Fahrradmesse "Eurobike":Neues vom Bundesrad

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Dieses sogenannte Fatbike heißt Pilger und stammt vom Hersteller Velotraum. Das Fahrrad hat wadendicke Reifen. (Foto: dpa)

Auf der Messe "Eurobike" wird deutlich: Das Fahrrad hat immens an Bedeutung gewonnen. Inzwischen gibt es ähnlich viele sinnlose Auswüchse wie beim Auto. Zur Eröffnung kam sogar Kanzlerin Merkel. Wird sie jetzt von der Auto- zur Fahrradkanzlerin?

Von Sebastian Herrmann

Im Foyer steht eine Stilblüte auf zwei Rädern. Dieses Fahrrad nennt sich "Beargrease" und ist mit zwei Reifen, dick wie Rettungsringe, ausgestattet. Kann ein anderes Wesen als das Michelin-Männchen auf diesem Gerät radeln? Die Branche hat die plumpen Dinger auf den Namen Fatbikes getauft und verspricht, dass damit Sandwüsten oder öde Landschaften aus Eis und Schnee durchradelt werden können. Das klingt hinreichend beknackt - und trotzdem wurde das adipöse Fahrrad auf der Messe Eurobike in Friedrichshafen mit einem so genannten Award ausgezeichnet. Ein Gang durch die Hallen der größten Fahrradmesse der Welt offenbart, dass die Stilblüte auf zwei Rädern kein einmaliger Ausrutscher ist.

Welche Rolle weisen Branchenvertreter dem Fatbike zu, wenn sie über die goldene Zukunft des Fahrrads als "urbanen Mobilitätspartner" schwadronieren und das Rad zum "weltweiten Mega-Trend" ausrufen wie nun wieder in Friedrichshafen? Müssen künftig in den Sandwüsten der Welt Radwege angelegt werden, um das Verkehrsaufkommen ambitionierter Hobbysportler unfallfrei zu steuern? Das Fatbike ist einer der vielen Ausrutscher, in der mittlerweile sagenhaft unübersichtlichen Produktpalette der Fahrradindustrie. Die Dinger dürfen als absurde und wahrscheinlich kurze Sackgasse in der stetig fortschreitenden Ausdifferenzierung des Fahrrads gelten. Dass die Branche aber selbst einen solchen Unsinn verkaufen kann, verdeutlicht den Erfolg der Fahrradindustrie.

Fahrradnation Deutschland?

Radeln ist mittlerweile irgendwie wichtig. Deswegen geben Menschen heute gerne mal 3000 Euro für ein Rad mit Elektroantrieb oder sogar 5000 Euro für ein Rennrad aus. Deswegen wird bei der Eurobike ständig der Begriff "Mobilität" oder "Verkehrsträger" im Zusammenhang mit dem Fahrrad verwendet. Und deswegen eröffnete Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch zum ersten Mal die Fahrradmesse in Friedrichshafen, wo bis diesen Samstag 1280 Aussteller aus 49 Ländern Fahrräder und unfassbar viel Zeug für Fahrräder ausstellen.

"Deutschland ist nicht nur eine Auto-Nation, sondern auch eine Fahrrad-Nation", sagte Merkel. Autokanzler war also gestern, heute regiert die Radlkanzlerin? Angeblich fährt Angela Merkel selbst seit Jahren nicht mehr Fahrrad und als Kind wurde ihr mal eines von Sowjetsoldaten geklaut. Trotzdem begibt sich die Politik auf zwei dünne Reifen: Ein Nationaler Radverkehrsplan 2020 existiert, der Ausbau fahrradfreundlicher Infrastruktur wird versprochen und bei der Helmfrage, da setze man weiterhin auf Freiwilligkeit, sagte Merkel. Auf einer Fahrradmesse garantiert das viel Zustimmung.

Wird sie jetzt Radkanzlerin statt Autokanzlerin? Angela Merkel hat die Fahrrad-Messe Eurobike in Friedrichshafen besucht. (Foto: dpa)

Der Satz mit der Fahrradnation lässt sich mit ein paar Zahlen untermauern. Zehn Prozent aller Streckenkilometer legen die Deutschen mittlerweile mit dem Rad zurück. In ihrem Besitz befinden sich etwa 71 Millionen Fahrräder. Und jedes Jahr, so rechnet der Verband des Deutschen Zweiradhandels vor, stellen sie sich 3,9 Millionen neue Räder in die Garage - von denen gefühlt 3,8 Millionen Stück in den übervollen Messehallen in Friedrichshafen stehen müssen. Zwei Milliarden Euro geben Kunden für die Gefährte aus, die im Schnitt 515 Euro kosten. Das ist eine Menge Alu, Karbon und Blech.

Vehikel für urbane Angeber

Das Rad hat dabei seinen Status als Vehikel der einfachen Leute längst eingebüßt. Es ist das Mittel der Wahl vieler urbaner Angeber. Die Hipster-Räder tragen Namen wie "Ludwig XIV", "Siegfried" oder "Lotte", haben Lenkergriffe aus Leder, der Rahmen ist aus matten, rohem Alu und für die Querstange bietet der Hersteller eine Ledertasche an, in die locker ein iPad passt.

Preislich haben die neuen Statussymbole manchen Neuwagen überholt. Ein Rennrad ohne großen Firlefanz - dafür ultraleicht und ultrachic? Bei der Firma Storck kann der solvente Angeber beeindruckende 12.198 Euro dafür hinlegen. Bei anderen Modellen ist die Nähe zum Automobil nicht nur preislich offensichtlich: Die Branche rüstet alles, was zwei Räder hat, mit Elektromotoren aus. Kunden und Verkäufer schwadronieren dann über Watt-Zahlen, nehmen Begriffe wie Newtonmeter in den Mund, um das maximale Drehmoment zu beziffern und diskutieren das Pro und Contra von Heck- oder Mittelmotoren. 430.000 E-Bikes will die Branche im Jahr 2013 in Deutschland absetzen, bereits jetzt fahren 1,3 Millionen Stück über Radwege und Straßen. Ein hippes Mountainbike mit Motor kostet 6499 Euro - noch so eine Stilblüte dieser Fahrradmesse.

Einen Eurobike-Award in Gold hat übrigens auch ein Kleidungsstück gewonnen, das deutlich dezenter ist als das seltsame Fatbike. Die ausgezeichnete Fahrradhose mit Trägern und gepolstertem Popo verfügt vorne über einen Eingriff. So wie die formlosen Unterhosen-Slips von einst. Sieht auch beknackt aus, könnte aber sehr praktisch sein.

© SZ vom 29.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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