Ferrari California:Sinn und Sinnlichkeit

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Ferrari bietet mit dem neuen California einen Supersportwagen mit Platz für Gepäck und Emotionen - und für Menschen, für die die Finanzkrise keine ist.

Georg Kacher

Ferrari-Händler müsste man sein. Dann wäre Rabatt ein Fremdwort, und man würde nicht mit Prozenten jonglieren, sondern mit Lieferzeiten. Vor 2010 geht fast gar nichts, außer beim schwach nachgefragten 612 Scaglietti. Wer heute einen Vertrag für den neuen California unterschreibt, der bekommt sein Auto in zwei Jahren. Frühestens. Toll für die Italiener, schlecht für die Kunden, die womöglich gar nicht wissen, ob ihr Portfolio diese Investition in zwei Monaten noch hergibt. In England und Amerika platzen bereits die ersten Verträge, die bislang von reichen Russen und Chinesen mit Handkuss übernommen werden.

Ansichtssache: Der California lebt optisch von vielerlei Sicken, Kanten, Rundungen und verspielten Details. Die Faszination sitzt eher unterm Blech. (Foto: Foto: Ferrari)

Leerlaufbrabbeln, Teillasthämmern, Volllastdonner

Der 176.200 Euro teure California liegt preislich auf Augenhöhe mit dem F430, doch stückzahlenmäßig schlüpft der 2+x-Sitzer (das x steht für Kleinkinder, Kleintiere oder kleines Gepäck) mit geplanten 2500 Einheiten pro Jahr aus dem Stand in die Rolle des meist verkauften Modells. Kann die mutige Mischung aus offenem und geschlossenem Sportwagen diesem Anspruch gerecht werden? Deutsche Zulieferer haben an den California kräftig Hand angelegt. Das Dach stammt von Webasto, die Benzindirekteinspritzung trägt das Bosch-Logo, das Sieben-Gang-Doppelkupplungsgetriebe wird von Getrag hergestellt. Alle drei Innovationen sind ein Muster an Funktionalität und Effizienz. Das Verdeck arbeitet leise und schnell, es verursacht kaum Windgeräusche und nimmt nicht zu viel Platz weg (Kofferraumvolumen offen 340 Liter, geschlossen 240 Liter).

Der 4,3-Liter-V8 leistet 338 kW (460 PS), mobilisiert 485 Newtonmeter bei 5000/min, verbraucht im Schnitt 13,1 Liter, jagt aber auch 306 g/km CO2 durch den Auspuff. Das Getrag-Transaxle-Element ist groß und schwer, aber in puncto Tempo, Schaltqualität und Ansprechverhalten gibt es aktuell nichts Besseres. Selbst kritische Aufgaben wie einen Mehrfach-Gangsprung beim Kickdown-Zurückschalten, das Korrigieren einer falsch vorgewählten Fahrstufe, Anfahren am Berg oder den ruckel- und stuckerfreien Automatikbetrieb beherrscht dieses Räderwerk wie kein zweites.

Schönheit liegt stets im Auge des Betrachters. Wer Formen gerne betont dreidimensional mag, mit vielen Sicken, Kanten, Rundungen, mit einem gewagten Fugenverlauf und mit verspielten Details vor allem am Heck, der wird sich in den California verlieben. Wir finden, dass Pininfarina schon stimmigere Architekturen geschaffen hat, aber uns gefällt die Wertigkeit des Interieurs mit den bequemen Sitzen, dem aufwendig verarbeiteten Leder, der intuitiven Ergonomie und der perfekten Fahrposition hinter dem Dreispeichen-Lenkrad.

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Der fette Drehzahlmesser dominiert markentypisch das Armaturenbrett, doch zusätzlich zur darin integrierten Ganganzeige hätten wir gerne ein großes digitales km/h-Display, denn der kleine Tacho ist schlecht ablesbar. Der manettino - auf Deutsch: Fahrdynamik-Wählhebel - befindet sich zwar im Schwenkbereich des rechten Daumens, aber es fehlt die Mittelstellung Sport plus, eine Kombination aus abgeschalteter Schlupfregelung und aktiver Stabilitätskontrolle. Kein unbedingtes Muss ist die aufpreispflichtige Dämpferregelung Magnetic Ride, die komfortmäßig nicht viel mehr kann als das sehr ausgewogen abgestimmte Standardfahrwerk. An dieser Stelle ein dickes Lob an die Ferrari-Chassisingenieure: Sie haben beim California eine breit gesteckte Grundgeschmeidigkeit realisiert, die viel souveräner wirkt als jede Art von falsch verstandener Härte.

Weil schon im Stand 53 Prozent des Leergewichts von 1735 Kilo auf den Hinterrädern lastet, kennt dieser Ferrari kaum Traktionsprobleme. Für den Spurt von null auf 100 km/h nennt das Werk 3,9 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit wird mit 310 km/h angegeben. Sie zu erreichen, erfordert freilich Geduld und eine sehr lange Gerade, denn der Gangsprung vom sechsten in den siebten kostet 2200 wertvolle Touren. Selbst in der Comfort-Stellung erinnert die Richtungsstabilität im Hochgeschwindigkeitsbereich an ein Schienenfahrzeug.

Die Verzögerung der Keramikbremse weckt dagegen wie eine Schubumkehr im gelandeten Jet. Wie immer entscheidet die Lenkung über das Maß an Vertrauen und damit über die Bereitschaft, den Grenzbereich auszuloten. Im California weiß sie sicher zwischen Agilität und Nervosität zu unterscheiden. Hier stimmen nicht nur die Gewichtung um die Mittellage, das Einlenktempo und das Rückstellmoment. Hier passen auch Reaktionszeit, Dämpfung, die Immunität gegenüber den Vertikalbewegungen der Vorderachse sowie die Transparenz der Rückmeldung.

California fahren heißt mit den Ohren genießen. Zum Beispiel das Leerlaufbrabbeln, das Teillasthämmern, den Volllastdonner, das Ansaugröhren und das Nachbellen beim abrupten Gaswegnehmen. Dazu die Melodie des Fahrtwindes, das Hintergrundtrommeln der 19-Zoll-Bridgestones, das Dabap-Dabap der Radaufhängung, das Einpeitschen des nächsten Ganges, den Zwischengas-Doppelklick beim Herunterschalten. Auch die Nase hat Anteil am ganzheitlichen Erleben. Es duftet nach Öl und Benzin, nach Brems- und Kupplungsbelägen, nach Reifengummi und in der prallen Sonne intensiv nach Leder. Keine Frage: Dieses Auto belebt die Sinne. Es ist ein Ferrari mit Platz für Gepäck und Emotionen. Wer trotzdem 70.000 Euro mehr für einen 599 Fiorano ausgeben mag, an dem ist die Wirtschaftskrise wirklich spurlos vorübergegangen.

© SZ vom 8.11.2008/gf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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