City-Logistik:Das Auto als Postkasten

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Autohersteller experimentieren mit digitalisierten Zustelldiensten: Wenn der Paketbote die Sendungen per App-Ortung und digitalem Schüssel im Autokofferraum ablegt, kann der Empfänger viel Wartezeit bis zur Zustellung sparen.

Von Stefan Weißenborn/dpa

Nicht mehr klingeln, nicht mehr warten, nicht mehr den Nachbarn mit den Paketen nerven, wenn keiner zu Hause ist: Schon aus Sicht des Zustellers hat es Vorteile, wenn er Päckchen und Pakete per App und digitalem Schüssel im Autokofferraum der Empfänger ablegen kann. Als erste Autohersteller bieten bereits Volvo und Smart diese Dienstleistung ihren Kunden an, bei VW soll sie 2019 starten.

Doch vor allem der Kunde soll profitieren: Er muss nicht daheim sein, um Pakete zu empfangen. Das Abholen bei der nächsten Poststelle entfällt. Und auch Retouren kann er je nach Anbieter aus dem eigenen Auto abholen lassen. Alles sehr praktisch, zumindest in der Theorie. Denn zum Beispiel große Pakete könnten im Smart mit seinem überschaubaren Stauraum schon zum Problem werden. Fakt ist: Neue Lösungen sind gefragt.

Weil der Internethandel boomt, werden immer mehr Pakete versandt. Zusteller hetzen schwer beladen von Haustür zu Haustür, und das längst nicht mehr nur zur Weihnachtszeit. Laut dem Verband der Internetwirtschaft eco steigt der E-Commerce-Umsatz seit Jahren.

Lösungen wie Smarts "ready to drop" oder "We deliver" von VW sollen die Logistik auf den letzten Metern flexibilisieren. Dazu benötigt es neben einem entsprechend ausgerüsteten Auto eine Smartphone-App und einen digitalen Schlüssel, der nur einmal verwendet werden kann - nämlich dann, wenn der Paketbote das Auto per GPS ortet und den Kofferraum per mobilem Endgerät öffnet und wieder verschließt. Vorab muss der Auftraggeber ein Zeitfenster definieren, in dem er das Auto im Umkreis einer ebenfalls zu bestimmenden Lieferadresse parkt.

Vorreiter Volvo, der einen Pilotversuch in Südschweden bereits 2014 startete und sein "In-car Delivery" in Schweden und der Schweiz schon länger und seit Kurzem auch in den USA anbietet, zögert aber noch mit der Einführung in Deutschland. Konkrete Entscheidungen gebe es noch nicht, sagt Volvo-Sprecher Olaf Meidt: "Aus heutiger Sicht wird es nicht kurz- beziehungsweise mittelfristig erfolgen." So haben die deutschen Hersteller die Schweden zumindest hierzulande überholt. In einem Pilotversuch in Berlin hat Volkswagen mit der Posttochter DHL kooperiert: 50 Kunden bekamen für vier Wochen einen vorgerüsteten VW Polo gestellt, den sie als Paketstation nutzten.

"Es ist geplant, den Service We Deliver von 2019 an in ausgewählten Serienmodellen anzubieten", sagt Roland Ottacher, der den Service bei VW verantwortet. Smart-Fahrer können den Dienst "Smart Ready to drop" in Stuttgart, Berlin, Köln und Bonn bereits nutzen. "Ein weiterer Service-Rollout ist derzeit in Prüfung und Planung", sagt Projektleiterin Joana Treffert.

Fährt der Kunde zur vereinbarten Zeit aus dem Umkreis der Lieferadresse heraus, kann ihn der Zusteller nicht mehr orten - das Paket landet etwa in der nächsten Postfiliale und muss dort wie eh und je abgeholt werden. Das Parken im Umkreis um die Lieferadresse kann sich innerhalb überfüllter Innenstädte als schwierig und so als Anreiz zum Falschparken erweisen.

"Außerdem hat sich herauskristallisiert, dass unsere Kunden sich eine Zustellung in den Kofferraum von möglichst vielen Onlineshops wünschen", sagt Treffert. Auch hier gibt es noch Optimierungsbedarf. "Wir arbeiten derzeit an Lösungen, um die Bestellungen in möglichst vielen Shops zu ermöglichen", sagt Treffert.

Eine weitere Herausforderung könnten die Kosten sein - in Zeiten, in denen oft schon der Versand kostenfrei angeboten wird. So testet VW derzeit verschiedene Preismodelle. Bei Smart gibt es aktuell keine Pläne, Servicekosten zu erheben. Denn schon für die benötigte Hardware im Auto muss Aufgeld überwiesen werden - 199 Euro bis 299 Euro je nach Ausstattungspaket des Smart-Neuwagens, Nachrüstlösungen sind nicht vorgesehen.

Dass der Paketbote zum Kleinkriminellen wird und die Gelegenheit ergreift, Dinge aus dem Kofferraum zu stehlen - diese Sorge ist aus Sicht von Smart und DHL unbegründet. "Viele Kunden erlauben schon heute über einen sogenannten Ablagevertrag, Sendungen auf ihrer Terrasse oder in der Garage abzulegen", sagt Treffert. "Kundenbefragungen haben ergeben, dass eine Mehrheit die Vorteile höher einschätzt als mögliche Risiken." Und DHL erklärt: "In der Vergangenheit sind uns zudem keine Vorkommnisse bekannt, dass persönliche Gegenstände von Kunden entwendet worden wären. Hierbei haben sich unsere Zusteller als durchweg vertrauensvoll erwiesen." Anja Smetanin vom Auto Club Europa (ACE) macht aber auf die grundsätzliche Gefahr eines Hackerangriffs aufmerksam. Die bestehe umso mehr, "je mehr wir digitalisieren". Autohersteller wie VW beteuern indes, der Datensicherheit habe höchste Priorität. Und Treffert betont, dass die jeweilige TAN zum Öffnen des Kofferraums nur ein einziges Mal genutzt werden kann.

Entscheidend sei, sagt Treffert, dass der Service "mit der stabilen und schnellen Fahrzeug-Konnektivität steht und fällt". Doch da habe Smart auch wegen des Carsharing-Angebots Car2go bereits genügend Erfahrung. Bleibt abzuwarten, ob dies in großem Stil genutzt wird und sich der Kofferraum als Paketstation durchsetzt.

© SZ vom 01.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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