den direkten Vergleich zwischen dem alten 110 kW (150 PS) starken 2,0-Liter-Motor und dem neuen 1,4-Liter-TSI-Twincharger mit 118 kW (160 PS).

Klassensprecher (1): VW Golf
:Der Namensgeber einer ganzen Klasse

Hat er schon den Rang einer Ikone? Immerhin sind etliche Generationen der Deutschen inzwischen mit ihm aufgewachsen: der VW Golf.

Eine sehr kurze Halbwertzeit haben die beiden Basistriebwerke mit 59 kW (80 PS) und 75 kW (102 PS), die schon im September 2009 durch zwei 1,2-Liter-TSI-Aggregate mit 63 kW (86 PS) und 77 kW (105 PS) ersetzt werden. Auch der kleine 2,0-Liter-Diesel wird nicht alt: Als Ablöse für den 81 kW (110 PS) starken Selbstzünder stehen für Frühjahr 2009 zwei 1,6-Liter-Aggregate bereit, die 66 kW (90 PS) beziehungsweise 77 kW (105 PS) leisten. Der GTI mit einem 147 kW (200 PS) starken Zwei-Liter-Turbo und der neue Golf GTD mit einem 2,0-Liter-TDI und 125 kW (170 PS) rollen ebenfalls erst im nächsten Jahr zu den Händlern.

Gleiches gilt für die Versionen mit 4Motion-Allradantrieb, der gegen Aufpreis für die beiden stärksten Diesel angeboten werden soll. Serienmäßig über vier angetriebene Räder verfügt der künftige Ober-Golf namens R20T. R steht für die in R GmbH umbenannte Individual-Abteilung, die Ziffern lassen auf zwei Liter Hubraum schließen und das T steht für den Turbolader, der 195 kW (265 PS) anmischt.

Der einfachste 1,6-Liter mit 75 kW (102 PS) lässt sich auf Wunsch besonders sparsam mit Flüssiggas betreiben. Noch umweltbewusster sind die beiden BlueMotion-Modelle, die leider nicht vor dem dritten Quartal 2009 zur Verfügung stehen. Die BM-Version mit dem 1,6-Liter-Diesel emittiert nur 99 Gramm CO2/km, der 1,2TSI-Variante werden 109 g CO2/km nachgesagt. Hinter der Bezeichnung BlueMotion II versteckt sich ab 2010 Start-Stopp-Automatik und Bremsenergie-Rückgewinnung für die Elektrifizierung der Nebenaggregate. Statt einer Hybridvariante dürfte Anfang 2011 der Golf TwinDrive mit überwiegend elektrischem Antrieb und einer Systemleistung von bis zu 180 PS auf den Markt kommen.

Was passiert mit den anderen Karosserievarianten? Der Golf Plus rollt im März 2009 im neuen Look vom Band, der Variant zieht im Mai nach, der Touran folgt im Juli. Das projektierte Golf Cabrio steht dagegen dem Vernehmen nach auf der Kippe. Zum einen bedroht es das schwach nachgefragte Audi A3 Cabrio sowie den ähnlich positionierten Eos, zum anderen fällt die für 2010 geplante Markteinführung ins zeitliche Niemandsland zwischen Golf VI und Golf VII.

Im Gegensatz zum Golf, dessen sechste Generation durch eine unveränderte Architektur und durch ein nur ganz behutsam weiterentwickeltes Eigenschaftsprofil gekennzeichnet ist, glänzt der nächste Jetta ab Mitte 2010 mit einem um 75 Millimeter längeren Radstand und mit entsprechend geräumigerem Innenraum. In diesem Zusammenhang von der wahren Golf-Zukunft zu sprechen, wäre dennoch irreführend, denn mit Blick auf Amerika, Indien und China muss sich die Stufenhecklimousine kostenmäßig und damit technisch zurückorientieren in Richtung Golf V.

Der nächste wirklich neue Golf ist daher der Golf VII, der wohl schon 2012 die Frage beantworten wird, ob nach Jahrzehnten der Evolution nicht doch tatsächlich der nächste große Schritt überfällig ist.

© SZ vom 13.9.2008/gf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: