Fahrzeughistorie:Der Duft nach Leder und heißem Öl

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Als das Mercedes-Werk Sindelfingen noch eine Traumfabrik war: Im Bild das Endmontageband des Seriensportwagens 300 SL Coupé, 1954 - 1957. Der Flügeltürer gehört heute zum festen Inventar von Klassikerausstellungen. (Foto: Daimler AG)

Lärmende Motoren, bockende Getriebe und Cockpits ohne Plastik: Historische Sportwagen sind Fahrmaschinen ohne Filter und Weichzeichner. Sie machen Spaß, erfordern aber auch Erfahrung.

Von Georg Kacher

Seht her, ich kann es mir leisten, unvernünftig zu sein. Ein Auto zu fahren, das nur zwei Türen hat und bestenfalls zwei hintere Notsitze. In dessen Kofferraum nicht einmal eine halbe Golfbag passt. Das so viel Sprit verbraucht wie ein erwachsener SUV, mindestens. In dessen elegantem Blechkleid man sich outet als Genussmensch, der sich traut, erhobenen Hauptes gestrige Werte gestrig verpackt spazieren zu fahren. Werte wie Geschwindigkeit, Lärm, King-of-the-Road-Gehabe. Dabei ist es egal, ob das Objekt der Selbstverwirklichung ein Dach überm Kopf hat oder nicht. Coupés streben typischerweise nach Formvollendung, Windschlüpfigkeit, Leichtbau, Langstreckentauglichkeit. Roadster, Spyder und Cabrio sind eher prädestiniert für kurze, flinke Fluchten. Die Helden unserer Väter sind meist offen gefahren und hatten am Ziel die Zähne schwarz von toten Insekten.

Als Fahrmaschinen ohne Filter sind historische Sportwagen heute begehrter denn je

Damals wie heute prägen die Proportionen das Erscheinungsbild der üppig motorisierten Zweisitzer und damit deren Wirkung auf den Betrachter. Die drei markanten Stilelemente, deren Grundzüge fast neun Jahrzehnte überdauert haben, sind der phallische Vorderwagen, die knuffig-kompakte Fahrgastzelle und das im Windkanal aus dem Vollen geschnitzte Heck. Historische Sportwagen sind Fahrmaschinen ohne Filter und Weichzeichner. Cruisen ist leicht, doch richtig schnell fahren triggert flugs den siebten Sinn, wenn nicht sogar den achten. Das Lenkrad zittert bei voller Fahrt, der Motor lärmt, das Getriebe zickt, die bockharten Reifen können beim Überrollen einer Münze zwischen Kopf und Zahl unterscheiden, das Chassis ist von Verbrennungsrückständen umwabert. Drei Kreuze, wenn es in der nächsten halben Stunde nicht auch noch anfängt zu regnen.

Der Umgang mit den edlen Stücken verlangt Reife und Respekt. Es mag in Ordnung sein, mit dem Handrücken sanft über den Lack zu streichen, die Fingerkuppen die Linie des Kotflügels ertasten zu lassen, die Gummis mit sanftem Druck auf Sitz und Konsistenz zu prüfen. In dieser alten Cockpit-Welt ganz ohne Plastik, Halbleiter und vorwitzige Leuchtdioden dominieren große Rundinstrumente mit mechanischen Zeigern, für die Ewigkeit gemachte Tasten und Knöpfe, das Wechselspiel zwischen Opulenz und Weglassen, ein dünner und aufrechter Schalthebel in direkter Flucht mit der Handbremse, die Pedalerie als anspruchsvolle Klaviatur in den Untiefen des Fußraums. Ein Erlebnis für sich sind die Materialien von damals - gehämmertes Vogelaugen-Aluminium, Bakelit in allen Schattierungen, Leder, auch von Strauß und Echse, Wagenfarbe gegen Kontrastfarbe, Holz und Chrom, Samt oder Cord für die Grand Tourer. Dieses Fest fürs Auge ist so stilprägend zeitgeistig wie die Kühlerfiguren von Lalique oder das Zentralverschlussrad von Rudge.

Vier Zylinder sind zwar besser als drei, aber man muss schon so leicht bauen wie eine Alpine 110 oder ein Porsche 356 Carrera 2, um mit maximal 2,0 Liter Hubraum ganz vorne mitmischen zu können. Der Turbo-Fünfzylinder ist eine spezifische Audi-Lösung, der Sechszylinder gilt in Reihe oder als V immer noch als das absolute Sportwagen-Urmeter, die großen Achtzylinder können vor Kraft inzwischen kaum mehr laufen. Die frühen Saugmotoren waren großvolumige Drehmoment-Artisten, die erst mit Hilfe von immer mutigeren Drehzahlen auch leistungsmäßig über sich hinauswuchsen.

Die aktuellste Reinkarnation des Sportwagens hätte mit der Elektrifizierung beginnen können, aber daraus wird wohl noch nichts, denn elektrisch heißt nach wie vor schwer, komplex, platzraubend und teuer. Außerdem fehlt uns das, was klassische Coupés und Roadster seit jeher auszeichnen. Nämlich der Duft von patiniertem Leder, heißem Öl, zu Staub gewordenen Reibbelägen, nicht vollständig verbranntem Kraftstoff und frischem Gummiabrieb. Um diese Autos artgerecht und zügig zu bewegen, ist eine klare physische Aufgabenteilung essenziell. Die Oberarme müssen lenken, der eine Wadenmuskel bremst, der andere kuppelt, die rechte Hand schaltet, die linke hält die Fuhre auf Kurs.

Ohne einen guten Mechaniker braucht man sich einen echten Oldtimer gar nicht erst zuzulegen

Klar, mit Legenden wie Elfer, SL, Corvette und E-Type kann der Interessent kaum einen Fehler machen. Spannender ist allerdings die Grauzone zwischen den Segmenten, wo sich Extreme treffen und die Spreu manchmal mehr begeistert als der Weizen. Beispiele gefällig? Der Facel Vega HK 500 verbindet grandioses Design, einen bulligen V 8-Motor und ein unterirdisch schlechtes Fahrwerk zu einer einzigartigen Hassliebe. Der Bristol 408 und das Bentley Brooklands Coupé sind feine Alternativen für anglophile Genießer. Wenn es ein Italiener sein soll, dann vielleicht ein de Tomaso Longchamps GTS, ein Alfa 2600 Bertone Coupé oder ein Maserati Shamal. Wer es lieber knackiger, leichter und brutaler mag, der wird garantiert bei Lotus fündig, sollte sich einen späten Alvis TD 21 näher ansehen oder nach einem gesunden Sunbeam Tiger suchen.

Klassische Sportwagen sind nahezu immun gegen Neid und Vandalismus, sie halten oder steigern zumeist ihren Wert, und sie sind nicht wirklich schnell genug, um sich mit den jungen Wilden aus den späteren Jahrgängen anlegen zu können. Das heißt, dass man mit diesen freien Radikalen auch abseits von Rennstrecken seinen Spaß haben kann, denn oft reicht schon eine einzige unebene Kurvenkombination für die Synthese von Herausforderung und Genugtuung. Vorkriegsboliden, denen schön langsam die Ersatzteile ausgehen, und die Mechaniker, die sich mit diesen Autos auskennen, sind harte Arbeit für harte Männer. Die divenhafteren Nachkriegssportler sind muskulöser und entsprechend gefragter, das Angebot ist breiter gefächert, aber es gibt noch jede Menge Schnäppchen, von denen sich einige allerdings mangels Nachfrage kaum wiederverkaufen lassen dürften. Momentan hat der Boom die Sechziger- bis Achtzigerjahre erfasst und damit Autos aus den Kindheitsträumen und Jugendschlafzimmern potenzieller Investoren.

© SZ vom 26.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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