Ausstellung in Hamburg:Rad der Geschichte

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Historische Fahrräder haben auch in Bayern ihre Freunde. Szene eines Treffens am Neuen Schloss in Oberschleißheim. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Vom AutoVelo bis zum Klapprad der Alliierten: Das Hamburger Museum der Arbeit zeigt eine abwechslungsreiche Schau über das Fahrrad und seine Rolle als Transportmittel - und präsentiert überraschende Erkenntnisse.

Von Hendrik Feindt

Ungleiche Brüder sind es, das Vier- und das Zweirad. Auf Schritt und auf Tritt, oder vielmehr: von Tretlager zu Tretlager wird einem die Konkurrenz derzeit in Hamburg vor Augen geführt. Schauplatz ist das dortige Museum der Arbeit, Anlass eine Ausstellung über das Fahrrad.

Die Ecken des mit mehr als 100 Exponaten gedrängten Raums säumen hier ein ehemaliger Saab Turbo, den Martin Kaltwasser und Folke Köbberling während einer "Aktion im öffentlichen Raum" in zwei bullig strotzende, breit bereifte Fahrräder umgeschweißt hatten ("Cars to bicycle", Santa Monica 2010), sowie das 150 Kilogramm schwere Spiegelbild eines Zuffenhäuser Gefährts, dem anstelle der üblichen dreistelligen Pferdestärken zwei mit menschlicher Muskelkraft betätigte Liegeräder als Antrieb dienen ("Ferdinand GT3 RS" von Hannes Langeder, Linz 2010). Und dazwischen findet man, aus seiner mittlerweile zweihundertjährigen Geschichte, verschiedenste Anbiederungen des Fahrrads an den potenteren Verwandten, das Auto.

Das Fahrrad als Statussymbol, nicht das Auto

Ausgesprochen traurig erscheint ein Versuch der ältesten Nürnberger Zweiradfabrik aus den 1960er-Jahren. Seinerzeit hatten die Hercules-Werke, inmitten des breitflächigen Niedergangs der hiesigen Zweiradindustrie, ein "AutoVelo" vorgestellt: Possierlich auf ein Zwergendasein zusammengeschoben liegt es seither in seiner eigens gefertigten Kunststoffverschalung, sodass es vermutlich niemals den Winkel in der heimischen Garage, geschweige denn den Kofferraum eines Personenwagens verlassen haben kann.

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Die gegenläufige Bewegung ist aus der heutigen Automobilwerbung zu vermelden. Jetzt sind es nicht mehr die Fahrräder, die um ihre Mitnahme buhlen; sondern die Autos selbst schicken sich an — so der jüngste Spot für einen Kompaktvan von BMW -, ihren Fond so großzügig zu dimensionieren, dass dort zweirädrige Freizeitvehikel aufrecht einzuschieben sind. Man meint, das Radeln in der Freizeit sei für die Zielgruppe ungemein wichtig. Oder haben sich tatsächlich, wie unlängst das Magazin Cicero titelte, die Statussymbole dergestalt verlagert, dass hierzulande das Fahrrad die Motorkarosse ersetzt?

Erst die Akzeptanz der Arbeiter machte das Fahrrad zu einem massenhaften Transportmittel

Was die Freizeitbeschäftigung betrifft, schließt sich nunmehr ein historischer Zirkel. Schließlich war das Fahrrad lange Zeit ein so aberwitzig teures Instrument, dass es sich nur die Begüterten leisteten - nicht der Adel, der verpönte die Tretmühle, sondern vielmehr das städtische Bürgertum beiderlei Geschlechts, das mangels Pferden und Ställen nun auf Pneu und auf Stahl im Weichbild und Umfeld der Städte setzte.

In der Hamburger Ausstellung besticht beispielsweise eine um 1892 gefertigte "Hirondelle" aus Saint-Etienne mit halbkreisförmigem Rahmen, gefedertem Lenker und frei hängendem Sattel. Heutigen Design-Studien könnte sie ohne Weiteres Modell stehen - seinerzeit jedoch wurde sie entwickelt, um den Luxusmodellen aus England, die den kontinentalen Markt beherrschten, eigenständig Paroli zu bieten.

In den Niederlanden zugegangen, die im 20. Jahrhundert zur europäischen Radfahrernation par excellence aufsteigen sollten, scheute man sich dagegen nicht vor Nachahmungen: Dort ist der gediegene englische Rover der Jahrhundertwende zum unverkennbaren Vorbild des späteren Hollandrades geworden. Entscheidend war hier der Eintritt des Staats auf dem heimischen Markt. Die Groninger Fabrik Fongers profitierte etwa von den Bestellungen für die beamteten Dienste von Briefpost, Polizei und Militär; und dort sollte offenbar die aufrechte Sitzhaltung den Ausschlag für die Rahmenform geben.

Damit das Fahrrad breitenwirksam oder gar massentauglich wurde, bedurfte es allerdings weiterer Faktoren wie des Sports und der Serienproduktion. Entscheidend für Letzteres war wiederum, dass das Rad von der Arbeiterschaft als Transportmittel akzeptiert wurde.

Hier nun wäre ein "Museum der Arbeit", das im ehemaligen Arbeiterviertel Hamburg-Barmbek liegt, besonders gefordert: Es wäre anschaulich zu machen, wie vormals der tägliche Weg zur Arbeit auf Zigtausenden pedalgetriebenen Zweirädern zurückgelegt wurde.

Das Museum hatte sich bereits mehrfach die Selbstdefinition der Stadt via Transportmittel und -wege zum Thema gemacht. In den Vorjahren zeigte es beispielsweise die Geschichte des ersten großen Unterwasserbauwerks auf dem europäischen Festland, den 1911 eröffneten Elbtunnel, der unter anderem einer Vielzahl von Werftarbeitern einst den Zugang und die Zufahrt zu ihren Arbeitsplätzen ermöglichte. Oder es erinnerte an ein legendäres Vehikel des Transports auf drei Rädern, den "Tempo", der einmal zu wesentlichen Teilen, vor allem über den Einzelhandel und die Handwerksbetriebe, den inner- und nahstädtischen Warenumschlag sicherstellte.

Die Briten brachten am D-Day demontierbare und denkbar einfach konstruierte Bikes mit

Für das Fahrrad war also Vorarbeit geleistet. Und dennoch: Die Akzente haben sich merklich verschoben. In der Ausstellung sind die Allerweltsräder in der Minderzahl - erst der vielseitig angelegte Katalog informiert ausführlich über die historische Bedeutung des Fahrrads für eine ganze gesellschaftliche Klasse, über seine buchstäbliche Mobilisierung für die Arbeiterbewegung (die ersten Arbeiter-Radfahrer-Vereine wurden in den 1890er-Jahren gegründet) und über die Entwertung des Radsports aus bürgerlicher Sicht, die um 1900 erfolgte. Bezeichnend aber ist, dass das einzige Stück aus der Sammlung des Museums wiederum ein veritables Arbeitsmittel ist: Ein Artistikrad, das die weltweit führende Bedeutung deutscher Variété- und Zirkuskünstler im Kunstradfahren und in der Radakrobatik dokumentiert.

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Was also bestimmt das Image des Rades im Jahr 2014 in Hamburg-Barmbek? Dass Kuriosa nicht fehlen, beispielsweise der Kurzlieger des Leipziger Ingenieurs Paul Rinkowski aus dem Jahr 1960, war zu erwarten. Auch stupende und formschöne Exponate, etwa das Dandy-Bike "Fuji" oder das Diamant "Modell 67" aus dem Fahrradmuseum Bad Brückenau und aus dem Deutschen Technikmuseum Berlin sind präsent.

Ein Faltrad für Fallschirmspringer

Mehr aber noch wird das Bild von den wandelbaren Stücken geprägt, vor allem von der Variabilität des Falt- oder Klapprades. Für die französische Infanterie wurde dieses bereits im 19. Jahrhundert entwickelt. In der Ausstellung steht jetzt ein Exemplar der italienischen Bersaglieri aus dem Ersten Weltkrieg; darüber hängt ein demontierbares Bike, das englische Fallschirmspringer am D-Day in der Normandie eingesetzt hatten. Ein einfaches Ding ist das und nötigenfalls als Wegwerfartikel zu verwenden: Das Rad ist eben nur eines unter den vielen, vielen möglichen Mitteln der operativen Fortbewegung.

So erklärt sich heutzutage auch das scheinbar unaufhaltsame Vorrücken des Leihrads, das sich in Hamburg mit etwa 120 Stationen und 1700 Rädern noch vergleichsweise bescheiden ausnimmt. Wer Fahrrad fährt, sei nicht mehr der klassisch monodisziplinäre Radfahrer, sondern der vorübergehende Nutzer, der ebenso über den Zutritt zum öffentlichen Nahverkehr verfügt, wie er Auto fährt, Räder leiht und Bonus-Flugmeilen sammelt. Vielleicht sollten sich auch die Fertigungsstätten dieser Wechselhaftigkeit oder auch Indifferenz angleichen und gelegentlich die eine oder andere produktionshistorische Entscheidung umkehrbar halten. Immerhin waren die heutzutage stets krisenbedrohten Opel-Werke in Rüsselsheim einstmals Weltführer in der Fließbandproduktion: nicht von Automobilen, sondern von Fahrrädern.

"Das Fahrrad. Kultur, Technik, Mobilität", Museum der Arbeit, Hamburg, Ausstellung noch bis 1. März 2015. Der gleichnamige Katalog, herausgegeben von Mario Bäumer, ist im Junius-Verlag erschienen, 216 Seiten, 24,90 Euro.

© SZ vom 21.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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