Dune-Bashing:Wüster Sport

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Falls beim "Dune-Bashing" einer der sündteuren Geländewagen kaputt geht, gibt es für das nächste Mal einfach einen neuen. (Foto: Jaguar Land Rover)

Jedes Wochenende fahren junge Katarer beim Dünen-Rennen ihre sündteuren Geländewagen kaputt. Der Grund: Sie haben nichts Besseres zu tun.

Von Karin El Minawi, Doha

Barfuß, in bodenlangen, weißen Hemdkleidern laufen die jungen Männer auf den zerknautschten Geländewagen zu. Mehrmals hatte der sich in der Sanddüne überschlagen, nun liegt er auf dem Dach. "Schnell, zieht den Fahrer raus", schreit einer aus der Menge. Während das aus dem Fenster geflogene Mobiltelefon, die Brieftasche und leere Flaschen aufgesammelt werden, düst der nächste Fahrer auf die Düne zu. Am Kamm angekommen, bemerkt er den Unfall, verlangsamt sein Tempo und versucht näher ranzufahren. Doch er bekommt den Wagen nicht unter Kontrolle. Auch er überschlägt sich. Beide Fahrer sind unverletzt. Schnell werden die zerknautschten Fahrzeuge auf die Reifen gedreht, nacheinander abgeschleppt. Dass sie sündteure Autos geschrottet haben, stört die Fahrer nicht. Sie lachen, klopfen einander auf die Schulter. Ein gewöhnlicher Freitagnachmittag in Katars Wüste.

Katarer sind besessen von Autos. Doch statt sie nur zu lieben und zu pflegen, fahren sie sie auch zu Schrott - fast jedes Wochenende, im Süden des Landes, in Sealine. Jeden Freitag ist hier mehr Verkehr als in der Hauptstadt Doha. Nachdem am Sammelplatz etwas Luft aus den Reifen gelassen wurde, geht es mit den Geländewagen in die Wüste. Um sich auszutoben, brettern die Männer in Autos mit frisierten Motoren und Schalldämpfern in hoher Geschwindigkeit quer über bis zu 40 Meter hohe Sanddünen. Ohne Helm, ohne Sicherheitsgurt, in Flip-Flops und wallenden, weißen Gewändern. Genannt wird der beliebte Sport: Dune-Bashing.

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In der Stadt sind die Männer genauso rücksichtslos unterwegs wie in der Wüste

"Die Katarer lieben es, außerdem haben sie nichts anderes, um sich zu vergnügen", sagt Dave Jackson. Der 21-jährige Engländer lebt seit 16 Jahren in Katar. Auch er liebt Autos. Mit sechs Jahren war der heutige Englischlehrer auf seiner ersten Wüstensafari, mit neun saß er selbst hinterm Steuer. Dave Jackson ist einer der wenigen Ausländer, die an den wöchentlichen Wüstenausflügen teilnehmen. Ansonsten ist die einheimische Bevölkerung, die gerade mal zehn Prozent der etwa 2,5 Millionen Einwohner ausmacht, hier unter sich. Arbeitsmigranten und ausländische Geschäftsleute sind in der Wüste kaum anzutreffen.

Heute schaut Dave Jackson nur zu. "Wenn so viele Leute kommen, wollen die Katarer richtig angeben. Sie sind dann noch waghalsiger als sonst", sagt er. Wer kommt höher hinauf auf die Dünen, wer wirbelt am meisten Sand auf? Geht ein Auto kaputt, stehen die jungen Männer in der Woche darauf wieder an der Startlinie. Papa hat ihnen eben ein neues Spielzeug gekauft. "Ich kann mir das nicht leisten", sagt Dave Jackson. "Ich habe nur einen Wagen. Die meisten Katarer haben mehrere in der Garage stehen." Katar ist mit seinen Öl- und Gasvorkommen eines der reichsten Länder der Welt. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 104 000 Dollar im Jahr. Geld ist also hier nicht das Problem.

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Der Staat versucht nur halbherzig, diesen Wüstensport zu unterbinden - über die hohen Strafgelder lachen die Katarer nur. Und das Import- und Verkaufsverbot von Ballonreifen, die für Wüstentouren am geeignetsten sind, lässt die Wüstensöhne kalt. Die Reifen werden für das Doppelte auf dem Schwarzmarkt erworben. Andere fahren in das wenige Stunden entfernt gelegene Saudi-Arabien. Dort werden die Reifen gleich montiert.

Weil viele Männer in der Stadt genauso unterwegs sind wie in der Wüste - schnell, leichtsinnig, rücksichtslos -, kommt es zu immer mehr Verkehrsunfällen. Sollte der Staat nicht schnell etwas gegen die Rowdys unternehmen, wird es laut einer Untersuchung der Katar-Universität bald zu katastrophalen Zuständen auf den Straßen des Landes kommen. "Wenn der Staat wirklich wollte, könnte er den Wüstensport verbieten. Aber warum sollte er? So haben die Jugendlichen etwas, womit sie sich beschäftigen", sagt Dave Jackson.

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Der Tag endet im Notfall-Helikopter

Katar ist eine absolute Monarchie. Es gibt weder ein Parlament noch Parteien. Eine Zivilgesellschaft existiert ebenfalls nicht. Kritik am Herrscherclan wird nicht geduldet. Und während die vom Staat privilegierten Einheimischen ihre Autos zu Schrott fahren, schuften die Arbeitsmigranten, die vor allem im Bausektor tätig sind, sich für Billiglöhne zu Tode. Sie werden ausgebeutet, missbraucht und misshandelt. Und mag sich auch der Rest der Welt darüber empören im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 - ändern wird sich an den Verhältnissen nichts.

Inzwischen wird es in Sealine dunkel. Während die ersten schon die Rückfahrt antreten, steht ein schwarzer Geländewagen am Start. Der Fahrer lässt den Motor aufheulen, dann rast er auf die Düne zu. Fast am Dünenkamm angekommen, reißt er den Wagen zu schnell herum - er überschlägt sich. Mehrere Male. Wieder laufen die jungen Männer auf den Wagen zu. Der Fahrer bewegt sich nicht. Sie ziehen ihn aus dem Fahrzeug, versuchen ihn wach zu rütteln - vergeblich. Eine halbe Stunde später landet ein Notfall-Helikopter, der Verletzte wird ausgeflogen. Das Ende eines gewöhnlichen Freitagnachmittags.

© SZ vom 29.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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